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Globale Schieflagen. Die österreichische Entwicklungstagung im Rückblick

Von Martina Neuwirth

VIDC Online Magazin Spotlight

Dieser Artikel wurde im VIDC Online Magazin Spotlight Dezember 2022 veröffentlicht. Wenn Sie den vierteljährlich erscheinenden Spotlight, Einladungen und Dokumentationen erhalten möchten, klicken Sie bitte hier.

Autorin


Martina Neuwirth ist Referentin am VIDC für den Bereich Internationale Wirtschafts- und Finanzpolitik. Zu ihren Arbeitsschwerpunkten zählt die internationale Steuerpolitik sowie Steuergerechtigkeit.

Plenumsdiskussion mit Paula Banerjee, Karin Fischer, Nelly Busingye und Ellen Lamakh © PFZ

Plenumsdiskussion mit Paula Banerjee, Karin Fischer, Nelly Busingye und Ellen Lamakh © PFZ

Ungleichheiten können sich auf vielen Ebenen, zwischen sozialen Klassen, Geschlechtern, Ländern oder Regionen entfalten. Zudem gibt es Verbindungen zwischen den verschiedenen Formen von Ungleichheit. Ein eindrückliches Beispiel dafür lieferte Paula Banerjee (Universität Kalkutta und International Association for Studies in Forced Migration, Indien) beim Eröffnungspanel der Konferenz. Sie berichtete über die schwierige Lage von indischen Frauen, die am Beginn der COVID-19-Pandemie nicht nur mit einem überstürzt verhängten Lockdown, sondern auch mit klimawandelbedingter großer Hitze und Wasserknappheit zu kämpfen hatten.

Gender-Themen spielten eine wichtige Rolle

Die Auswirkungen von Ungleichheit auf Frauen und Mädchen wurden auf der Tagung vielfach diskutiert. Ellen Lamakh (Democracy Development Center, Ukraine) wies auf die Probleme der feministischen Bewegung in der Ukraine bereits vor Ausbruch des Krieges hin. Viktoria Scheyer (Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung & Women's International League for Peace and Freedom) konstatierte, dass sich Gender-Ungleichheiten in den derzeitigen Krisen verfestigen bzw. vertiefen - selbst feministische Außenpolitik (wie sie etwa Spanien und Deutschland verkündeten) kann patriarchale Strukturen nicht aushebeln. Ein Workshop beschäftigte sich mit den ungleichen Zugängen zu sexuellen und reproduktiven Rechten im Zusammenhang mit ökonomischer Ungleichheit und Gender-Normen - ein Thema, mit dem sich auch das VIDC intensiv auseinandersetzt. Zwei weitere „VIDC-Themen“, nämlich Steuer(un)gerechtigkeit und das Bekämpfen von Ungleichheiten, die bei der Gewinnung von Öl, Gas, Kohle und Mineralien auftreten, zogen sich abseits der Gender-Thematiken als roter Faden durch die Konferenz. Ein Workshop widmete sich den Arbeitsbedingungen und Lieferketten im Rohstoffbereich. Auch Joy Ndubai (Kenia) und Nelly Busingye (Uganda) kamen im Plenum ausführlich zu beiden Themen zu Wort

VIDC-Forum zur Rolle von Steuern

Joy Ndubai und Nelly Busingye nahmen als Expertinnen am Forum „Ungleichheit gegenSteuern“ teil, das vom VIDC in Kooperation mit WIDE organisiert worden war. Joy Ndubai (Lehr- und Forschungsbeauftragte am Institute for Austrian and International Tax Law, WU Wien) strich die wichtige Rolle von Steuern bei der Bekämpfung von Ungleichheiten hervor: Progressive Steuersysteme könnten eine Umverteilung des Einkommens zwischen Vermögenden und Ärmeren in einer Gesellschaft bewirken. In dem Fall sei es nicht nur wichtig, wie Steuern eingenommen, sondern auch wie sie ausgegeben würden. Darüber hinaus seien Steuern die stabilste Einnahmequelle von Regierungen, und sie würden die Grundlage für einen starken „Gesellschaftsvertrag“ zwischen Regierung und Bürger*innen bilden. Letztere würden der Regierung dann nämlich mehr auf die Finger schauen, die sich dann mehr den Steuerzahler*innen verpflichtet fühlten. Zudem stünden die Staaten zueinander im Steuerwettbewerb (so entwickelten sich Steueroasen), aber ob das Vorteile im Kampf um Investitionen verschafft, sei nicht bewiesen.

