Das Recht nicht gehen zu müssen

Nachbericht zur Diskussion vom 11. November 2024 über Klimakrise als Fluchtursache und EU-Politik

Programm


Rebecca Abongo

Dachverband der Gewerkschaften in Kenia (COTU)

Ayla Bonfiglio

Leiterin des Forschungszentrums "Mixed Migration Centre" für Ostafrika und das Südliche Afrika

Francesca O'Brien

Klimaaktivistin, Sprecherin des "People's Summit against European Gas Conference"

Moderation: Gracia Ndona

freie Jounalistin für die Süddeutsche Zeitung, ADOE-Gründerin (Afrikanische Diaspora Österreich)

Begrüßung: Franz Schmidjell, VIDC Global Dialogue

Der Gewerkschaftsverband COTU

COTU-K (Central Organization of Trade Unions, COTU) ist der nationale Gewerkschaftsverband in Kenia. Er wurde 1965 gegründet. In Kenia gibt es etwa zwei Millionen Beschäftigte im formellen Sektor, von denen mehr als 75 Prozent einer Gewerkschaft angehören.  Dem Dachverband COTU gehören 45 Teilgewerkschaften an und sie vertreten rund 1,5 Millionen Beschäftigte sowohl im öffentlichen Dienst als auch in der Privatwirtschaft. COTU ist eine starke gemeinsame Stimme bei Verhandlungen über bessere Löhne und Arbeitsbedingungen oder bei Gerichtsverfahren oder Arbeitsstreiks. 

Kuratiert von


Franz Schmidjell, VIDC Global Dialogue

Kooperation

Rebecca Abongo, Klimabeauftragte des kenianischen Gewerkschaftsverbandes COTU, diskutierte mit Ayla Bonfiglio vom Mixed Migration Centre in Nairobi und der Klimaaktivistin Francesca O'Brien über Klimakrise, Flucht und der Rolle Europas. 

Rund 80 Besucher*innen wohnten der Debatte im ÖGB-Zentrum Catamaran bei, die Teil einer Veranstaltungsreihe von VIDC, AK-Wien und ÖGB bildet. Im Mittelpunkt steht "Das Recht nicht gehen zu müssen und Europäische Politiken". Dabei wird die Migrationsdebatte um das Thema Fluchtursachen erweitert, die nicht nur in den Ländern des Globalen Südens verortet werden dürfen, sondern für die europäischen Handels-, Finanz- oder Klimapolitiken mitverantwortlich sind.

Emma Wyschata vom ÖGB-Verein Solidar betonte bei ihrer Begrüßung die globale Ungleichheit, die sich durch die Klimakrise noch vertiefe. Franz Schmidjell (VIDC) nannte als ein Ziel der Diskussion, mehr über die komplexen Zusammenhänge zwischen Klimakrise und den neuen Migrationsmustern zu lernen und zu erfahren, wie Gewerkschaften im Globalen Süden darauf reagierten. Beispielsweise sei Kenia nicht nur Herkunftsland, sondern vor allem Zielland von Migration, die durch die Klimakrise bedingt ist. Zudem fordert Schmidjell Klimagerechtigkeit ein. Da die reichsten ein Prozent gleich viel Kohlenstoffemissionen verursachen wie die ärmsten 66 Prozent der Weltbevölkerung, müssten die Superreichen für die Schäden mitzahlen. Valentin Wedl (AK Wien) wies auf die Broschüre zur Kampagne „Das Recht nicht gehen zu müssen“ hin, die hervorheben soll, dass die Klimakrise nur gehandhabt werden kann, wenn die globalen, sozialen und wirtschaftlichen Probleme gesehen werden. 

Die Moderatorin Gracia Ndona,  freie Jounalistin für die Süddeutsche Zeitung, ADOE-Gründerin (Afrikanische Diaspora Österreich),  verwies in ihrer Einleitung auf die außergewöhnliche globale Hitze und die Unwetter im vergangenen Jahrzehnt, die dazu beigetragen hätten,  dass es weltweit 123 Millionen Vertriebene gäbe. Afrika trage nur 3 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen bei, leide aber am meisten unter der Klimakrise. 

Gerechte Transformation

Rebecca Abongo, Klima- und Umweltbeauftragte der Central Organization of Trade Unions (COTU-K) merkte an, dass ihr bereits während dem Studium der Umweltwissenschaften klar geworden ist, dass die Klimakrise ein wichtiges Thema für die Gewerkschaft sei. Dies veranschaulichte sie am Beispiel von 300 Arbeiter*innen, die in ein Gewerkschaftsbüro kamen, als die kenianische Regierung den Gebrauch von Einweg-Plastik Sackerl verbot.  Die Frage, wie Arbeiter*innen in die Lage versetzt werden können, sich an die Klimakrise anzupassen und wie sie besser geschützt werden können, sei wichtig. Eine gerechte Transformation (Just Transition) darf niemanden zurückzulassen, wie da obige Beispiel zeige. Sie müsse Arbeiter*innen in die Lage versetzen, sich an die Klimakrise anzupassen. Dazu brauche es einen sozialen Dialog zwischen Gewerkschaften, Regierung und Arbeitgebern (tripatriate dialogue), der in Kenia gut funktioniere. 

