Umsetzbare Maßnahmen gegen Arbeitsausbeutung von Erntearbeiter*innen in Österreich

Progamm und Mitwirkende


Konferenzprogramm
 

Inputgeber*innen Workshop
 

Walter Medosch

ist Generalsekretär des österreichischen Landarbeiterkammertages (Dachorganisation der Landarbeiterkammern) und Kammeramtsdirektor der Niederösterreichischen Landarbeiterkammer (LAK). Als Generalsekretär koordiniert er die Interessen der Landarbeiterkammern in Bezug auf Gesetzesvorlagen im Arbeits- und Sozialrecht sowie für die Beschäftigten in der Land- und Forstwirtschaft.
 

Susi Haslinger

ist in der Produktionsgewerkschaft (PRO-GE) für Sozialpolitik und Grundlagenarbeit zuständig. Sie ist Mitbegründerin der Sezonieri Kampagne, die sich für die Rechte von Erntearbeiter*innen in Österreich einsetzt. Die Kampagne ist eine Initiative von PRO-GE, MEN-VIA - Unterstützung für männliche Betroffene von Menschenhandel, LEFÖ - Beratung, Bildung und Begleitung für Migrantinnen, ÖGB-Kompetenzforum Migration sowie von unabhängigen Aktivist*innen.


Stephan Wöckinger

ist beim Amt der oberösterreichischen Landesregierung Referatsleiter der Land- und Forstwirtschaftsinspektion. Diese Aufsichtsbehörde überprüft durch Betriebskontrollen die Einhaltung des seit Juli 2021 gültigen Landarbeitsgesetzes, das die Arbeitszeit, Lohnzahlung und sicherheitstechnische Aspekte von Erntearbeiter*innen regelt.


Manuela Hargassner-Delpos

arbeitet in der Sektion Arbeitsmarkt im Arbeitsministerium. Von 2017 bis 2020 war sie Mitglied im Employment Committee in der Europäischen Kommission und 2020 Vorsitzende der dortigen Policy Analysis Group. Seit September 2020 ist sie National Liaison Officer in der European Labour Authority (ELA).


Martin Jones

ist Leiter der Compliance Abteilung der britischen Behörde für Bandenwesen und Arbeitsausbeutung (Gangmasters and Labour Abuse Authority). Zuvor war er 22 Jahre lang in der Royal Air Force tätig, wo er sich in mehreren Ländern als spezialisierter Ermittler mit allen Ebenen der Kriminalität und dienstleistungsorientierten Disziplinarangelegenheiten befasst hat.

Autor*innen


Nadja Schuster, VIDC Global Dialogue 
Maryam Alemi, Internationale Organisation für Migration (IOM)

Kooperationen

Bericht des VIDC/IOM Workshops im Rahmen der Konferenz „Follow the Money – Finanzielle Aspekte der Bekämpfung des Menschenhandels“ der österreichischen Task Force zur Bekämpfung des Menschenhandels, 13. und 14. Oktober 2021


Der VIDC/IOM Workshop verfolgte das Ziel, einen Beitrag zur Verbesserung der Bedingungen in der Erntearbeit zu leisten und der Arbeitsausbeutung entgegenzuwirken. Unter der Moderation von Nadja Schuster (VIDC) diskutierten zentrale Stakeholder (siehe Inputgeber*innen) über ihre unterschiedlichen Aufgaben und Kompetenzen sowie über die rechtliche, politische und technische Umsetzung von ausgewählten Maßnahmen. Die im Folgenden präsentierten Maßnahmen wurden – basierend auf den Vorgesprächen mit den Inputgeber*innen, der Diskussion in den Arbeitsgruppen “Arbeitsausbeutung” und “Landwirtschaft” im Arbeitsministerium und den Ergebnissen der Workshops 2020 und 2021 – weiter ausgearbeitet. Die gesamte Diskussion kann in der Langfassung des Berichts nachgelesen werden.
Aufgrund der COVID-19 Schutzmaßnahmen wurde der Workshop im Hybridformat abgehalten. 32 Personen haben online und 10 Personen vor Ort teilgenommen.

