Beginn einer demokratischen Steuerrevolution: UNO als neues Forum

von David Walch

VIDC Online Magazin Spotlight

Dieser Artikel wurde in der Spotlight-Ausgabe Dezember 2023 veröffentlicht. Wenn Sie den vierteljährlich erscheinenden Spotlight, Einladungen und Dokumentationen erhalten möchten, klicken Sie bitte hier.

Autor

David Walch beschäftigt sich seit vielen Jahren mit internationaler Steuerpolitik und ist seit 2006 Pressesprecher von Attac Österreich. Er hat Geschichte, Publizistik und Kommunikationswissenshaft an der Universität Wien studiert. Attac ist eine internationale Bewegung, die sich für eine demokratische und sozial gerechte Gestaltung der globalen Wirtschaft einsetzt.

UNO Generalversammlung, © Patrick Gruban/flickr

Jahrzehntelang haben die Industriestaaten die internationalen Steuerregeln diktiert – zu ihrem eigenen Vorteil. Doch die Mehrheit der Staatengemeinschaft will dies nun ändern und die UNO als neues, demokratisches Forum im Steuerbereich etablieren.
Hunderte Milliarden Euro gehen den Staaten weltweit durch Steuertricks von Konzernen verloren. Mittel, die unter anderem zur Bekämpfung der Klimakrise und zur Erreichung der Sustainable Development Goals dringend benötigt werden. Obwohl zahlreiche Steuerskandale der letzten Jahre auch zu aufwändigen globalen Reformen führten, bleiben deren Ergebnisse letztlich ernüchternd. Denn trotz einer Vielzahl neuer komplexer Regeln im globalen Steuerwesen ist es kaum gelungen, die Machenschaften der Konzerne einzudämmen. Gleichzeitig geht der „Steuerwettlauf nach unten“ zwischen den Staaten auch bei den nominellen Steuersätzen für Unternehmen munter weiter. Mit ein Grund für das Scheitern der internationalen Steuerpolitik ist die Tatsache, dass die globalen Steuerverhandlungen alles andere als demokratisch ablaufen.

Im Interesse der reichen Staaten

Verhandlungsergebnisse hängen auch davon ab, wer mit wem verhandelt – und wer davon ausgeschlossen ist. "If you're not at the table, you're on the menu" lautet ein Sprichwort. Das spiegelt sich auch in der internationalen Steuerpolitik wider. Die Hauptplattform für Verhandlungen der globalen Steuerregeln ist seit vielen Jahrzehnten die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) – obwohl diese kein globales Verhandlungsforum ist. Die OECD besteht lediglich aus 38 Mitgliedsländern, vorrangig Industrienationen. Es ist daher wenig überraschend, dass ihre – für die Öffentlichkeit völlig intransparenten – Verhandlungen und deren Ergebnisse die Wünsche der großen Industrienationen widerspiegeln – und nicht jene der Schwellen- und Entwicklungsländer.
Bester Beweis dafür ist die Globale Mindeststeuer der OECD, die ab 2024 zunächst in der EU eingeführt werden soll. Zwar hat die OECD auch Nichtmitgliedern die Teilnahme an den Verhandlungen ermöglicht, allerdings waren sie dabei keineswegs gleichberechtigte Partner. Zudem durften sie nur unter der Bedingung teilnehmen, dass sie – auch entgegen ihren eigenen Interessen – bisherige OECD-Vereinbarungen umsetzen. Kein Wunder, dass letztlich zwei Drittel der ärmsten Staaten an den Verhandlungen nicht teilnahmen.
Das Ergebnis der Globalen Mindeststeuer ist in jedem Fall ernüchternd: Durch sie droht der ruinöse zwischenstaatliche Steuerwettbewerb paradoxerweise nicht gestoppt, sondern angeheizt zu werden. Die Ausgestaltung der Mindeststeuer belohnt zudem ausgerechnet jene Staaten, die seit Jahrzehnten die Steuerbasis anderer Länder aushöhlen. Ländern des globalen Südens wird sie jedenfalls kaum zusätzliche Einnahmen bringen. Daher gibt es in vielen Staaten berechtigte Zweifel und Widerstand, die OECD-Beschlüsse umzusetzen.

