Spotlight Archiv

#6: Life under the Taliban

Diskriminierung von Hazaras im Afghanistan der Taliban

Hazara Viertel Dascht-e Barchi in Kabul, Februar 2023, © Qurban Ali Hassani

Hazara Viertel Dascht-e Barchi in Kabul, Februar 2023, © Qurban Ali Hassani

Neben Frauen und Mädchen aus allen ethnischen Gruppen in Afghanistan sind Angehörige von Minderheiten wie die Hazara-Community besonders von Repressalien des Taliban-Regimes betroffen: „Die Hazaras, die überwiegend schiitisch sind, gehören seit jeher zu den am stärksten verfolgten Gruppen in Afghanistan. Ihre Mitglieder sind vielfältigen Formen der Diskriminierung ausgesetzt, die ein breites Spektrum von Menschenrechten, einschließlich wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte, betreffen. (...) Es gibt Berichte über willkürliche Verhaftungen, Folter und andere Misshandlungen, Hinrichtungen im Schnellverfahren und das Verschwindenlassen von Personen.“ (Bericht des UN-Sonderberichterstatters über die Lage der Menschenrechte in Afghanistan)

Der folgende Artikel wurde von Qurban Ali Hassani* im Rahmen unserer Artikelserie „Life under the Taliban“ verfasst. Er ist einer der sehr wenigen verbliebenen Beamt*innen aus der Hazara Community in der aktuellen afghanischen Verwaltung. Um sich und seine Familie vor möglichen Vergeltungsmaßnahmen der Taliban zu schützen, hat er ein Pseudonym gewählt.

Unterdrückung und Anschläge gehören zum Alltag

Ich wohne in Dasht-e-Barchi, dem von Hazara dominierten westlichen Teil Kabuls, und fühle mich aufgrund gezielter Angriffe dort nicht mehr sicher, selbst wenn ich mit öffentlichen Verkehrsmitteln ins Büro fahre. Hazaras werden in öffentlichen Verkehrsmitteln, Bildungszentren, religiösen Stätten und an anderen leicht zugänglichen Zielen angegriffen und getötet. Dies ist seit der Machtübernahme durch die Taliban am 15. August 2021 zum Normalzustand geworden und eine beträchtliche Zahl von Hazaras wurde getötet. So wurde beispielsweise am Morgen des 30. September 2022 eine vollbesetzte Klasse junger Hazara-Mädchen im Kaaj-Bildungszentrum von einer Explosion getroffen, bei der fast 60 Mädchen im Teenageralter getötet und mehr als hundert von ihnen verletzt wurden. Ich erinnere mich, wie ein Vater im Mohammad-Ali-Jenah-Krankenhaus, in das nach der Explosion viele Verletzte eingeliefert wurden, nach der Leiche seiner Tochter suchte, aber ein Mitglied der Taliban schlug ihn und warf ihn aus dem Krankenhaus, anstatt ihm sein Mitgefühl zu zeigen.

Der Hashtag #StopHazaraGenocide verbreitete sich nach diesem entsetzlichen Attentat weltweit. Die Ermordung der zumeist aus der Volksgruppe der Hazara stammenden Schülerinnen hat die afghanische Diaspora weltweit dazu veranlasst, die internationale Gemeinschaft aufzufordern, Druck auf die Taliban auszuüben, damit diese die Hazaras vor gezielten Tötungen besser schützen. Als Hazara-Junge habe ich das Gefühl, dass wir unter den Taliban einem „Naturzustand“ ausgesetzt sind. Nicht nur in Dasht-e Barchi, sondern in ganz Afghanistan haben die Hazaras das Gefühl, dass es in Afghanistan keine Regierung gibt, die ihnen Sicherheit bietet.