Erntearbeit in Österreich

Die Erntearbeit in Österreich ist komplex organisiert. Seit 1. Juli 2021 gibt es zwar ein bundesweit gültiges Landarbeitsgesetz, aber es gibt noch immer unterschiedliche Kollektivverträge in den Bundesländern, nach denen sich die Löhne richten, d.h. es gibt kein einheitliches Lohnschema. Die gesetzliche Interessensvertretung ist auch unterschiedlich organisiert. In sieben Bundesländern gibt es die Landarbeiterkammern (LAKs) als gesetzliche Interessensvertretung, während in Wien und im Burgenland die Arbeiterkammern (AKs) zuständig sind.
Außerdem gibt es drei unterschiedliche Kontrollorgane, die das Mandat haben, Inspektionen durchzuführen, jedoch auch unterschiedliche Kapazitäten und Befugnisse haben: die Finanzpolizei, die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK), die Land- und Forstwirtschaftsinspektionen in den Bundesländern. Eine gute Kooperation zwischen den Kontrollorganen und den LAKs/AKs ist Voraussetzung, um Arbeitsausbeutung und Rechtsverletzungen aufzudecken zu können. Was die Kontrolle zusätzlich erschwert und die Komplexität erhöht, ist die Tatsache, dass es keine zentral verwaltete, abrufbare Statistik zu den Beschäftigen in der österreichischen Erntearbeit gibt.
Ähnlich komplex und von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich ist auch das Angebot an Beratungsstellen. Erntearbeiter*innen finden arbeits- und sozialrechtliche Beratung in den LAKs/AKs, der Produktionsgewerkschaft und im Österreichischen Gewerkschaftsbund (ÖGB). Weiteres bietet die Sezonieri Kampagne bei ihren Feldaktionen auch Erstberatungen an.
Für Betriebe gibt es unterschiedliche Beschäftigungsmöglichkeiten. Ernteabeiter*innen aus Drittstaaten können für 6 Wochen (sog. „Erntehelfer*innen) oder für 3 Monate (Saisonniers mit Verlängerungsmöglichkeit auf 9 Monate) angestellt werden. Stammsaisonniers haben einen begünstigten Zugang zur Beschäftigungsbewilligung. Wir verwenden den Begriff „Erntearbeiter*innen“, da wir diesen als umfassenden, wertfreien Begriff für alle Beschäftigten in der Erntearbeit unabhängig von ihrer Herkunft (Drittstaatsangehörige und EU-Wanderarbeiter*innen) erachten.

Folgende Maßnahmen haben sich als sinnvoll und umsetzbar herauskristallisiert:

1.    Rechtsaufklärung und umfassendes Beratungsangebot

Rechtsaufklärung ist die wichtigste Maßnahme, um Rechtsverletzungen und Arbeitsausbeutung präventiv zu vermeiden. Dies bekräftigt auch der palermitanische Staatsanwalt Calogero Ferrara in seiner Rede am Vortag: “Menschenhandel ist nicht durch Polizei und Staatsanwälte zu besiegen, es braucht die Prävention”.
In Österreich sollten die gesetzlichen Interessensvertretungen und das Arbeitsmarktservice (AMS - für Drittstaatsangehörige zuständig) an erster Stelle dafür Sorge tragen, dass alle relevanten arbeits- und sozialrechtlichen Regelungen bei allen Erntearbeiter*innen – unabhängig von ihrer Beschäftigungsform und -dauer sowie Herkunft – direkt ankommen. Neben zielgruppenorientierten, gut aufbereiteten und anschaulich gestalteten Unterlagen, die kontinuierlich aktualisiert und übersetzt werden müssen, werden Kurz-Videos und Hotlines (auch außerhalb der Büro-Arbeitszeiten) in den Erstsprachen empfohlen. Denn nur so kann diese Beschäftigungsgruppe mit meist sehr niedrigem Bildungsniveau erreicht werden.
Weiters sollte es ausreichend Beratungsstellen in den Regionen, wo die Erntearbeiter*innen beschäftigt sind, geben. Diese Stellen sollten für Erntearbeiter*innen öffentlich zu erreichen sein und lange Öffnungszeiten haben. Basierend auf den Erfahrungen von Sezonieri ist bekannt, dass durch eine niederschwellige, aufsuchende Beratung am Feld von erstsprachigen Aktivist*innen Missstände leichter aufgedeckt werden können. Daher sollte diese Art der mobilen Beratung mit Dolmetscher*innen (am Feld oder im nahen Umfeld) auch vonseiten der zuständigen gesetzlichen Interessensvertretungen angeboten werden.
Die Empfehlung zur Umsetzung dieser Maßnahmen richtet sich in erster Linie an die LAKs, AKs, aber auch an die Gewerkschaften (PRO-GE, ÖGB) und an alle im Bereich der Landwirtschaft relevanten Beratungsstellen.