In Bezug auf die Klimakrise setze die Gewerkschaft auf Ausbildung und Schulungen.  Vorstandsmitglieder verhandeln mit der Regierung über Lehrpläne für Umschulungen. In jeder der 45 Mitgliedsgewerkschaften gäbe es Klimabeauftragte. Schulungen würden insbesondere auf Sektor-Ebene durchgeführt, beispielweise für Transportarbeiter*innen, damit sie im Sinne einer „Just Transition“ eine anständige Arbeit und Arbeitsrechte in den sogenannten „Grünen Jobs“ erhalten.  Frau Abongo, die bei mehreren UN-Klimakonferenzen teilgenommen hatte, forderte von der COP29 einen umfassenden Finanzierungsplan, der auch menschenwürdige Jobs, Schulungen und Wiederbeschäftigung beinhalten müsse. Es brauche sozialen Schutz und Entschädigungen, wenn Jobs durch die Klimakrise zerstört würden, beispielsweise im Tourismus. Ihr Land brauche Ressourcen für Bildung und (Um)Schulungen, insbesondere für die Qualifizierung und die soziale Absicherung von jungen Menschen und Frauen. Des Weiteren fügte Frau Abongo hinzu, dass die Technologie und der Zugang dazu eine Schlüsselrolle spielen. 

Auf die Herausforderungen durch Migration haben die Gewerkschaften mit dem Aufbau von Migrationszentren reagiert, damit jeder Arbeiter, jede Arbeiterin, ihre Rechte erhalte. Die Gewerkschaften stünden auch mit Arbeitsvermittler*innen in enger Verbindung.

Ayla Bonfiglio, Direktorin des Mixed Migration Centre (MMC) in Nairobi, gab einen Überblick über die komplexen  Klima(im)mobilitäten in Ostafrika (dashboard overview). 25 Millionen Menschen wurden aufgrund unterschiedlicher Faktoren intern vertrieben, weitere acht Millionen Menschen aufgrund des Konfliktes im Sudan. Zwischen 2021 und 2023 haben schwere Dürreperioden und Überschwemmungen 36 Millionen Menschen betroffen. Gleichzeitig sind Menschen weniger mobil und sitzen aufgrund von Klima-Katastrophen fest. Ende 2023 betraf eine Überschwemmungskatastrophe Somalia rund 1,6 Millionen Menschen, ungefähr 500.000 Personen wurden vertrieben. 

Frau Bonfiglio betonte, dass meist mehrere Faktoren zur erzwungenen Migration führen würden. Bei Äthiopier*innen und Somalier*innen in Kenia spielten umweltbedingte Faktoren eine wesentliche Rolle, bei anderen Migrant*innen zählten wirtschaftliche Faktoren oder Konflikte zu den Ursachen, beispielsweise der Krieg im Sudan. 

Frau Bonfiglio betonte, die Entflechtung der Ursachen sei weniger wichtig als das Verständnis, wie auf die Klimakrise reagiert wird. Dabei zeigen sich drei Muster:  Immobilität, interne Vertreibung oder grenzüberschreitende Bewegungen. Hinsichtlich grenzüberschreitender Migration bevorzugten 90 Prozent der Befragten Ostafrika bzw. die Golf-Staaten als Destination. Europa wurde nur von einem Teil genannt. Es gäbe drei verschiedene Migrationsrouten: die Ostroute in Richtung Golfstaaten/Saudi Arabien, die Südroute in Richtung südliches Afrika und die Nortroute nach Nordafrika/Europa.

Erwartungen für die COP 29

Francesca O’Brien Klimaaktivistin und Sprecherin des „People's Summit against European Gas Conference“ meinte, dass wir in Österreich und der EU über Klimagerechtigkeit reden müssen. Der globale Norden, mit den USA, Europa und Kanada, ist nicht nur der größte Umweltverschmutzer und Verursacher der Klimakrise, sondern hätte afrikanische Länder auch ausgebeutet.  China sei im historischen Kontext nicht der führende Verursacher der Klimakrise. Es sei wichtig sich zu erinnern, dass viele unserer Konsumgüter wie Telefone woanders produziert würden.  100 Konzerne seien für ungefähr 70 Prozent der weltweiten Treibhausgase verantwortlich. Sie sitzen bei der COP29 in Baku oder in der EU. Das Verursacherprinzip müsse, ähnlich wie bei der Wasserverschmutzung, auch bei Klimakrise angewandt werden und fossile Industrien müssten ihren Beitrag leisten. O‘Brien verwies auf eine andere Form der Ausbeutung des Globalen Süden durch das Finanzsystem in der „grünen Wirtschaft“. Die Kreditzinsen für Solarprojekte würden in Europa sich auf 2,8 Prozent belaufen, während in Indien 11 Prozent und in Argentinien 54 Prozent bezahlt werden müssten. 

