Die eingeladenen Expert*innen aus den USA, dem Libanon und Großbritannien diskutierten darüber, ob und wie die neue US-Regierung die strategischen Leitlinien in der arabischen Region verändern wird. Der erste Teil der Veranstaltung fokussierte dabei auf die Politik der USA im Nahen Osten und auf mögliche Adaptionen und Modifikationen unter der Biden Administration. Eine Auseinandersetzung über die Aussichten und weiteren Entwicklungen von sozialen Bewegungen in der arabischen Welt und das Verhältnis zur US-Politik markierten den zweiten inhaltlichen Schwerpunkt der Veranstaltung.
In seinen einleitenden Worten bedankte sich VIDC-Projektkoordinator Michael Fanizadeh bei den Gästen für die Teilnahme und bei der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit für die Unterstützung bei der Finanzierung der Veranstaltung. Zu Beginn des Webinars stellte der Moderator Helmut Krieger dann die Frage, inwiefern die Diskutant*innen signifikante Unterschiede unter der neuen US-Administration erwarten würden, welche Kontinuitäten und Brüche unter Biden könnten eintreten?
Kontinuität der US-Außenpolitik
Omar Dahi machte seine Beobachtungen und die damit einhergehende Einschätzung der US-amerikanischen Außenpolitik an der Personaldebatte fest. Einige Namen wurden bereits für Schlüsselpositionen genannt. Auch wenn diese Besetzungen noch nicht final sind, würde die Debatte dennoch Aufschluss über zukünftige Tendenzen der US-Außenpolitik in der Region geben. So wurde Antony Blinken als Außenminister genannt, Michèle Flournoy als Verteidigungsministerin und Jake Sullivan als Nationaler Sicherheitsberater. Blinken fiel unter der Präsidentschaft Obamas durch seine sehr aktive außenpolitische Beratertätigkeit auf und Flourny werden enge Beziehungen zum militärisch-industriellen Komplex nachgesagt. Außerdem gilt sie als starke Befürworterin erhöhter Militärausgaben. Die Debatte um die Postenbesetzung signalisiere eine Restauration des traditionellen liberalen interventionistischen Sicherheitsstaates, der für die Obama Administration charakteristisch war.
Die US-Politik in Syrien ist von der Obama Administration hin zur Trump Administration von Kontinuitäten gekennzeichnet, so Omar Dahi. Dies ließe sich an mehreren Aspekten erkennen, wovon einer der militärische Aspekt sei. Durch massive Finanzierung, Ausbildungs- und andere Unterstützungsprogramme wurde in Syrien der Rahmen für einen regime change kreiert. Die USA versuche einen Sieg der syrischen Regierung und ihrer Verbündeten zu verhindern, sei andererseits aber nicht willig militärisch direkter einzugreifen. Dahi sieht in der Forcierung des regime change -wenn auch nicht durch aktives Eingreifen herbeigeführt - eine Fortführung der traditionellen US-Außenpolitik. Ein weiterer Aspekt seien die Sanktionen, die von US-Seite seit 1979 gegen Syrien verhängt wurden, sich unter der Trump Administration allerdings deutlich ausdehnten. Für Syrien stellt sich mit der neuen US-Präsidentschaft vor allem die Frage ob und inwiefern Sanktionen eingesetzt werden, um den politischen Prozess voranzutreiben, an dem Trump bekanntlich wenig Interesse zeigte.
Veränderungen erwartet
Rima Majed erwartet sich Veränderungen unter der Biden-Regierung, ähnlich wie es auch Verschiebungen von der Obama- zur Trump-Administration gab. Wahrscheinlich würde eher wieder auf traditionelle diplomatische Kanäle zurückgegriffen werden. Vor allem sei auch mit Entscheidungen zu rechnen, die explizit die Bevölkerungen in der arabischen Welt betreffen. Exemplarisch hierfür ist die von Trump vorgenommene Budgetstreichung für UNWRA (Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten). Die Entziehung der Hilfeleistung würde vermutlich unter der Biden Administration überdacht werden. Dennoch sei nicht von tatsächlichen Diskontinuitäten bisheriger US-Politik in der arabischen Welt auszugehen. Bestimmte von Trump durchgeführte wichtige Eingriffe, könnten an dieser Stelle nicht so schnell zurückgezogen werden, wie beispielsweise die Verlagerung der amerikanischen Botschaft nach Jerusalem.
Um den US-Imperialismus in der Region begreifen zu können, müsse man sich vor Augen halten, dass die USA besonders in den letzten zehn Jahren konterrevolutionäre Kräfte unterstützte. Dies sei einer der relevantesten Punkte, so Rima Majed.
Die weiteren Entwicklungen in der Region werden, auch was das Verhältnis zu den USA betrifft, unter anderen Vorzeichen stattfinden, beispielsweise durch die Auswirkungen der globalen Corona-Pandemie. Syrien, Sudan, Iran und auch der Libanon - wo das gesamte Finanzsystem gerade vor einem kompletten Kollaps steht - sind teilweise mit drastischeren humanitären Krisen konfrontiert, als es zu Kriegszeiten der Fall war. Dies gilt es zu bedenken, um die Auswirkungen des krisenhaften US-Imperialismus, zugleich eine Transition der unipolaren Weltordnung, zu verstehen.