2.    Finanzierung eines umfassenden Beratungsangebots

Dem Good Practice Beispiel „Faire Mobilität“ folgend, sollten langfristig garantierte Fördermittel aus dem Bundeshaushalt für ein umfassendes Beratungsangebot zur Verfügung gestellt werden. Das deutsche, bundesweite, gewerkschaftliche Beratungsprojekt wird zu 90% aus dem Bundeshaushalt und zu 10% über den Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes finanziert. Mittel für die regelmäßige Weiterbildung der Berater*innen in den unterschiedlichen Stellen sollten ebenso Teil dieser Förderung sein.
Die Evaluierung von „Faire Mobilität“ mit dem Ziel gerechte Löhne und faire Arbeitsbedingungen für Beschäftigte aus den mittel- und osteuropäischen EU-Staaten auf dem deutschen Arbeitsmarkt durchzusetzen, hat folgende Erfolgsfaktoren identifiziert: „der Abbau sprachlicher Barrieren und Ängste Betroffener durch muttersprachliche Beratung, sowie eine nach Branchen und Herkunftsländern differenzierte Strategie der Zielgruppenansprache“. Die Initiative fülle außerdem eine „Beratungslücke, indem es in einem gesellschaftspolitisch und gesetzlich hochkomplexen Bereich berät, der sich laufend verändert und somit nur mit speziellem Fachwissen und regelmäßiger Weiterbildung bearbeitet werden kann“.
Die Empfehlung für die Umsetzung dieser Maßnahme richtet sich an das Bundesministerium für Arbeit. Österreich ist durch die sogenannten Saisonniers und EU-Wanderarbeiter Richtlinien verpflichtet, “Beratung” (Saisonniers Richtlinie 2014/36/EU Art. 23 Abs 1 lit f) und “rechtliche Unterstützung” (EU Wanderarbeiter Richtlinie 2014/54/EU Art 4 Abs 2 lit a) zur Verfügung zu stellen.

3.    Sensibilisierung und Öffentlichkeitsarbeit in den Herkunftsländern

Sensibilisierung und Öffentlichkeitsarbeit als wichtige präventive Maßnahmen sollte bereits in den Herkunftsländern stattfinden. Daher werden breite, öffentlichkeitswirksame Kampagnen in den Herkunftsländern der Erntearbeiter*innen empfohlen, die mittels folgender Maßnahmen durchgeführt werden könnten: Plakate auf Bahnhöfen, Busstationen, öffentlichen Plätzen/Meeting Points, Radio-Beiträge, Internet-Plattformen, kurze Videos auf Social Media in allen relevanten Erstsprachen. Durch diese breit angelegte Kampagne wird nicht nur die Öffentlichkeit sensibilisiert, sondern auch (potentielle) Erntearbeiter*innen über die relevantesten arbeits- und sozialrechtlichen Regelungen in Österreich informiert, und sie erfahren vor ihrer Ausreise, wo sie Beratung im Herkunfts- und Zielland erhalten.
Die Empfehlung für die Umsetzung dieser Maßnahme richtet sich an die European Labour Authority (ELA) sowie an die Arbeits- und Sozialministerien in den Herkunftsländern. Aber auch das Bundesministerium für Arbeit in Österreich sollten diese Kampagnen in den Herkunftsländern im Rahmen der länderübergreifenden Kooperation tatkräftig unterstützen.

