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Afghanistans Friedensgespräche. Ein Weg ins Nirgendwo?

Bericht vom Webinar am 26. April 2021

Podium


Fawzia Koofi

ist Mitglied des Teams für die Friedensverhandlungen der Islamischen Republik Afghanistan und wurde kürzlich für den Friedensnobelpreis nominiert. Nach dem Sturz der Taliban begann sie ihr Jus-Studium, während sie sich weiterhin bei UNICEF Afghanistan für die Rechte von Frauen und Kindern einsetzte.

Sima Samar

ist eine bekannte Verfechterin der Menschen- und Frauenrechte in Afghanistan. Im Juni 2002 wurde sie zur ersten Vorsitzenden der Unabhängigen Menschenrechtskommission Afghanistans (AIHRC) ernannt. Vor kurzem wurde sie zum neuen Mitglied des High-Level Advisory Board on Mediation des Generalsekretärs der Vereinten Nationen ernannt.

Bilal Sarwary

ist ein afghanischer Journalist mit Sitz in Kabul. Er ist ein ehemaliger langjähriger Produzent und Reporter für das BBC World Service. Er machte 2010 seinen Abschluss am Middleburry College in Vermont/USA mit dem Schwerpunkt auf den zentralen Zusammenhängen zwischen Kriegsführung, Drogen und Terrorismus.

Rahela Sediqi

ist Gründungsdirektorin der Diaspora-Organisation Rahela Trust (früher Farkhunda Trust), Großbritannien. Sie ist Mitglied des Lenkungsausschusses für den Afghanistan Mechanism for Inclusive Peace (AMIP) sowie Mitbegründerin und strategisches Mitglied des Afghan Women's Network.

Sana Safi

ist eine Hauptmoderatorin für die tägliche BBC News Pashto TV-Nachrichtensendung, BBC Naray Da Wakht (BBC World Right Now). Fast 1,5 Millionen Menschen sind mit ihr über soziale Medien (Facebook, Twitter und Instagram) verbunden.

Ali Ahmad

ist Doktorand am Department für Migration und Globalisierung der Donau-Universität Krems . Zudem arbeitet er seit 2015 als Konsulent für das VIDC und hat Forschungsarbeiten über afghanische Flüchtlinge und Diaspora-Gemeinschaften in Europa verfasst.

Adrien Bory

ist Projektkoordinator im Diaspora-Programm des Danish Refugee Council. Er leitet die Initiative " Afghan Diaspora Engagement in Europa".

Autoren

Ali Ahmad, Donau-Universität Krems/VIDC und Michael Fanizadeh, VIDC

Afghan Diaspora Engagement in Europe (ADEE)


Die Podiumsdiskussion war Teil der ADEE-Initiative des DRC im Rahmen des Diaspora-Programms in Zusammenarbeit mit dem VIDC. Das Projekt zielt darauf ab, einen verstärkten Dialog und mehr Handlungsfähigkeit innerhalb der afghanischen Diaspora in Europa sowie zwischen der afghanischen Diaspora und der afghanischen Regierung zu ermöglichen. Dieses neue Projekt soll die Koordination verbessern, die Zusammenarbeit zwischen den Organisationen verstärken und der afghanischen Diaspora in Europa ein höheres Maß an Beteiligung und Einfluss verschaffen.

Kommende Online-Veranstaltungen werden Themen behandeln wie: Asyl, Integration, Advocacy zur Situation in Afghanistan & Konsultationen zum  Diaspora-Engagement Programm der afghanischen Regierung.

Kooperationen


Das VIDC und das Danish Refugee Council (DRC) organisierten eine Podiumsdiskussion zum afghanischen Friedensprozess. Die Diskussion trug den Titel “Afghanistan Peace Talks: A Road to Nowhere?” Das Podium bildeten Fawzia Koofi (Mitglied der afghanischen Friedensdelegation), Sima Samar (ehemalige Leiterin der unabhängigen afghanischen Menschenrechtskommission), Bilal Sarwary (afghanischer Journalist mit Sitz in Kabul) und Rahela Sediqi (Vertreterin der afghanischen Diaspora in Europa). Die Diskussion behandelte die Chancen für den Friedensprozess sowie auf einen dauerhaften Waffenstillstand zwischen der Regierung und den Taliban, den Abzug der US-Truppen aus Afghanistan und die Rolle der afghanischen Diaspora. Die BBC-Journalistin Sana Safi moderierte die 90-minütige Online-Diskussion.

