Das VIDC bietet seit Jänner 2020 Trainings zur Stärkung afghanischer Frauen mit interkulturellen Trainerinnen-Tandems an. Ein Tandem besteht aus einer Gender-Expertin mit Trainingserfahrung aus der Mehrheitsgesellschaft und einer Expertin, die mit der afghanischen Kultur und Geschichte bestens vertraut, Dari und meistens auch Paschto spricht und in der Community engagiert ist. Die Trainings bestehen aus vier Modulen zu den Themen Gender und Frauen-Empowerment, psychische Gesundheit, Beziehung und häusliche Gewalt, und gesellschaftliche Teilhabe. Bei Bedarf verweisen die Trainerinnen an ausgewählte Beratungsstellen oder laden Expert*innen in die Trainings ein. Rund 75 afghanische Frauen im Alter von 17 bis 40 Jahren besuchten bisher die Trainings.
Aadilah Amin und Lena Gruber führten als interkulturelles Tandem Trainings durch und sprechen über ihre Erfahrungen.
Gruber: Was konnten unsere Trainings deiner Meinung nach bewirken?
Amin: In dem Training ging es um das Empowerment afghanischer Frauen. Es sollte den Frauen die Möglichkeit gegeben werden, sich über ihre Ziele, Wünsche und Fähigkeiten klar zu werden, ihre Erfahrungen zu reflektieren, Geschlechtervorstellungen zu hinterfragen und Tabuthemen anzusprechen. Ein wesentlicher Aspekt war auch, zu besprechen, wie ich reagieren kann, wenn es zu Hause Gewalt gibt. Deswegen hatten wir einen Besuch von einer Mitarbeiterin der Wiener Frauenhäuser. Es sollte ein Raum nur für Frauen geschaffen werden, um sich gegenseitig zu empowern, zu unterstützen, Erfahrungen zu teilen und Kontakte zu knüpfen. All das wurde in unserem Training erreicht.
Wir haben viele schwierige Themen besprochen.
Wo bist du an deine Grenzen gestoßen?
Gruber: Herausfordernd sind die Grenzen, die das Trainingssetting an sich bringt. Als Trainerin muss man akzeptieren, dass man keine Beraterin ist und nur in Ausnahmefällen Termine außerhalb des Trainings mit den Frauen vereinbaren kann. Dafür haben wir weder die Ausbildung noch die Ressourcen. An meine Grenzen bin ich auch gestoßen, wenn viel Dari gesprochen wurde. Schön war in diesen Situationen aber - das war auch der Sinn der Trainerinnen-Tandems – dass ich dir voll und ganz vertraut habe, und dass ich akzeptiert habe, nicht alles verstehen zu müssen, weil das Training nicht für mich stattfindet, sondern einzig und allein für die Frauen.
Wie war das bei dir – du warst meistens die Hauptansprechperson?
Amin: Normalerweise schweigen afghanischen Frauen über Dinge, die zu Hause passieren. Man möchte immer innerhalb der Familie bleiben und den Schein wahren. Deswegen hat es mich überrascht, als sich die Frauen geöffnet haben. Manche haben nicht direkt über persönliche Erfahrungen gesprochen, sie haben z.B. gesagt „meine Freundin wurde von ihrem Mann geschlagen…“. Das waren Ereignisse, wo mein Kopf nicht weiterdenken konnte und wo ich nicht realisieren wollte, dass es so etwas gibt.
Eine Frau hat mir anvertraut, dass sie für ihre Tochter keine Schule findet und bat mich um Hilfe. Sie war verzweifelt, denn sie war mit dem österreichischen Schulsystem nicht vertraut. Ich habe ihr Namen von Schulen geschickt, wo die Tochter sich noch anmelden konnte. Leider hat die Familie bei der Anmeldung negative Erfahrungen aufgrund von Islamophobie gemacht.
Dabei habe ich gemerkt, dass ich nicht alles beeinflussen kann und mich auch abgrenzen muss.
Gruber: Es ist schwierig während eines Trainingszyklus eine Beratungs- oder Anlaufstelle zu empfehlen, und dann macht die betroffene Frau dort negative Erfahrungen. Deshalb haben wir die Stellen sehr gut ausgewählt und persönlich kontaktiert, bevor wir die Trainings begonnen haben. Auch das Thema der Abgrenzung, das du ansprichst, haben wir im Laufe der Trainings bearbeitet. Für die vielen Fragen als Trainerin – Wie soll ich eine Teilnehmerin zu einer Beratungsstelle begleiten? Oder Soll ich die Teilnehmerin anrufen und nachfragen, wie es ihr geht? – haben wir mit einer Psychologin Strategien besprochen. Diese begleitet jetzt auch die Trainerinnen als Supervisorin.
Sie hat uns daran erinnert, die Frauen, die oft häusliche oder kriegsbedingte Gewalt erfahren haben, nicht als Opfer, sondern als Überlebende zu sehen.
Amin: Es ist auch wichtig im Kopf zu behalten, dass es für eine Frau bestärkend wirkt, wenn sie Herausforderungen allein überwindet, wenn sie lernt eine Beschwerde einzubringen und ihre Rechte einzufordern. Alle Teilnehmerinnen sind starke, selbstständige Frauen. Wir wollen den Teilnehmerinnen nicht vermitteln: Seht her, wir können schon alles und zeigen euch wie es geht.