4.    Zentral verwaltete, abrufbare Statistik für Erntearbeiter*innen

2020 gab es in Österreich 13.189 Beschäftigte in der Land- und Forstwirtschaft und Fischerei. Zur Haupterntezeit im August 2021 waren es sogar über 15.000 Erntearbeiter*innen. Jedoch gibt es keine Zahlen über die Beschäftigten in der Ernte innerhalb eines Jahres, aufgeschlüsselt nach europäischer Staatsbürgerschaft, Drittstaatszugehörigkeit, Geschlecht und anderen sozial-statistischen Daten, die öffentlich abrufbar sind. Nachdem unterschiedliche Behörden für in der Ernte Beschäftigte zuständig sind, müssten die Zahlen von den LAKs, AKs, dem AMS, der ÖGK und möglicherweise anderen Behörden/Institutionen zusammengetragen werden.
Disaggregierte Daten und nach wichtigen Kategorien (Geschlecht, Alter, Nationalität, Bildungsgrad usw.) aufgeschlüsselte Daten einer Beschäftigungsgruppe führen nicht nur zu mehr Transparenz, sondern bilden auch die erste Grundlage für eine objektive Evaluierung eines Systems bzw. eines Sektors. Eine Evaluierung sollte in weiterer Folge zu Verbesserungsmaßnahmen führen, von denen in der Ernte Beschäftigte und alle relevanten Institutionen im Sektor profitieren.
Die Empfehlung zur Umsetzung dieser Maßnahme richtet sich an das österreichische Bundesministerium für Arbeit.

5.    Qualifizierungsmaßnahme für Kontrollorgane

Qualifizierungsmaßnahmen für die Kontrollorgane führen zu einer Stärkung der Rechtsdurchsetzung. Schulungen zu den Themen Menschenhandel zum Zweck der Arbeitsausbeutung und zu Arbeitsausbeutung allgemein, die für die Finanzpolizei, Behörden im Asylwesen und Arbeitsinspektorate bereits durchgeführt wurden, haben sich sehr bewährt. Das Feedback der Teilnehmer*innen an diesen Schulungen war, dass sie durch die Schulung besser in der Lage waren, (potentiell) Betroffene des Menschenhandels zu erkennen. Dadurch konnten mehr Fälle an die Polizei oder Opferschutzeinrichtungen weitergeleitet werden. Die Sensibilisierung der Kontrollorgane zu diesen Themen sowie zu unterschiedlichen Diskriminierungsformen aufgrund von Geschlecht, Alter, Nationalität, Ethnie usw. sind wichtige Eckpfeiler in der Bekämpfung dieser schwerwiegenden Verbrechen.
Die vom Sozialministerium erarbeiteten „Indikatoren für Kontrollbehörden zur Identifizierung möglicher Opfer von Menschenhandel zum Zweck der Arbeitsausbeutung“, die aufzeigen wie vielschichtig diese Verbrechen sind, sollten Bestandteil dieser Schulungen sein und anhand von Fallbeispielen mittels kultur- und opferschutzsensibler Fragetechniken angewandt werden.
Nachdem die Land- und Forstwirtschaftsinspektionen (LFI) noch keine Schulungen zu diesen Themenbereichen erhalten haben, richtet sich die Empfehlung der Umsetzung dieser Maßnahme an sie. Die Opferschutzeinrichtungen LEFÖ-IBF und MEN VIA sowie IOM und die Abteilung Bekämpfung des Menschenhandels des Bundeskriminalamtes, die solche Schulungen bereits für andere Kontrollorgane anbieten, könnten dafür angefragt werden.