Die UNO nimmt das Heft in die Hand

Nicht zuletzt aufgrund der Erfahrungen und Enttäuschungen mit den Ergebnissen der OECD wurde eine langjährige Forderung der Zivilgesellschaft immer lauter: Für wirklich demokratische globale Verhandlungen im Steuerwesen ist ein demokratisches Forum nötig, an dem alle Länder gleichberechtigt ohne Einschränkungen und Bedingungen teilnehmen. Die einzige Institution, die das leisten kann, sind die Vereinten Nationen (UNO). Klar ist, dass ein neuer Verhandlungsrahmen in der UNO nicht automatisch zu steuerpolitischen Erfolgen im Sinne der Steuergerechtigkeit führt. In jedem Fall sind Verhandlungen in der UNO aber nicht nur demokratischer, sondern auch transparenter. Das stärkt die Rechenschaftspflichten gegenüber den Bürger*innen und schwächt den Einfluss finanzstarker Lobbygruppen.
In den letzten beiden Jahren hat diese Forderung auf UN-Ebene eine erstaunliche Dynamik gewonnen. Gegen den heftigen Widerstand der OECD verabschiedete die UN-Generalversammlung im Dezember 2022 eine bahnbrechende Resolution afrikanischer Länder für eine Stärkung der UNO im Steuerbereich. Ein daran anschließender Bericht von UN-Generalsekretär António Guterres vom September 2023 kritisierte das Machtgefälle, die Intransparenz und die Ergebnisse der OECD ungewöhnlich scharf. Er forderte unmissverständlich, dass die globalen Steuerregeln in der UNO festgelegt werden sollen und präsentierte dafür folgende drei Optionen:

  • eine rechtsverbindliche multilaterale Steuerkonvention
  • ein rechtsverbindliches Rahmenübereinkommen über die internationale Zusammenarbeit im Steuerbereich
  • ein freiwilliger Rahmen für die internationale Zusammenarbeit im Steuerbereich

Eine multilaterale Steuerkonvention ist dabei die stärkste Option. Sie würde einen stabilen Rechtsrahmen für die internationale Zusammenarbeit im Steuerbereich setzen. Es wäre das erste globale Abkommen im Steuerbereich. Ein Rahmenübereinkommen würde – ähnlich den UN-Klimagipfeln – ein Forum schaffen, das die internationale Steuerpolitik kontinuierlich weiterentwickelt. Die dritte Option des freiwilligen Rahmens wäre sicherlich die schwächste Option gewesen.

Die Afrika Gruppe macht den nächsten Schritt

Im November brachten die afrikanischen Länder dann eine weitere Resolution in die UNO-Verhandlungen ein. Diese sah nach langen Vorbereitungen und Kompromissen vor, das UN-Rahmenübereinkommen (die Option 2 aus dem Guterres-Bericht) zur Abstimmung zu bringen.
Heftiger Widerstand dagegen kam jedoch erneut von der EU und anderen OECD-Staaten. Laut Bericht der Financial Times forderte die EU im Laufe der Gespräche sogar lediglich die „Prüfung weiterer Optionen“ für die internationale Zusammenarbeit. Das hätte jedoch die Intention des Guterres-Berichts nur wiederholt und den UN-Prozess um Jahre verzögert. Erneut wurde offensichtlich, dass die EU den UN-Prozess torpedieren will, um die globalen Steuerregeln weiter in ihrem Interesse innerhalb der OECD zu gestalten. Sie widersprach damit auch der offiziellen Position des EU-Parlaments, das eine multilaterale UN-Steuerkonvention unterstützt.
Internationale Kritik an dieser EU-Blockade kam nicht nur von Verhandlungsteilnehmer*innen in der UNO. 227 zivilgesellschaftliche Organisationen und Gewerkschaften aus 70 Ländern forderten während der UN-Beratungen ihre Regierungen auf, die Resolution der Afrika Gruppe zu unterstützen. Auch in Österreich sandte ein breites NGO-Bündnis (Attac und VIDC gehören dazu) einen entsprechenden Brief an die Regierung.

Ein historischer UN-Beschluss ebnet den Weg

Am 22. November 2023 war es dann schließlich so weit. Die UN-Generalversammlung in New York verabschiedete mit breiter Mehrheit die historische Resolution über ein UN-Rahmenübereinkommen im Steuerbereich. Mit Ausnahme Kolumbiens und den Enthaltungen von Norwegen und Island stimmten die OECD-Staaten geschlossen dagegen, darunter auch alle EU-Staaten und Österreich. Dennoch wurde die Resolution mit 125 zu 48 Stimmen und 9 Enthaltungen angenommen.
Damit können erstmals alle Staaten gleichberechtigt innerhalb der UNO über die künftige internationale Steuerpolitik und ein faires, globales Steuerabkommen verhandeln. Das Mandat für das UN-Rahmenübereinkommen soll im Laufe des nächsten Jahres ausverhandelt werden. Dabei wird es darum gehen, die Themen einer kommenden UN-Steuerkonvention festzulegen: etwa die Besteuerung multinationaler Konzerne, Steuertransparenz und die globale Besteuerung von Offshore-Vermögen.
Lange genug wurden die globalen Steuerregeln undemokratisch hinter verschlossenen Türen beschlossen. Weiter auf die OECD zu setzen ist mit dem Beginn dieser demokratischen Steuerrevolution hoffentlich keine Alternative mehr (4. Dezember 2023).

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