Im Oktober 2020 kam es in Nigeria zu einem der größten Massenproteste des 21. Jahrhunderts, nachdem ein junger Mann von der berüchtigten Polizeieinheit SARS (Special-Anti-Robbery-Squad) erschossen wurde. In Nigeria und weltweit, auch in Österreich, fanden Massenproteste statt. Die Protestierenden forderten die Auflösung der gefürchteten Spezialeinheit der Polizei und ein Ende der Gewalt.
Die österreichisch-nigerianische Filmemacherin Joana Adesuwa Reiterer besuchte fünf Mal das westafrikanische Land, um diesen Teil der jüngeren Geschichte des Landes in ihrer Dokumentation festzuhalten. „Ich war wie viele Nigerianer*innen von der Polizeigewalt schockiert. Als Filmmacherin in der Diaspora habe ich mich gefragt, was ich beitragen kann. So ist die Idee für diese Dokumentation entstanden“, meinte Reiterer zur Motivation über diesem Film.
Der Film verortet die Ursachen der Misere, in der sich die Jugend befindet, nicht nur in Nigeria, sondern auch im kolonialen Erbe und der neokolonialen Politiken Europas. In der Diskussion erläuterte Reiterer, dass in Nigerias Schulen kaum mehr Geschichte unterreichtet werden. Die jungen Menschen wüssten daher wenig über die Vergangenheit. Sie bemühe sich, dass der Film auch in Nigeria gezeigt werden.
Das kostet aber Geld. Voices Uprising wurde ohne Förderungen produziert. Die Regisseurin: „Wir haben drei Jahre für die Produktion gebraucht, sind fünf Mal nach Nigeria gereist. Der Film wurde nur durch die großartige Unterstützung der Protagonist*innen und der Filmcrew in Nigeria möglich.“
Ethnic profiling
Moderiert von dem Journalisten und Herausgeber des Black Austrian Lifestyle Magazins „Fresh“, Simon Inou, diskutierten die Filmemacherin, der Menschenrechtsaktivist und Musiker Patrick Bongola und der österreichische Richter Oliver Scheiber über das Thema "ethnic profiling". Polizeigewalt und Diskriminierung sind keine rein nigerianischen Realitäten, sondern geschehen weltweit. Die #endSARS Proteste fanden zur gleichen Zeit wie die „Black Lives Matter“ Demonstrationen als Reaktion auf die Ermordung von George Floyd in den USA statt.
Patrick Bongola berichtete von einer willkürlichen polizeilichen Anhaltung auf dem Weg zu seinem Studio. Leider kein Einzelfall. Oliver Scheiber verweist auf eine Studie der Europäischen Grundrechte-Agentur zu Rassismus. 53 Prozent der befragten Männer und 24 Prozent der befragten Frauen in Österreich gaben an, in den fünf Jahren vor der Umfrage von der Polizei kontrolliert worden zu sein. Beides sind absolute Spitzenwerte in Europa.
Uprising Voices ist ein Film, der verstört, aber auch Hoffnung gibt. Nigerias Jugend kämpft für eine bessere Welt, für ihre Träume. Die europäische Politik sollte gegen Rassismus konsequenter auftreten und ihre Zusammenarbeit mit den afrikanischen überdenken. Damit wäre den Aktivist*innen schon viel geholfen.
Aussagen von Protagonist*innen des Films
DJ Switch, Künstlerin und Aktivistin: „Ich habe die Brutalität von SARS (Special-Anti-Robbery-Squad) miterlebt. Ich kann Ihnen Geschichten darüber erzählen. Das ist unser Leben; wir werden getötet. Ich habe mich dem Protest angeschlossen. Ich sah Menschen, Fremde, die diese wahre nigerianische Identität zeigten. Verschiedene Religionen und verschiedene ethnische Gruppen, die sich an den Händen halten, zusammenstehen, zusammen singen und sich gegenseitig beschützen. Ich war froh, dort zu sein, bis die Regierung nicht mehr damit umgehen konnte.“
Obianuju Iloanya, politische und soziale Aktivistin: „Sie müssen den wirtschaftlichen Aspekt von all dem verstehen. Gerechtigkeit in Nigeria ist etwas für die Reichen, wenn man es sich leisten kann.“
Olaf Bernau, Soziologe und Aktivist: „Was die afrikanische Elite tut, liegt oft auch im Interesse der europäischen Elite.“ Wir müssen kritisch über diese Zusammenarbeit sprechen. Europa muss endlich aufgeben und vieles stoppen. Das allein würde schon sehr helfen.“