Die von VIDC Global Dialogue am 2.6.22 organisierten Podiumsdiskussion mit dem Titel "Kapital und Konterrevolution – die arabischen Golfstaaten im Blick“ ging der Frage nach, welche Rolle Staaten wie Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) oder Katar in der Finanzarchitektur des globalen Kapitalismus spielen, wo sie investieren und warum. Darüber hinaus wurde nicht nur ihre wirtschaftliche Macht, sondern auch ihr politisches und militärisches Eingreifen in die regionalen Aufstände und Konflikten kritisch beleuchtet. Die brutale militärische Intervention Saudi-Arabiens und der VAE im Jemen und ihre Verantwortung für die humanitäre Tragödie im Land dienten als Ausgangspunkt für die übergreifende Frage, wie diese Regime ihre wirtschaftliche Macht für ihre interventionistische Politik nutzen. Wie sind Kapital und Konterrevolution miteinander verbunden und welche Auswirkungen hat dies auf die sozialen Bewegungen in der Region?
Einleitend beschrieb die Moderatorin Magda Seewald den wachsenden Einfluss von Investitionen aus den Golfstaaten in der Welt und den damit verbundenen Zuwachs an wirtschaftlicher und politischer Macht. Golfstaaten sind maßgebliche Investoren in vielen internationalen Unternehmen, wie der Deutschen Bank oder Volkswagen. Auch Fußballvereine sind im Besitz von Unternehmen oder Personen aus der Golfregion. Mit dem Krieg in der Ukraine wird der Einfluss der Golfstaaten in der Welt vermutlich weiter zunehmen.
Die Macht der saudischen Medienmaschine
Die erste Rednerin, Safa Al Ahmad, sprach über Saudi-Arabien und seinen Einfluss auf den unmittelbaren Nachbarstaat Jemen. Sie stellte zunächst fest, dass unabhängige Meinungen und unparteiische Nachrichten in Saudi-Arabien aufgrund der Kontrolle des Regimes kaum zu erhalten sind.
Ausgehend vom Titel der Veranstaltung "Kapital und Konterrevolution" erläuterte Safa Al Ahmad, wie diese Verbindung für eine Reihe von Golfstaaten gilt. Besonders deutlich machte sie dies an der Kontrolle der Medien durch die Regime. Sogar in Katar, wo es einen hervorragenden investigativen Journalismus gibt, der zwar international tätig ist, aber nicht im eigenen Land nicht diese Rolle erfüllt.
Sie erinnerte die Zuhörer an die Aufstände in Saudi-Arabien im Jahr 2011, die nicht die gleiche Aufmerksamkeit wie in anderen arabischen Ländern erhielten. Die Forderungen, wie z. B. die Freilassung politischer Gefangener, waren im ganzen Land ähnlich, allerdings kam es nicht zu einer Vereinigung der unterschiedlichen Aufstandsbewegungen, da das Regime das Narrativ änderte und die Demonstrant*innen zu Terrorist*innen oder Unterstützer*innen des Terrors erklärte.
Journalist*innen, die vor Ort berichten wollten, liefen Gefahr verfolgt oder des Landes verwiesen zu werden, so Al Ahmad. Daher sei der Preis für unabhängigen Journalismus in den Golfstaaten oft zu hoch und "die Realität ist, dass es keinen unabhängigen Lokaljournalismus in den Golfstaaten gibt".
Diese Kontrolle der Medienberichterstattung über den Krieg im Jemen, ist sehr ähnlich, wie Al Ahmad argumentierte. Sie beschrieb den Krieg im Jemen als eine Katastrophe und sinnloses Blutvergießen. Es fänden Kriegsverbrechen statt, die Infrastruktur werde zerstört, die ehemals reiche Parteienlandschaft existiere nicht mehr, und die Medien würden stark eingeschränkt, erklärte sie. Die instabile und gefährliche Lage im Jemen komme den Saudi-Arabien und den VAE zugute, da es nicht mehr möglich sei, von dort zu berichten und die beiden Länder hätten somit freie Hand bei der Ausübung von Gewalt. Die Einschränkungen, so Al Ahmad, "sind eine direkte Folge der Fähigkeit Saudi-Arabiens und der Vereinigten Arabischen Emirate, durch Kapitel Kontrolle auszuüben."