Das Aufkeimen der Hoffnung

Ich lebte mit meiner Familie in einem abgelegenen und isolierten Dorf in der nördlichen Balkh-Provinz. Nach dem Sturz der Taliban und dem Einmarsch der US-geführten Streitkräfte in Afghanistan im Jahr 2001 verließ ich mein Dorf und zog auf der Suche nach Bildungsmöglichkeiten in die Stadt Masar-e Scharif. Unmittelbar nach der Invasion im Jahr 2001 führte der Westen in Afghanistan ein neues demokratisches politisches System ein. Die neue demokratische politische Ordnung brachte neue Hoffnungen und Chancen für die Menschen in Afghanistan, insbesondere für die Hazaras, die seit langem an den Rand gedrängt und verzweifelt waren. Ich erinnere mich noch gut daran, wie glücklich und hoffnungsvoll die Menschen in den Tagen nach dem Sturz der Taliban und der Entstehung eines neuen politischen Systems in Afghanistan waren.

Im Afghanistan der Nach-Taliban-Ära fanden afghanische Jugendliche die Möglichkeit, Schulen und Universitäten zu besuchen, insbesondere Mädchen, denen der Besuch von Schulen zuvor untersagt war. Ich nutzte die Gelegenheit, sobald ich aus meinem Dorf in Masar-e Scharif ankam, und meldete mich an einer Schule an. Damit begann ein neues Kapitel in meinem Leben. Für alle ausgegrenzten und unterdrückten Menschen im ganzen Land, mich eingeschlossen, war und ist Bildung das Schlüsselinstrument, das uns in die Lage versetzt, Diskriminierung und Unterdrückung zu überwinden. Das gibt uns mehr Kraft, gegen Diskriminierung, Ausgrenzung und Ungleichheit zu kämpfen.

Nachdem ich im Januar 2010 die Schule in der Balkh-Provinz abgeschlossen hatte, wurde ich noch im selben Jahr an der Fakultät für Rechts- und Politikwissenschaften der Universität Balkh zugelassen. Nach Abschluss meines Studiums begann ich als Trainer für das Civil Society and Human Rights Network zu arbeiten, dessen Ziel es war, das Bewusstsein für Menschenrechte zu schärfen. Meine Tätigkeit für diese Organisation dauerte vier Jahre. Danach arbeitete ich als Beamter bei der ehemaligen afghanischen Regierung. Alles änderte sich jedoch im August 2021, als die Islamische Republik Afghanistan zusammenbrach und die Taliban wieder an die Macht kamen. Die Rückkehr der Taliban an die Macht zerstörte unsere Hoffnungen.

Der Verlust der Hoffnung und das Aufkommen der Finsternis

In den letzten beiden Jahrzehnten haben wir uns an einen neuen Lebensstil gewöhnt. Die neuen politischen und kulturellen Werte ersetzten die alten, und das Land befand sich auf dem Weg der Entwicklung. Wie der Rest des afghanischen Volkes war auch ich optimistisch, was die Zukunft meines Landes, meiner Person und meiner Karriere anging. Mit der Machtübernahme durch die Taliban wurde dieser Optimismus jedoch zunichte gemacht, und jetzt steht das ganze Land unter ihrer strengen Kontrolle. Die totalitäre Regierungsweise der Taliban hat die Menschen, insbesondere die Minderheiten wie die Hazaras, ihrer Grundrechte beraubt. Unter dem Taliban-Regime haben die Menschen kein anderes Recht, als ihm blind zu gehorchen. Die Stimme der Hazaras wird in diesem Regime nicht gehört.

Das Leben unter den Taliban ist extrem schwierig und eine echte Katastrophe. Das Leben unter der Kontrolle einer solchen Gruppe ist die schmerzhafteste Erfahrung, die ich je gemacht habe. Es ist nicht nur meine Geschichte unter den Taliban, sondern auch die Geschichte aller Hazaras in Afghanistan. Für die Hazaras hat sich die Lage seit August 2021 verschlechtert. Die Hazaras sind der Unsicherheit ausgesetzt. Das Taliban-Regime fühlt sich den Hazaras gegenüber nicht rechenschaftspflichtig. Obwohl das Regime verkündet, dass alle Afghan*innen die gleichen Rechte haben, steht sein Verhalten gegenüber den Hazaras im Widerspruch zu seinen Worten, und seine Taten diskriminieren die Hazaras eindeutig.