Ende 2021 hatten sich die OECD und die G20 endlich auf eine globale Mindeststeuer verständigt, um den Steuerwettbewerb einzugrenzen. Dies gilt jedoch nur für sehr große Konzerne mit Jahreseinnahmen von über 750 Millionen Euro. Außerdem werden die (zumeist reichen) Staaten, in denen diese Konzerne ihren Sitz haben, am meisten profitieren.

Nelly Busingye (Publish What You Pay, Uganda) sah Transparenz im Rohstoffsektor als zentral an: Wer profitiert vom Ressourcenabbau? Wer wird geschädigt? Wieviel nimmt das jeweilige Land durch den Ressourcenabbau ein? Regierungen ebenso wie Konzerne müssten für ihr Handeln zur Verantwortung gezogen werden, forderte sie. Insbesondere für jene afrikanischen Länder, die abhängig von Einnahmen aus Rohstoff-Exporten seien, sei es schwierig, eine Balance zwischen ökonomischen und Umwelt- bzw. Klimaerfordernissen zu finden. Dabei gehe es nicht nur um fossile Brennstoffe, sondern auch um die für den grünen Wandel wichtigen Metalle, wie Lithium oder Kobalt. Die Menschen in den rohstoffreichen Ländern und ihre Bedürfnisse sollten im Zentrum der Debatte stehen. Dafür brauche es Transparenz. Nur so kann die Öffentlichkeit nachprüfen, wieviel Einnahmen aus Lizenzen, Steuern und Dividenden das jeweilige Land von den Rohstoffkonzernen lukrieren könne - und wie die Mittel dann verwendet würden. Nichtsdestotrotz könnten Konzerne nach wie vor ihre Gewinne in Steueroasen verschieben und ihre Zahlungen dadurch minimieren. Zudem werde Steuergerechtigkeit erschwert, da der politische Spielraum der Zivilgesellschaft zunehmend eingeengt werde. Das mache die Kontrolle der Regierungen durch die Zivilgesellschaft schwierig.

Eine Einführung in die CO2-Bepreisung

Tatiana Falcão (Beraterin für Steuerpolitik, Brasilien) gab im Rahmen des Forums eine Einführung über Umweltsteuern. Insbesondere die Bepreisung von CO2 und anderen Treibhausgasen nahm dabei einen breiten Raum ein. Eine solche Bepreisung kann (indirekt) über Energiesteuern oder (direkt) in Form von CO2-Steuern bzw. über die Vergabe von „Verschmutzungsrechten“ in Emissionshandelssystemen erfolgen. Während die Kosten für Unternehmen und Verbraucher*innen durch die Höhe des Steuersatzes festgelegt ist, variieren die Preise je Tonne CO2 beim Emissionshandel je nach Angebot und Nachfrage. Festgelegt werden dabei nur die betroffenen Sektoren (energieintensive Industrien) und die Höhe der Emissionen, die diese emittieren dürfen. Derzeit bepreisen noch nicht alle Länder Treibhausgase. Viele Staaten sind besorgt um die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Unternehmen, wenn sie solche Bepreisungssysteme einführen - Unternehmen könnten abwandern bzw. die Industrien anderer Staaten, ohne solcher Systeme, könnten dadurch Vorteile erringen (carbon leakage). Um dem vorzubeugen, will die EU eine Art „Grenzsteuer“ für Importe aus Drittländern einführen. Die Einführung von CO2-Preisen sei jedoch nicht genug, ergänzte Falcão. Die Länder müssten auch klimaschädliche Förderungen für fossile Energieträger stoppen. CO2-Steuern belasten generell ärmere Haushalte mehr, deshalb müssten Gegenmaßnahmen (wie etwa Ausnahmeregelungen, Rückvergütungen etc.) zur sozialen Abfederung eingeplant werden.