Adam Hanieh erläuterte in seinem Beitrag mögliche Auswirkungen der Biden Administration auf die Position Israels und die Beziehung zwischen Israel und den Golfstaaten. An der Oberfläche hätte man unter Trumps Regierungszeit bereits signifikante Veränderungen wahrnehmen können. Besonders die Normalisierung der Beziehung zwischen den Vereinigten Arabischen Emiraten, Bahrain und Israel, vermutlich in naher Zukunft gefolgt von Annäherungen mit Saudi-Arabien, seien hierfür exemplarisch. Allerdings müssten diese Entwicklungen in der längeren geopolitischen und strategischen Ausrichtung der US-Politik gesehen werden. Historisch betrachtet fokussierte die US-Politik in der Region einerseits auf Israel andererseits auf die Golfstaaten, vor allem auf Saudi-Arabien. US -Administrationen seien seit den 1990ern und den frühen 2000er Jahren bemüht um eine Annäherung dieser beiden regionalen Säulen. Sichtbar wurde dies durch das Oslo Abkommen, oder die unter der Bush Administration forcierte Freihandelszone zwischen den USA und mehreren arabischen Staaten. Die Ausrichtung der Nahost-Politik unter Präsident Trump repräsentiere weniger einen Bruch mit der US-Politik der letzten Jahrzehnte, sondern brachte die strategische Logik der Vereinigten Staaten in vielerlei Hinsicht sogar auf einen Höhepunkt.
Adam Hanieh prognostiziert für die Biden-Administration grundsätzlich keine Abweichung von dieser Linie, dennoch wird es seiner Meinung nach leichte kosmetische Veränderungen geben. Im Hinblick auf Palästina wäre eine Rückkehr zu „Friedensverhandlungen“ denkbar. Möglicherweise könne man unter Biden mehr Engagement zur Beendigung des Krieges im Jemen erwarten, oder auch die Wiederaufnahme der Gespräche mit dem Iran. In Summe schätzt Hanieh alle erwartbaren Entwicklungen unter Biden nicht als Abweichung der US-Leitlinie im Nahen Osten ein, selbst wenn sie Trumps Politik auf den ersten Blick nicht ähneln mögen.
Auswirkungen auf Soziale Bewegungen
Der Einfluss der Vereinigten Staaten in der arabischen Welt würde abnehmen, was unter anderem daran liegt, dass die internationale Bühne vor Ort von multiplen Playern bespielt wird. Omar Dahi brachte in diesem Kontext die Debatte rund um strategische Interessen der USA in Syrien ein. Unter Pompeo sei die US-Politik vor Ort weniger an Syrien per se interessiert als an der Zurückdrängung der Präsenz Irans und Russlands. Biden würde hingegen Unterstützung für eine politische Transition in Syrien signalisieren, vermutlich trotz allem weit entfernt von den Bestrebungen der Mehrheit syrischer Oppositioneller. Allerdings wird sich die Biden-Administration in Syrien - welche Ambitionen sie auch immer haben wird - vielen Hürden entgegenstellen müssen, vor allem wegen der vielen Akteur*innen die eine Vetomacht haben.
Rima Majed wies auf die politische Sackgasse und die sehr fragile Situation im Libanon hin. Trump könne in seiner verbleibenden Amtszeit noch immer viel Schaden mithilfe von Sanktionen anrichten und die Region somit weiter destabilisieren. Libanon, Syrien und der Irak seien von der US-Zurückdrängungspolitik des iranischen Einflusses betroffen. Des Weiteren könne die USA eine wichtige Rolle bei einer Ermöglichung von IWF-Interventionen im Libanon und möglicherweise im Nachkriegssyrien spielen. Biden kündigte für den Libanon an, nicht zu den Sanktionen zurückkehren zu wollen, die gegen einzelne Verbündete der Hisbollah mit der Argumentation der Korruption verhängt werden. Die einseitige Verhängung der Sanktionen hätte die Gesellschaft im Libanon noch mehr gespalten. Zuletzt betonte Rima Majed noch, die globale Dimension der Kämpfe in der arabischen Region. Es gehe um eine globale Auseinandersetzung zwischen Imperialismus und progressiven Kräften.
Gegen Ende des Webinars diskutierte Adam Hanieh den Charakter der veränderten Beziehung zwischen Israel und manchen der Golfstaaten. Es sei nicht bloß eine politische Normalisierung, vielmehr handle es sich um eine ökonomische Normalisierung. Darüber hinaus widmete er sich der Frage wie sich die US-Politik auf den palästinensischen Widerstand auswirken kann. Dabei hat er auf die Bedeutung des Rückkehrrechts der palästinensischen Bevölkerung verwiesen und darauf, dass die Palästina Frage nicht isoliert auf palästinensischer Ebene gelöst werden kann, sondern eine regionale Dimension hat. Austerität und Neoliberalismus haben die Ungleichheiten in der gesamten Region verschärft. Auch in Palästina klaffte die Bevölkerung sozioökonomisch auseinander, implementiert durch die Bestimmungen des Oslo Abkommens. Zuletzt sei es wichtig, so Hanieh, sowohl die politische als auch die ökonomische Dimension miteinzubeziehen, um Entwicklungen in der Region einzuordnen.