Al Ahmad zufolge kümmert sich der Westen auch nicht um die prekäre Lage der Journalist*innen vor Ort oder um die Achtung der Menschenrechte. Vielmehr gehe es heute um Stabilität und Terrorismus. Am Beispiel der Ermordung von Jamal Khashoggi zeigte sie, dass selbst ein solches Verbrechen vor den Augen der Weltöffentlichkeit für Saudi-Arabien keine Konsequenzen hat.
"Das Kapital wird nie zu euren Gunsten sein"
Rahab El Mahdi ging in ihrem Beitrag auf die Bedeutung der Golfstaaten für die gesamte arabische Region ein, wobei sie mit der Medienlandschaft begann und bestätigte, wie schwierig es sei an unabhängige Informationen zu kommen. Sie begann ihren Vortrag mit der Feststellung, dass Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Katar bei der Finanzierung der Konterrevolution während der Aufstände in den arabischen Ländern eine führende Rolle gespielt haben. Auch wenn Katar oder Saudi-Arabien zunächst revolutionäre Kräfte in einigen Ländern unterstützten - Katar in Ägypten und Saudi-Arabien in Syrien - bedeutet dies nicht, dass sie die Revolutionen unterstützten, vielmehr führte das Kapital dieser Staaten dazu, dass die Aufstände gewalttätig und sektiererisch wurden. Auf diese Weise haben die Golfstaaten die Revolutionen durch Geld und Einfluss verändert und direkten Einfluss auf die Zivilgesellschaft genommen, indem sie entschieden haben, wohin die finanzielle Unterstützung fließt. "Die Menschen in Tunesien waren entsetzt darüber, wie die Kataris die Landschaft der tunesischen Zivilgesellschaft nach 2011 verändert haben und was das Geld aus Katar bewirkt hat." Damit hätten diese Staaten im Zuge der Revolutionen eine besondere finanzielle Machtposition eingenommen.
El Mahdi zufolge hat sich die Position der drei Länder Saudi-Arabien, Vereinigte Arabische Emirate und Katar im globalen Kapitalismus verändert. Der westliche Einfluss in diesen aber auch in anderen arabischen Ländern nimmt ab. Dafür wächst der Einfluss der Golfstaaten in anderen arabischen Staaten der Region stetig. Sie greifen ein, wenn es zu Widerstandsbewegungen gegen Regime kommt.
Ein weiterer Aspekt, den El Mahdi ansprach, war die neue herrschende Klasse in den Golfstaaten, die durch eine künstliche, nicht revolutionäre Modernisierung ihre Länder mit kosmetischen Veränderungen für viele attraktiv machen. Als Beispiel nannte sie die Einführung des Rechts für Frauen in Saudi-Arabien Autofahren zu dürfen - während diejenigen, die für das Recht zu fahren gekämpft haben, jetzt im Gefängnis sitzen. "Das konterrevolutionäre Element und die zerstörerische Herrschaft, die diese drei Länder nicht nur in ihren Gesellschaften, sondern in der gesamten Region ausüben, werden durch die Tatsache verdeckt, dass sie Veränderungen vorgenommen haben, die nur ein Teil ihrer Elite nutzt und genießt, allerdings zu einem sehr hohen Preis".
Abschließend ging Rabab auf die Auswirkungen der Normalisierung der Beziehungen zwischen den Golfstaaten, insbesondere den VAE, und Israel ein. Es handelt sich dabei nicht nur um eine wirtschaftliche oder diplomatische, sondern auch um eine gesellschaftliche Auswirkung. Dies wird Druck auf andere arabische Länder ausüben, sich ebenfalls für diese neue Normalisierung einzusetzen. Die großen Verlierer werden die Palästinenser*innen sein, die die Unterstützung aus der Region verlieren werden - insbesondere die finanzielle Unterstützung.