Roos Saalbrink (ActionAid, UK) gab einen Einblick, wie Steuerpolitik Gender-Gerechtigkeit befördern, aber auch schwächen kann. Das fange schon in Steuerbehörden wie auch Finanzministerien an, in denen Frauen nicht ausreichend vertreten seien. „Geschlechterblinde” Steuerpolitik (etwa hohe Mehrwertsteuersätze, geringe Besteuerung von Vermögen) könne Benachteiligungen aufgrund des Geschlechts noch verstärken. Wichtig sei nicht nur, wie Steuereinnahmen lukriert würden, sondern auch wieviel. Zudem müsse man die Außenwirkung eines Steuersystems im Auge behalten: Die Niederlande beispielsweise - von Konzernen gerne zur steuerschonenden Gewinnverschiebung genutzt - seien ein Beispiel dafür, dass ein nationales Steuersystem fair sein, aber negative Auswirkungen auf die Möglichkeit anderer Staaten haben könne, Steuereinnahmen zu lukrieren.

Alternativen und Allianzen

Der letzte Konferenztag war ganz den Lösungsansätzen gewidmet - welche Alternativen gibt es, um Ungleichheiten zu beseitigen? Welche Allianzen können wir schmieden, um diese voranzutreiben? Joy Ndubai pochte dabei auf die Stärkung der Zivilgesellschaft und des Staates und wies darauf hin, dass die sozioökonomischen Bedürfnisse im Süden berücksichtigt werden müssten. Staaten wie Nigeria, die von Öl- und Gaseinnahmen abhängig seien, bräuchten Diversifizierung. Steuern seien ein wichtiges Instrument zur Finanzierung einer „fairen“, inklusiven Transition. Ivo Lesbaupin (Federal University of Rio de Janeiro) präsentierte seine Vorstellungen von alternativen Maßnahmen: Das Forcieren alternativer Energieträger, Recycling, ökologische Landwirtschaft, Zugang zu sauberem Wasser, neue Formen des (Zusammen-)Lebens in den Städten sowie neue Formen des Transports. Insgesamt sei eine weniger konsumorientierte Lebensweise anzustreben.

In den Abschlussdiskussionen wurden Lösungen des Schuldenproblems vieler Länder des Globalen Südens eingefordert, ebenso radikalere Konzepte (etwa die Einführung von Vermögenssteuern), um Ungleichheiten zu vermindern. Um wirtschaftliche Entwicklung voranzutreiben, bräuchten Länder eine (möglichst klimaschonende) Industrialisierung; ökologische Nachhaltigkeit müsse sich dabei auch in den globalen Güterketten widerspiegeln. Und da die Klimaerwärmung voranschreite, müsse sich die Welt auf vermehrte Vertreibungen aufgrund von Klimakatastrophen einstellen.

Um den Krisen zu begegnen, seien Zivilgesellschaft wie der Staat gleichermaßen wichtig bei Suche nach Lösungen - diese Kooperation funktioniere am besten, wenn sie auf demokratischen Prinzipien basiere. Einig waren sich die Teilnehmer*innen, dass es für künftige Allianzen gelte, über die eigene Bubble hinaus zu denken und zu handeln. Wissenschaftler*innen sollten mit Aktivist*innen und Gewerkschafter*innen zusammenarbeiten, feministische mit Umweltbewegungen. Auch gelte es, Jugendbewegungen mit einzubeziehen und Allianzen zwischen dem Globalen Süden und Norden zu schmieden (16. Dezember 2022).