Um Veränderungen zu bewirken, müssen wir unser Denken ändern. (Nikita Dhawan)
Globale wirtschaftliche und politische Verwerfungen, inklusive einer zunehmenden Ungleichheit in und zwischen den Ländern. Die Zunahme an Konflikten und Kriegen und der dadurch angeheizte Sicherheitsdiskurs. Der schärfer werdende Ton zwischen dem „Westen“ und dem – wahlweise – „Osten“ oder dem „(Globalen) Süden“. Das Infragestellen „aufgeklärt-westlicher Werte“ und die Krise der Demokratie. Und über allem die existenzbedrohende Umwelt- und Klimakrise. Vor allem die Grenzen unseres Planeten scheinen uns zunehmend vor Probleme zu stellen, die wir nicht lösen können.
Ist die Art, wie wir auf Krisen reagieren, schon Teil der Krise? Können wir am Erbe der Aufklärung, der Basis der Moderne, festhalten? Denn die Aufklärung steht nicht nur für Vernunft und Freiheit, sondern auch für die Idee einer Zivilisierungsmission Europas, die die brutale Kolonisierung der „Unzivilisierten“ in Afrika, Asien und Lateinamerika rechtfertigen sollte. „Frauen, nicht-westliche Subjekte“ wie auch die „Natur“ galt „es zu kontrollieren, zu beherrschen und zu unterwerfen“, wie Nikita Dhawan in ihrem neuen Buch „Die Aufklärung vor Europa retten. Kritische Theorien der Dekolonisierung“ schreibt. Der Kolonialismus, so Dhawan, hinterlässt nach wie vor „seine Spuren in den geopolitischen, sozialen und wirtschaftlichen Fragen der Gegenwart“. Höchste Zeit also, „blinde Flecken“ zu hinterfragen und das „giftige Erbe“ der Aufklärung mitzudenken.
In ihrem im Oktober 2024 erschienenen Buch unternimmt die Professorin für politische Theorie und Ideengeschichte den Versuch, postkoloniale, queer-feministische Theorien und Theorien der Aufklärung zusammenzudenken. Postkoloniales kritisches Denken steht für sie weder einfach in Opposition zur Aufklärung noch ist es mit ihr unvereinbar, insbesondere wenn es um Normen der Aufklärung wie Demokratie, Gleichheit, Freiheit und (globale) Gerechtigkeit geht. Die Dekolonisierung der Aufklärung kann uns dazu anregen, „die Welt zu verändern, um sie weniger gewalttätig und ungerecht zu machen.“
Im Gespräch:
Nikita Dhawan
Nikita Dhawan ist Professorin für Politikwissenschaft mit Schwerpunkt Politische Theorie und Ideengeschichte an der TU Dresden. Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen Globale Gerechtigkeit, Menschenrechte, Demokratie und Dekolonisation. Ihr aktuelles Buch “Die Aufklärung vor Europa retten” (Campus Verlag) wurde im November 2024 in die ZEIT-Bestenliste Sachbuch aufgenommen. Zu ihren zahlreichen weiteren Publikationen gehören unter anderem “Decolonizing Enlightenment: Transnational Justice, Human Rights and Democracy in a Postcolonial World” (Hg. 2014), “Global Justice and Desire: Queering Economy” (Mithrsg. 2015) und “Postkoloniale Theorie: Eine kritische Einführung” (2020).
Nikita Dhawans wissenschaftliche Karriere begann in Mumbai, Indien, wo sie Philosophie und German Studies sowie Gender Studies studierte. Nach Ihrer Promotion an der Ruhr-Universität Bochum war sie ab 2006 an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, der Justus Liebig Universität Gießen und der Goethe Universität in Frankfurt am Main tätig. 2014 folgte dann der Ruf an die Universität Innsbruck, wo Nikita Dhawan bis 2018 die Professur für Politische Theorie mit Schwerpunkt Frauen- und Geschlechterforschung innehatte.
Martina Neuwirth (VIDC Global Dialogue)
Martina Neuwirth ist Projektkoordinatorin bei VIDC Global Dialogue. Ihre Arbeitsbereiche umfassen Klimagerechtigkeit & gerechter Wandel (Just Transition) sowie internationale Wirtschafts- und Finanzpolitik, mit einem Fokus auf die internationale Steuerpolitik und ihre Auswirkungen auf den Globalen Süden.
Einleitung: Lucile Dreidemy
Lucile Dreidemy ist Professorin für Zeitgeschichte am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien und Mit-Herausgeberin von "Stimmen des Antikolonialismus. Eine globalhistorische Spurensammlung 1615-1915" (2025).