Wer sind die Hauptakteure der Finanzwelt am Golf?
Abschließend ging Adam Hanieh auf die Rolle der Golfstaaten im globalen Kapitalismus ein und führte aus, wie Kapital und Investitionen aus den Golfstaaten in die internationale Finanzarchitektur einfließen.
Hanieh zufolge haben die Golfstaaten eine reiche Tradition im Erdölhandel. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren sie die wichtigste ölproduzierende Region, aber in den 1960er und 1970er Jahren kam es zu einer Verschiebung in Richtung Nordamerika, was zu einer Aufteilung des Welterdölmarktes zwischen Nordamerika und dem Nahen Osten führte. Adam Hanieh betonte die Bedeutung der 1970er Jahre für die Entstehung der globalen Finanzwelt, wie wir sie heute kennen: Die finanzielle Hegemonie der USA und Großbritanniens, die wichtige Rolle der City of London, die Rolle des US-Dollars - all diese Faktoren stehen in engem Zusammenhang mit den finanziellen Überschüssen aus der Erdölproduktion der Golfstaaten.
Hanieh erläuterte ausführlich, wie sich die Geldströme aus den Golfstaaten im Laufe der Jahre verändert haben und wie globale Ereignisse, wie etwa verschiedene Krisen, die finanzielle Position der Golfstaaten gestärkt haben. Er erklärte, dass die Hauptakteure der Finanzströme aus den Golfstaaten in erster Linie die Staaten selbst, aber auch ihre Staatsfonds sind. Hanieh wies darauf hin, dass die vier größten Staatsfonds der Welt aus den Golfstaaten stammen (Abu Dhabi Investment Authority, Kuwait Investment Authority, Public Investment Fund in Saudi-Arabien, Qatar Investment Authority). Der Referent führte weiter aus, dass „wahnsinnig“ viel Geld in unterschiedlichen Formen aus diesen Staaten abfließt und in andere Länder investiert wird, sei es von staatlichen Akteuren, Unternehmenskonglomeraten oder Privatpersonen. Wobei diese verschiedenen Ebenen in den Golfstaaten oft miteinander verbunden sind, da "die Grenze, die oft zwischen dem Staat und der herrschenden Klasse oder dem Privatkapital gezogen wird, ins besonders am Golf falsch ist, weil Mitglieder der herrschenden Familie bedeutende private Geschäftsinteressen haben."
Seit der Finanzkrise von 2008, so Hanieh, könne man plötzlich eine viel größere Vielfalt erkennen, wenn man sich anschaue, wo Geld aus den Golfstaaten investiert werde, als Beispiel führte er die Deutsche Bank, Volkswagen und Daimler an. Außerdem sei aufgrund der neoliberalen Wirtschaftspolitik in der MENA-Region ein Anstieg der Investitionen in diesen Ländern zu beobachten - vor allem im Bankensektor, was ihn zu dem Schluss führte, dass die politische Macht der Golfstaaten durch ihr Kapital in der gesamten arabischen Welt zunimmt. Er verwies ebenfalls darauf, dass 20 % des weltweiten Waffenhandels im Zeitraum (2016-2020) auf die GCC-Länder entfielen. Abschließend ging Adam Hanieh auf die wesentliche Rolle des Golfkapitals im US-Aktienmarkt ein.
In der anschließenden Diskussion wurden die Investitionen von Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten in Zentralbanken anderer Länder hervorgehoben. Dies bedeutet, dass die Golfstaaten massive Macht über diese Länder haben, indem sie ihnen drohen, das Geld abzuziehen, wie sie es in Ägypten taten, als Präsident Mursi an die Macht kam.
Alle Redner*innen waren sich einig, dass die Golfstaaten die Armut, die es in ihren Ländern zweifellos gibt, nicht sehen wollen, da sich der Reichtum in den Händen einer kleinen Elite konzentriert, während Wanderarbeiter*innen, die einen großen Teil der Arbeitnehmer*innen in den Golfstaaten ausmachen, oft in keiner Statistik auftauchen.