In Bezug auf die Erwartungen für die COP 29 könne Frau O’Brien nicht für alle Klimaaktivist*innen sprechen, manche seien hoffungsvoll, dass Regierungschefs ihren Forderungen zuhören. Aber das Problem sei, dass Klimaaktivist*innen nicht eingeladen werden. Es sei offensichtlich, dass es zu keinem Ende der Verwendung fossiler Brennstoffe komme, weil Lobbyist*innen weiter für fossile Brennstoffe werben. O’Brien habe gemeinsam mit Aktivist*innen eine Gegenkonferenz zum Europäischen Gasgipfel 2023 organisiert.   ‚Don’t gas Africa‘ ist ein wichtiger Partner, sie fordern, das Afrika nicht weiter in die Gasproduktion gedrängt wird. 

Im Rahmen der Publikumsdiskussion wurde auch die Frage hinsichtlich der Verantwortung von nationalen und lokalen Regierungen gestellt, die mit Investoren zusammenarbeiten. Frau Abongo stellte fest, dass in Kenia die Regierung mit den jeweiligen Bezirken ein eigenes Budget zum Thema Klimawandel geschaffen hat. Damit sollen auch Lösungen mit den lokalen Gemeinden und der Zivilgesellschaft gefunden werden. Als Beispiel nannte sie das Lamu Kohlekraftwerk. Nach jahrelangen Kampagnen und weitreichenden lokalem Widerstand entzogen kenianische Gerichte 2019 dem Kraftwerksbetreibern die Umweltlizenz. Bezüglich möglicher Folgen des „grünen“ Wachstums berichtete sie von einem Wasserstoffunternehmen, das zu Umsiedlungen von Bewohner*innen führte, die entschädigt wurden. 

Abongo betonte abschließend, dass es wichtig sei, weitere Schulden für die Länder des Globalen Südens zu vermeiden und, dass Klimafinanzierung über Ausgleichszahlungen nicht über Kredite erfolgen solle. Bei Projekten wie der umstrittenen ostafrikanischen Ostafrikanische Rohöl-Pipeline (EACOP) sei es wichtig, mit lokalen Gemeinschaften zu kooperieren. Aktivismus für Klimagerechtigkeit muss als Solidarität zwischen Gemeinschaften und Kontinenten gesehen werden. Dazu brauche es neue Formate, bei denen die lokalen Communities eingebunden seien. 

Podium

Ayla Bonfiglio

ist die Leiterin des Mixed Migration Centre (MMC) zu Ostafrika, Südliches Afrika, Ägypten und Jemen in Nairobi, Kenia. Von 2019 bis 2022 war sie Leiterin des MMC für Nordafrika. Sie arbeitet und forscht seit 15 Jahren zu Fragen der erzwungenen Migration und Mobilität aus zahlreichen Ländern in Nord- und Subsahara-Afrika. Sie war in zahlreichen internationale Organisationen wie GIZ, ICMPD, IOM, UNESCO, UNODC und UNHCR tätig. In ihrer Dissertation an der Maastricht University untersuchte sie, welche Rolle der Wunsch nach höherer Bildung bei Migrations- und Fluchtentscheidungen spielen. Ihre Forschungsarbeit umfassten mehrere hundert Tiefeninterviews mit Flüchtlingen und Migranten in Kenia, Südafrika und Uganda. Sie erwarb einen Master of Science (MSc) in Migration an der Universität Oxford und einen Bachelor of Arts (BA) in Politikwissenschaft an der Columbia University.

Rebecca Abongo

ist Klima- und Umweltbeauftragte beim Central Organization of Trade Unions (COTU-K), dem nationalen Dachverband der Gewerkschaften Kenias. Als Umwelt- und Klimaexpertin arbeitet sie zu Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel, der nachhaltigen Bewirtschaftung von Umweltressourcen, einer gerechten wirtschaftlichen Transformation sowie zu Maßnahmen der Armutsbekämpfung und Gleichstellung der Geschlechter. Sie hat Umweltwissenschaften an der Universität Pwani (Kenia) und Klimawandel und Klimaanpassung an der Universität Nairobi studiert. Durch ihre Arbeit bei internationalen und lokalen Organisationen hat sie Erfahrungen im Programmmanagement gesammelt.

Francesca O'Brien

ist Klimaaktivistin und Sprecherin des „People's Summit against European Gas Conference“. Sie ist in der österreichischen Klimagerechtigkeitsbewegung tätig und setzt sich für eine faire und demokratische Energiewende ein.

Gracia Ndona

arbeitet als freie Journalistin bei der Süddeutschen Zeitung und als freiberufliche Moderatorin. Sie hat einenn Bachelor an der Wirtschaftsuniversität Wien erworben.  Gemeinsam mit Freund*innen hat sie den Verein Afrikanische Diaspora Österreich (ADOE) gegründet, dem über 200 Mitgliedern angehören. ADOE will die Vielfalt der Black Community zeigen und eine Plattform zur Vernetzung bilden. Gracia Ndona hat gemeinsam mit den ADOE Team interaktive Podiumsdiskussionen mit Persönlichkeiten der afrikanischen Diaspora, die Africa Quiz Night oder das Event „ADOE presents: Loving Black“ organisiert.  

 

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