Zum Thema „Silenced (?)! Islamic feminism and social struggles in the Arab world“ diskutierten die marokkanische Professorin Fatima Sadiqi und die Aktivistin Elif Adam unter der Moderation von Helmut Krieger. Magda Seewald (VIDC) stellte der Diskussion vor über 200 Besucher*innen Begrüßungs- und Dankesworte voran und wies zugleich darauf hin, die Veranstaltung würde im Zeichen des Internationalen Frauentages am 8. März stehen. Konkret solle sich jene Diskussionsrunde den unterschiedlichen Ausprägungen und Initiativen des islamischen Feminismus in Nordafrika widmen, wobei der Zugang zum Thema eher akademisch geprägt sei. Mit mahnenden Worten über die unerträgliche Situation geflüchteter Menschen an den europäischen Grenzen und den skandalösen Reaktionen darauf von politischen Entscheidungsträger*innen spannte Magda Seewald den Bogen zur arabischen Welt und übergab das Wort an Helmut Krieger. Anschließend an die einleitenden Worte betonte Helmut Krieger, der Fokus der Diskussion liege besonders auf der Diversität islamischer Feminismen in Zeiten sozialer Kämpfe, Proteste und imperialer Interventionen in der arabischen Welt. In westlichen Diskursen würde gerade jene Diversität innerhalb der islamischen Frauenbewegungen und -initiativen mit ihrem reichen historischen Erbe ausgeblendet. Vor diesem Hintergrund sollen Fragen rund um das Verhältnis zwischen islamischen und so genannten säkularen Fraueninitiativen diskutiert, ihre Resonanz in europäischen Debattenfeldern ausgelotet als auch nach einer gemeinsamen Basis für politische Forderungen gefragt werden.
Vielfältige Feminismen in der arabischen Welt
Fatima Sadiqi betonte zu Beginn ihres Beitrages die Komplexität islamischen Feminismus. Das ließe sich auf verschiedene Gründe zurückführen, beispielsweise aus welcher Perspektive man sich damit beschäftigen würde. In der Literatur ließe sich unter anderem die Wahrnehmung von außerhalb der arabischen Welt auf islamische Feminismen finden. Einerseits gäbe es eine paternalistische Haltung auf muslimische Frauen, andererseits gäbe es den Trend, der sich auf ursprüngliche Texte des Islams fokussiere, um nach egalitären Idealen zu suchen und islamische Feminismen als etwas Genuines verstehen würde. Die Perspektiven innerhalb der arabischen Welt auf islamischen Feminismus seien ebenso vielfältig und paradox.
Einem chronologischen Ablauf folgend, erläuterte Fatima Sadiqi die Entwicklungen von islamischen Feminismen. In den 1980er und 1990er Jahren wären es zuallererst Männer gewesen, die eine Diskussion zur Notwendigkeit von Familienrechtsreformen angestoßen hätten. Zur selben Zeit etwa traten säkulare Feministinnen auf die Bühne, wie etwa namentlich Fatima Mernissi. Es hätte die erste Annäherung zwischen säkularem Feminismus und religiösen Familienrechtsreformern stattgefunden. Die Vortragende sieht das Patriarchat in jeder Gesellschaft gegeben, allerdings würde es in unterschiedlichen Kontexten verschiedene Formen annehmen. Vor allem die Rolle der religiösen Männer sind für das Verständnis des Feminismus in der arabischen Welt von Bedeutung, so Fatima Sadiqi.
Trennung zwischen Säkularem und Religiösem überbrücken
Grundsätzlich sei es wichtig zu verstehen, dass Feminismus in der arabischen Welt schon immer vorhanden war und Frauen dabei nie nur eine passive Rolle einnahmen. Seit den 1980er Jahren wurde vor allem im maghrebinischen Raum und hier insbesondere in Marokko von Feminist*innen die Bedeutung von Familienrecht diskutiert, gerade weil sich hier auch zeigte, wie Religion in verschiedenen Formen im Staat verankert sei und welche eminenten Auswirkungen dies auf das Leben von Frauen habe. Es begann eine Phase, in der Frauen die Gesetze selbstständig als Frauen zu interpretieren begannen. Dabei wurden unterschiedliche Strategien benutzt, zum Beispiel jene der Betonung der egalitären Botschaft des Korans. Weiter widmete sich Fatima Sadiqi in ihrem Beitrag der Bedeutung von Säkularisierung und vor allem der Frage, was es in der arabischen Welt bedeute säkular zu sein. Säkularität müsse immer im jeweiligen Kontext betrachtet werden, so Sadiqi. Für die arabische Welt würde dies bedeuten, die Geschichte von Kolonisierung mit zu reflektieren. Es hätten sich Lager herausgebildet, jenes der Modernisierer*innen und jenes der Konservativen, wobei deren unterschiedliche Vorstellungen über die Gestaltung der Gesellschaft zu politischen Spannungen führten. Schließlich bildete sich eine neue Gruppe, die der Islamist*innen, die eine stärkere religiöse Ausrichtung des Staates und der Gesellschaft anstrebten. Die veränderten politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse hätten es ermöglicht, Feminist*innen gegeneinander auszuspielen. Der so genannte Arabische Frühling stellt für Fatima Sadiqi eine weitere bedeutende Zäsur in der Entwicklung eines islamischen Feminismus dar. Damit beginnend stellte sie fest, dass Feminist*innen in der arabischen Welt wenig Unterschiede oder Trennlinien wahrnehmen würden. Das Rückgrat des islamischen Feminismus basiere auf den Familienrechtsreformen, schließlich finden sich im Familienrecht die einzigen Gesetze, die zumindest teilweise auf islamischer Jurisprudenz beruhten.