Rückzugsankündigung von Biden schockierte die afghanischen Friedensvermittler*innen

„Als Präsident Biden (am 14. April) den Truppenabzug ankündigte, hat uns das alle überrascht. Der knifflige Teil war der bedingungslose Truppenabzug, denn auch wenn der Abzug auf dem Doha-Abkommen basierte, sind die vier Elemente des Doha-Abkommens miteinander verknüpft“, sagte Fawzia Koofi, die bis dahin glaubte, dass eine politische Lösung zum Abzug der ausländischen Truppen aus ihrem Land führen würde. Laut dem US-Taliban-Deal, der im Februar 2020 unterzeichnet wurde, sollten die US-Truppen bis zum 1. Mai 2021 aus Afghanistan abziehen, im Gegenzug sollten die Taliban ihre Beziehungen zu allen internationalen Terrorgruppen abbrechen. Dazu gehören Al-Qaida und deren Ableger-Netzwerke in Pakistan. Ein weiteres Element war, dass die Taliban Friedensverhandlungen mit der afghanischen Regierung aufnehmen und Maßnahmen ergreifen sollten, um zu verhindern, dass Terrorgruppen Afghanistan nutzen, um die Sicherheit der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten zu bedrohen. Schließlich sicherte das Abkommen die Freilassung von bis zu 5.000 Gefangenen der Taliban in Afghanistan zu. Die USA setzten die afghanische Regierung unter Druck, diese Gefangenen freizulassen, bevor die afghanische Regierung und die Taliban im September letzten Jahres ihr erstes Treffen abhielten. Koofi behauptete, die afghanische Regierung habe diese große Zahl von Gefangenen jedoch in „gutem Glauben“ freigelassen und das obwohl die afghanische Regierung nicht zu den Unterzeichner*innen des Abkommens gehörte. Einige der Freigelassenen seien aber mittlerweile auf das Schlachtfeld zurückgekehrt und die Taliban hätten ihre Verbindungen zu transnationalen Terrorgruppen auch noch nicht gekappt und genießen immer noch Zufluchtsorte in Pakistan.

Exit-Strategie der USA

Laut Bilal Sarwary nutzten die US-Amerikaner*innen das Abkommen zwischen den USA und den Taliban als einen Exit-Deal mit vielen geheimen Teilen. Das größte Druckmittel, das die afghanische Regierung hatte, war die Freilassung von 5.000 Gefangenen, die unter immensem Druck der USA freigelassen wurden. Der Deal habe das Gemetzel und die Gewalt in Afghanistan nicht beenden können, sagte Sarwary. Nach Angaben der United Nations Assistance Mission for Afghanistan (UNAMA) kamen im Jahr 2020 insgesamt 3.035 afghanische Zivilisten ums Leben und weitere 5.785 wurden verletzt. Im ersten Quartal des Jahres 2021 wurden weitere 1.783 Zivilisten entweder getötet oder verletzt.   

„Wenn wir über diese Opfer sprechen, reden wir von Särgen, die in abgelegene Gebiete von Badakhshan, Takhar oder Samangan zurückkehren. Jeder Sarg fällt buchstäblich wie ein Donnerschlag auf eine Familie. Es gibt Fälle, in denen ganze Familien bei all diesen Angriffen ausgelöscht wurden“, sagte Sawary, als er über den Verlust von Menschenleben nachdachte, für die alle Parteien des Konflikts verantwortlich sind. Er warnte zudem, dass der Konflikt weiter eskalieren wird, wenn es keinen Waffenstillstand und keinen glaubwürdigen, dauerhaften Friedensprozess gäbe.

Eskalation des Konflikts in Abwesenheit der US-Luftwaffe

Die Gespräche zwischen der Regierung und den Taliban gerieten seit dem Amtsantritt der Biden-Administration im Januar ins Stocken, wobei das Ziel darin bestand, das Abkommen zwischen den USA und den Taliban zu überdenken. Mit einem neuen Zeitplan, der im April bekannt gegeben wurde, legte Präsident Biden ein neues Datum für den Abzug der US-Truppen aus Afghanistan fest, der am 1. Mai 2021 beginnen und am 20. Jahrestag der Anschläge vom 11. September 2021 enden wird.  Die verbleibenden 2.500 US-Soldaten haben zum 1. Mai formell mit dem Abzug aus Afghanistan begonnen. Bilal Sarwary befürchtet, dass mit dem Abzug der US-Truppen aus Afghanistan eine neue Phase des Konflikts und des Blutvergießens beginnen wird. Laut Sarwary haben die ausländischen Streitkräfte die afghanischen Sicherheitskräfte bei der Zurückdrängung der Taliban mit Luftschlägen unterstützt. Bidens Entscheidung wird "riesige Konsequenzen" haben, warnte auch die ehemalige US-Außenministerin Hilary Clinton.  

„Der Krieg in Afghanistan war nie dazu gedacht, ein generationenübergreifendes Projekt zum Aufbau einer Nation zu sein“, erklärte Joe Biden während seiner Rede vor einer gemeinsamen Sitzung des Kongresses am 29. April 2021. „Wir sind nach Afghanistan gegangen, um die Terroristen zu holen, die uns am 11.9.2001 angegriffen haben“, sagte Biden vor dem Kongress. Am 2. Mai 2011 tötete das US-Militär den Drahtzieher der 9/11-Anschläge, Osama bin Laden, im pakistanischen Abbottabad, einer kleinen Stadt in der Nähe von Islamabad.
Fawzia Koofi sagte, die Vereinbarung zwischen den USA und den Taliban habe bei den Taliban ein falsches Gefühl des Triumphs hervorgerufen. „Wenn sie (die Taliban) am Verhandlungstisch nicht bekommen haben, was sie wollen, dann erwarten sie einen Sieg auf dem Schlachtfeld. Diese Mentalität des Sieges hat uns vor eine große Herausforderung gestellt und uns daran gehindert, früher eine Einigung zu erzielen“, berichtete Koofi. In ähnlicher Weise äußerte sich Bilal Sarwary, der unlängst weite Teile Afghanistans bereist hat, darunter auch von den Taliban kontrollierte Gebiete. Die militärischen Führer und Kommandeure der Taliban würden an ihren militärischen Sieg glauben und ihre Kämpfer „Soldaten des Sieges“ nennen.

