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Österreichs Entwicklungspolitik auf dem Weg in die Doppelmühle

Von Werner Raza und Lukas Schlögl

VIDC Online Magazin Spotlight

Dieser Artikel wurde in der Spotlight-Ausgabe September 2024 veröffentlicht. Wenn Sie den vierteljährlich erscheinenden Spotlight, Einladungen und Dokumentationen erhalten möchten, klicken Sie bitte hier.

Autoren

Werner Raza ist Leiter der ÖFSE. Er ist Ökonom mit den Schwerpunkten Internationaler Handel und Entwicklung. Als Lehrbeauftragter ist er an verschiedenen Universitäten und Fachhochschulen in Österreich und im Ausland tätig.
Lukas Schlögl ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der ÖFSE mit den Schwerpunkten Entwicklungspolitik und -finanzierung. Er ist außerdem Senior Research Fellow am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien und Affiliate am Department of International Development, King’s College London.

Frauentreffen in Burkina Faso, © istock/Luca Prestia

(16. September 2024) Bei den Nationalratswahlen 2024 geht es nicht nur um die zukünftige Innenpolitik, sondern auch darum, ob Österreich seine Rolle als globaler Akteur neu erfinden kann oder ob es sich ins Abseits manövriert.

Die Doppelmühle

Die Entwicklungszusammenarbeit (EZA) hat derzeit einen schweren Stand in Europa. Nach Jahren stabiler oder steigender Finanzierung und einem Kurs – oder zumindest Diskurs – der Professionalisierung und Effektivität, ist Entwicklungspolitik in den letzten Jahren Schauplatz geopolitischer Machtspiele, aber auch Opfer eines Wiedererstarkens nationaler Eigeninteressen geworden. Anders gesagt befindet sie sich in einer Doppelmühle: zwischen Zweckentfremdung einerseits und grundsätzlicher In-Frage-Stellung andererseits.

Unter die Rubrik Zweckentfremdung ist etwa der Kampf um Einfluss zwischen rivalisierenden Großmächten einzustufen, der in den letzten Jahren merklich auf die EU-Entwicklungspolitik abfärbte – etwa, wenn EZA den Zugang zu Rohstoffen absichern soll. Der Globale Süden distanzierte sich dabei immer wieder vom Westen und kritisierte Doppelstandards, während China sich als neuer „Player“ in Afrika etablierte. Die EU versucht mit Initiativen wie „Global Gateway“ gegenzusteuern, mit bisher zweifelhaftem Erfolg.
Parallel dazu sorgt das Dauerthema Migration für einen kontinuierlichen Auftrieb politisch rechtsgerichteter Kräfte, die den Spielraum für EZA einschränken oder diesen, nach der Devise „Europe first“, ganz in Frage stellen. Alarmierend ist dabei, dass auch Länder, die traditionell zu den besonders engagierten der internationalen Gebergemeinschaft zählten, kollektiv einen Gang zurückschalten: Großbritannien etwa, Schweden, die Niederlande oder Deutschland.

Kontinuität bis zum Kipppunkt

Und in Österreich? Wie Gustav Mahler schon wusste, passiert der Weltuntergang hierzulande fünfzig Jahre später. Trotz einschneidender politischer Umwälzungen seit der Jahrtausendwende und mehrerer Regierungsbeteiligungen der EZA-skeptischen FPÖ blieb die EZA in ihren Grundfesten bisher unerschüttert. Österreich blieb ein verlässliches, wenn auch niemals überambitioniertes Geberland, das seine Beiträge leistet, sich an Initiativen wie den Sustainable Development Goals (SDGs) mit mittlerer Anstrengung beteiligt und seine Pflichten in multilateralen Gremien und Foren erfüllt. 

Dieses „aid business as ususal“ ist ein zweischneidiges Schwert: Einerseits gab es Kontinuität und damit eine gewisse Planbarkeit und technische Professionalität; andererseits gelang es weder, die EZA aus ihrer Nischenposition heraus zu manövrieren noch sie budgetär auf ein international respektables Niveau auszubauen oder politisch breit zu verankern. Dadurch ist auch die österreichische EZA als anfällig einzustufen, früher oder später in die Doppelmühle zu geraten und darin sukzessive aufgerieben zu werden. 
Um der Klimawissenschaft ein Bild zu entlehnen, könnte Österreichs EZA nach den kommenden Nationalratswahlen auf einen „Kipppunkt“ zusteuern. Besonders eine weitere Regierung unter Beteiligung der FPÖ könnte die EZA vor dem Hintergrund drängender Budgetkonsolidierung mit Kürzungen und/oder einem politischen Kurswechsel konfrontieren. Und damit die bisherige Rolle Österreichs als stabiler Partner radikaler in Frage stellen, als dies bisher geschehen ist. 

Was die Politik jetzt tun sollte

Die Welt hat sich verändert, und Österreichs EZA muss sich dieser neuen Realität anpassen. In einer Zeit, in der geopolitische Spannungen, eine eskalierende Klimakrise und globale Ungleichheiten zunehmen, sollte Österreich eine aktivere Rolle spielen – das wäre nicht nur ein humanitäres Gebot, sondern ein vorausschauender Spielzug im diplomatischen Standortwettbewerb.
EZA kann die Lebensbedingungen im Globalen Süden stabilisieren und damit auch Fluchtursachen reduzieren. Dafür benötigt es aber mehr als Lippenbekenntnisse – es bräuchte langfristig verfügbare Mittel und eine klare Strategie. Die neu gewählte Bundesregierung sollte das im Entwurf seit längerem vorliegende Dreijahresprogramm der Entwicklungspolitik 2025-2027 möglichst rasch beschließen, um die inhaltliche Weiterentwicklung der OEZA voranzutreiben und das Politikfeld breiter aufzustellen. Die alten Ziele einfach weiterzuführen, führt in eine Sackgasse.

Elemente eines neuen Narrativs finden sich auch in der jüngst beschlossenen Sicherheitsstrategie der scheidenden Bundesregierung. Sie begreift EZA als Teil einer umfassenden Sicherheitsvorsorge, die im Zusammenspiel mit „Diplomatie, Wirtschaft, Handel, internationalen Friedensmissionen (…) global zur Förderung von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und menschlicher Sicherheit“ beiträgt. Keine Frage: Eine Versicherheitlichung der Entwicklungspolitik ist eine „slippery slope“, also ein Weg, der die Gefahr birgt, immer weiter vom ursprünglichen Ziel abzukommen. Sie bringt neue Akteure, Schwerpunkte und Begehrlichkeiten auf den Plan. Eine Verknüpfung von Entwicklungspolitik und Sicherheit könnte jedoch dann zu einer anschlussfähigen Erzählung werden, wenn sie einen breiten Begriff von menschlicher Sicherheit stark macht, der soziale, ökonomische, politische und ökologische Aspekte zusammen denkt. 
Um Österreichs globale Rolle abzusichern, müsste auch die Bedeutung der EZA für unser internationales Standing stärker in die öffentliche Wahrnehmung rücken – und zwar jenseits von Marketing oder Selbstbeweihräucherung. Welche Rolle strebt Österreich an? Wie und wo will es mit gestalten? Am 29. September 2024 geht es damit nicht nur um die Wahl eines neuen Parlaments – sondern auch um die Frage, ob Österreich endgültig zum Zaungast in globalen Angelegenheiten wird, oder ob es die Zeichen der Zeit erkennt und der sich formierenden „Doppelmühle“ mit einer klugen Strategie entgegenarbeitet.