Das Entstehen des „Naturzustands“

Nach der Machtübernahme durch die Taliban gibt es für die Hazaras keine Aussicht mehr, sich eine Teilhabe an der politischen Macht vorstellen zu können. Kein Hazara ist Teil des Kabinetts des Regimes. Als Hazara rechne ich nicht damit, vom Regime zu einem hohen Beamten im Land ernannt zu werden. Selbst wenn ich unter den Taliban Fachwissen in einem bestimmten Bereich erworben habe, gibt es für mich aufgrund ethnischer Fragen keinen Platz als hochrangiger Beamter in der Regierung. Die Hazaras werden im Taliban-Land Afghanistan immer noch diskriminiert. Stellen Sie sich vor, wie schwierig das Leben in einer Situation ist, in der Sie nicht die gleichen Möglichkeiten haben wie die übrigen ethnischen Gruppen Ihres Landes. Die Hazaras leben jetzt in einer solchen Situation, in der ihre Chancen von den De-facto-Behörden geraubt wurden. Die Machtübernahme der Taliban hat die politische Landkarte der Hazaras zerstört. Die Diskriminierung der Hazaras durch die Taliban ist eine offensichtliche Realität in Afghanistan.
 
In dem Büro, in dem ich arbeite, habe ich festgestellt, dass in den letzten 18 Monaten kein einziger Hazara eingestellt worden ist. Das bedeutet nicht, dass es keine kompetenten Hazaras für diese Tätigkeiten gibt. Aber Hazaras haben fast kein Recht auf eine Anstellung bei staatlichen Stellen. Wir sind nur wenige Menschen, die bereits zuvor in der Regierung beschäftigt waren und nun aufgrund unserer ethnischen Zugehörigkeit mit verschiedenen Herausforderungen im Büro konfrontiert sind.

Vor der Machtübernahme durch die Taliban suchten die Hazara mit Hochschulabschluss Arbeit bei Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen, aber jetzt ziehen sie in ihre Dörfer zurück, weil es keine Beschäftigungsmöglichkeiten mehr gibt. Als eine von vielen Dienstleistungen abgeschnittene ethnische Gruppe leben die Hazara und ihre Familien in extremer Armut. Die Taliban haben versucht, den Großteil der von den internationalen Hilfsorganisationen bereitgestellten humanitären Hilfe an die eigenen ethnischen Gruppen zu verteilen. Sie halten die Hazaras absichtlich von der Hilfe fern. Das Leben der Hazaras hat sich unter dem Taliban-Regime immer weiter verschlechtert.

Ich hoffe, dass die internationale Gemeinschaft den Druck auf das Taliban-Regime erhöht, um den Weg für eine legitime und integrative Regierung zu ebnen, die alle politischen und ethnischen Gruppen Afghanistans einschließt. Andernfalls wird das Fortbestehen dieses illegitimen Regimes sicherlich früher oder später eine Bedrohung für die internationale Sicherheit darstellen, wie es am 11. September 2001 der Fall war.
Afghanistan ist unter der Kontrolle des Taliban-Regimes ein Schauplatz massiver Menschenrechtsverletzungen. Die Menschen verdienen ein relativ sicheres und besseres Leben unter einer gewählten und rechtmäßigen Regierung. Die internationale Gemeinschaft muss dem Volk die politische Macht zurückgeben, und es muss eine gewählte Regierung eingesetzt werden. Die internationale Gemeinschaft ist ihrerseits für die Situation in Afghanistan verantwortlich. Nicht nur die internen Elemente haben die Lage in meinem Land verschlechtert, sondern auch die internationale Gemeinschaft als externe Akteure haben die Lage in Afghanistan verschlechtert und mein Land den Taliban ausgeliefert.

* Der Autor verwendet aus Sicherheitsgründen ein Pseudonym.