Als Trainerin sollte man die Grundeinstellung haben, nicht die Allwissende zu sein, sondern auch selbst viel mitnehmen zu können.
Gruber: Das ist ein guter Punkt. Die Trainings waren für mich sehr bereichernd. Ich habe viel über die afghanische Kultur und Geschichte gelernt, was ich mit Bekannten geteilt habe. Es ist wichtig, sich mehr damit zu beschäftigen was Frauen und auch Männer, die geflüchtet sind, erlebt haben, was sie denken und wie es ihnen geht, damit Menschen, die in Österreich geboren und aufgewachsen sind, Empathie entwickeln und Vorurteile abbauen.
Vielleicht konnten das die österreichischen Trainerinnen auch ein Stück weit in ihrem Umfeld bewirken?
Amin: Welche Vorteile siehst du in dem interkulturellen Tandem?
Gruber: Es hat eine Vorbildwirkung für die Teilnehmerinnen, dich – eine selbstbewusste, gebildete Frau aus der eigenen Community – als Trainerin zu sehen, die auf Augenhöhe mit der österreichischen Trainingspartnerin arbeitet. Beim Ansprechen von heiklen Themen wie Sexualität, Körper oder psychische Gesundheit konnten wir uns als Trainerinnen in unseren Rollen gut aufteilen. Provokante Fragen können vielleicht von einer Person außerhalb der Kultur eher gestellt werden. Wohingegen Tabuthemen meist eher mit der Trainerin aus der gleichen Kultur besprochen werden. Wir wollen auf gar keinen Fall vermitteln, dass in Österreich Gleichberechtigung herrscht und in Afghanistan alle Frauen unterdrückt werden.
Es ist wichtig, dass beide Trainerinnen ein differenziertes Bild vermitteln, und ich denke das haben wir geschafft.
Darf ich dich fragen, was für dich der prägendste Moment im Training war?
Amin: Mir fällt eine Frau ein, die von Kriegsgewalt gesprochen hat, gleich in der ersten Einheit. Wir hatten eine Übung mit Bildern gemacht, jede Frau sollte sich ein Bild aussuchen, mit dem sie etwas über sich selbst assoziiert. Sie hat ein Bild von einem zerbrochenen Herz genommen und gesagt: „Das Herz ist wie eine Glasscheibe. Wenn es einmal bricht, dann ist es schwer, es zusammenzusetzen.“ Sie hat von einer Bombardierung in Afghanistan gesprochen, wo es viele Verletzte gab. Diese Frau wollte den anderen etwas vermitteln, indem sie sich gleich in der ersten Einheit geöffnet hat. Nach und nach haben sich viele Frauen geöffnet.
Das war bemerkenswert und auch erschaudernd zugleich, da wir einige Berichte von gewaltvollen Erfahrungen gehört haben.
Gruber: Ich habe mich bei der Entwicklung und Durchführung der Trainings oft mit der Frage beschäftigt: Ist es richtig, dass wir solche Erfahrungen durch unsere Trainings hochkommen lassen? Ich bin aber immer wieder zu dem Schluss gekommen, dass es trotzdem positiv ist. Das hat auch meine Erfahrung mit anderen Frauengruppen in Nachkriegssituationen gezeigt. In den Gruppen war immer viel Stärke und Positives. Wenn eine Frau von Erlebnissen erzählt und sich öffnet, hat sie die Gruppe aufgefangen. Auch das Erzählen von negativen Erlebnissen befreit und bestärkt.
Wenn wir dann die Frauen, die professionelle Hilfe brauchen, an die richtige Stelle weiterverweisen können, haben wir viel bewirkt.
Amin: Ich habe auch sehr viele positive Erinnerungen, wo ich bemerkt habe, dass das Training bei den Frauen angekommen ist. Die Frauen haben sich eingebracht, sind aufgestanden, haben über Ungerechtigkeiten geredet. Zum Beispiel hat die Gruppe darüber diskutiert, dass Männer grenzenlose Jobchancen haben. Sie haben über ihre beruflichen Träume und Pläne gesprochen. Viele haben den Wunsch bekundet, dass sie gerne einen typischen „Männerjob“ ausüben würden.
Ein anderes Thema, für das sich viele Frauen von Interesse war, war Trauma. Als wir ihnen erklärt haben, was Trauma ist, hörten alle Frauen gespannt zu. Sie stellten viele Fragen und brachten ihre Erfahrungen ein. Danach machten wir eine Hörübung mit einem bestärkenden, beruhigenden Text auf Dari. Wir haben dann Ideen und Tipps gesammelt, was sie tun können, um sich als Frau besser zu fühlen. Die Teilnehmeinnen haben so schöne Sachen genannt: Spaziergänge machen, Feste feiern, mit einem Kind spielen, eine Freundin treffen, usw. Da war ein reger Austausch zwischen ihnen. Die Frauen haben zusammengehalten. Sie haben über ihre Wurzeln nachgedacht, über sich selbst erzählt, über das, was sie geschafft haben und haben über ihre Ziele gesprochen. Im Training gab es eine Frau, die gesagt hat: „Ich bin der einzige Grund für die Liebe dieser Welt. Weil ich auf dieser Welt existiere, blühen die Blumen. Nur aufgrund meiner Existenz ist die Welt so schön. Ich liebe mich selbst.“