Fatima Sadiqi kann Zuschreibungen, welcher Strömung von Feminismus jemand angehören würde, nichts abgewinnen. Immerhin sei alles islamischer Feminismus, gerade weil sich viele Feminist*innen in der arabischen Welt der Veränderung des islamischen Familienrechts verschreiben würden. Es gehe darum die Brücke zwischen jenem, was als säkular und jenem, was als religiös bezeichnet wird, zu schlagen. Gerade die jüngere Generation würde versuchen die Trennung zwischen Säkularem und Religiösem zu überbrücken. Ohne einer Reformierung des Familienrechtes, wozu es unbedingt die Miteinbeziehung des Staates brauche, könnten islamische Feminist*innen nicht vorankommen, so die Vortragende.
Ein weiterer bedeutender Aspekt des Feminismus in der arabischen Welt – sei er säkular oder religiös – ist, dass er nie lediglich ein Import aus dem Westen gewesen sei. Dies stellt Fatima Sadiqi fest, ohne die Interaktionen zwischen der arabischen Welt und dem Westen verleugnen zu wollen. Damit sei es ihr wichtig zu betonen, dass verschiedene Perspektiven und Zugangsweisen nicht lediglich übernommen wurden, sondern viel stärker dialogisch entwickelt hätten. Islamischer Feminismus sei für Fatima Sadiqi letztendlich der Schlüssel zur Überbrückung der Spaltung zwischen den Bedeutungen dessen, was als religiös und was als säkular markiert sei.
Situation in Österreich
Elif Adam kommentierte anschließend Fatima Sadiqis Beitrag und knüpfte dabei an die Situation in Österreich an. Der Referenzpunkt eines Zentrums unterschiedlicher ideologischer und politischer Strömungen, das Fatima Sadiqi in ihren wissenschaftlichen Arbeiten als diskursiven Raum entwickelt und analysiert, ist für Elif Adam eine Chance, Spaltungen zu überbrücken und somit eine gemeinsame Basis zu schaffen. Vor allem scheint ihr dieses von Sadiqi eingeführte Zentrum als diskursiver Raum ein interessanter Gegenstandpunkt zu den permanenten Zuschreibungen zu sein, wonach jemand als Muslim, als Feministin, als Kopftuchträgerin etc. markiert wird. In Österreich sei dies besonders ausgeprägt und führe letztendlich dazu, Formen der Solidarität von Feminist*innen zu untergraben. Solidarität bedeute dabei nicht, dass alle gleich und homogen seien, so Adam, schließlich würden wir alle in einer pluralen Gesellschaft leben wollen. Man müsse also inklusiv denken, gerade das würde in Österreich fehlen. Ihr Plädoyer geht dahin, außerhalb dieser Markierungen und Bezeichnungen zu denken. Dabei sei es nicht mehr wesentlich, ob man sich als Feministin bezeichne oder nicht, schließlich werde dasselbe angestrebt. Um die unterschiedlichen Ausprägungen und Betroffenheiten von patriarchalen Strukturen zu erkennen, argumentiert sie schließlich für einen intersektionalen Zugang. Das Konzept des Zentrums von Sadiqi beinhalte eine Plattform für verschiedene Formen von feministischen Initiativen. Es gehe darum Differenzen inklusiv einzubauen.
In der anschließenden Fragerunde wollte Helmut Krieger von Fatima Sadiqi wissen, ob ihr Konzept eines Zentrums auch das Ergebnis von Protest und Revolte des letzten Jahrzehnts sei. Sadiqi selbst versteht das Zentrum als ideologischen Raum. Es hätte den Ursprung in der Ära nach dem so genannten Arabischen Frühling. Die junge Generation würde keine Führungsfiguren mehr anerkennen und sie würden vom Staat vorgegebene Rahmen nicht mehr akzeptieren. Ein neuer ideologischer Raum wurde erkämpft, in dem abseits vorgegebener Bestimmungen und Trennlinien gedacht werden könne.
Die Publikumsfragen rückten unter anderem den vermeintlichen Widerspruch zwischen Islam und Feminismus in den Fokus. Fatima Sadiqi wies dabei eindrücklich eine vermeintlich grundsätzliche Unvereinbarkeit des Korans mit Feminismus zurück. Der Koran sei unterschiedlich interpretierbar und viele Frauen würden ihn sich nun selbstständig aneignen und ihn neu lesen. Letztendlich würde dies auch dazu führen, die alleinige Autorität von Männern über den Koran zu bekämpfen.