Sima Samar identifizierte eine Reihe von Fehlern, die die USA seit Beginn der Verhandlungen zwischen den USA und den Taliban begangen haben. Erstens gaben die USA den Taliban viel mehr Anerkennung, als sie (die Taliban) verdienten. Zweitens untergruben die USA die Beteiligung der legalen afghanischen Regierung während der gesamten Friedensgespräche, unabhängig davon, wie beliebt die afghanische Regierung innerhalb Afghanistans ist. Drittens warf Samar der afghanischen Regierung vor, dass sie es nicht geschafft habe, das afghanische Volk bei den Friedensprozessen zu vereinen. Für Sima Samar sind die gegenwärtigen Friedensgespräche zudem nicht inklusiv genug, weil die Opfer des Krieges, Minderheiten und die Zivilgesellschaft nicht vertreten sind. 

Kein Frieden in Abwesenheit von Menschenrechten

Ein umfassender Waffenstillstand hätte ganz oben auf der Tagesordnung der aktuellen Friedensgespräche gestanden, wenn Samar die Gespräche mit den Taliban aufgenommen hätte. "Ein Waffenstillstand ist gut und ein grundlegender Schritt zur Friedenskonsolidierung, um das Blutvergießen und Töten zu stoppen und keine weiteren Wunden in der Gesellschaft zu verursachen, aber das ist kein Frieden. Wir müssen uns für einen nachhaltigen und dauerhaften Frieden in Afghanistan einsetzen, indem wir die Menschen, die sich für die Demokratie oder die Republik einsetzen, einbeziehen und das Leiden der Menschen anerkennen", erklärte Samar während der digitalen Diskussion.  Sie betonte auch, dass die Wahrung der Menschenrechte und der Rechte der Frauen eine Hauptbedingung während des gesamten Friedensprozesses sei. "Wenn wir die Menschenrechte nicht schützen, dann wird es keinen Frieden geben, sondern nur ein kurzfristiges politisches Abkommen", sagte Samar.

Während der monatelangen Verhandlungen mit den Taliban sei der Waffenstillstand die oberste Priorität für die afghanische Regierungsdelegation gewesen, erklärte Fawzia Koofi, während die Einrichtung einer „islamischen Struktur“ für die Taliban Priorität habe, ohne näher darauf einzugehen, wie diese „islamische Struktur“ aussehen würde. Samar äußerte ähnliche Bedenken hinsichtlich der mangelnden Klarheit über die Auslegung der Scharia durch die Taliban oder die islamische Ordnung, die sie (die Taliban) für Afghanistan anstreben.  

Afghanische Diaspora soll sich für Frieden einsetzen

Während der Taliban-Herrschaft 1996-2001 war es Frauen verboten, eine Ausbildung zu absolvieren, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen und zu arbeiten. Nun wird befürchtet, dass der Abzug Afghanistan in die Zeit vor der Invasion zurückversetzt, als die afghanischen Frauen ihre grundlegenden Rechte verloren hatten. Rahela Sediqi ist zutiefst besorgt darüber, was mit Millionen von Mädchen in den Schulen und zusätzlich mit Tausenden von Frauen in der Armee, der Polizei und der Zivilgesellschaft geschehen wird, wenn die internationalen Streitkräfte Afghanistan verlassen. "Wer wird die Rechte der Frauen in einem Afghanistan nach dem Abzug garantieren?", fragte Sediqi. In ihrer Rede über die Rolle der afghanischen Diaspora beim Friedensprozess forderte Sediqi die afghanische Diaspora auf, sich in den Ländern, in denen sie leben, auf organisierte Weise für einen fairen und gerechten Frieden in Afghanistan einzusetzen.

Um eine politische Lösung zu erreichen, wollte die Türkei eine von den Vereinten Nationen geleitete Konferenz über den afghanischen Friedensprozess ausrichten, die am 24. April beginnen hätte sollen. Aber die Taliban weigerten sich, daran teilzunehmen, „bis alle ausländischen Truppen vollständig aus unserer Heimat abgezogen sind", sagte der Sprecher der Aufständischen. Die Gespräche sollen nun wie geplant nach dem Ramadan, dem heiligen Fastenmonat der Muslime, der heuer am 12. Mai endete, fortgesetzt werden. Koofi ist jedoch nicht zuversichtlich, dass die Gespräche jemals stattfinden werden. Sie warnte, dass die Situation immer komplizierter wird.