Zwanzig Jahre sind vergangen seit der UN-Sicherheitsrat die Resolution 1325 „Frauen, Frieden und Sicherheit“ verabschiedet hat. Wesentliche Elemente sind die Stärkung der Teilhabe von Frauen an Friedensprozessen, die Gewährleistung von besserem Schutz für Frauen und Mädchen vor sexueller Gewalt in bewaffneten Konflikten und die Unterstützung nach konfliktbedingter geschlechtsspezifischer Gewalt. UN-Mitgliedsstaaten sind aufgefordert Nationale Aktionspläne (NAPs) zur Umsetzung dieser Forderungen zu entwickeln. Bis vor kurzem wurde jedoch eine bedeutende Gruppe in den meisten Plänen weitgehend ignoriert, nämlich Frauen und Mädchen, die vor Krieg und Gewalt flüchten mussten und jetzt in Europa leben. Diese Frauen sind jedoch oft Expertinnen und Aktivistinnen im Bereich Gender und Frieden. Zum ersten Mal berücksichtigt der aktuelle Regionale Aktionsplan der EU (2019-2024) die Teilnahme, den Schutz, die Unterstützung und die Genesung von Frauen mit Fluchtgeschichte in Europa.
Das VIDC hat in diesem Zusammenhang die Studie "Refugee Women as Agents for Peace" in Auftrag gegeben, die analysiert, wie Österreich den EU-Plan umsetzt. Bei der gleichnamigen online Veranstaltung am 3. Dezember 2020 wurden die Ergebnisse der Studie präsentiert, Lücken bei der Umsetzung aufgezeigt und Best Practice Beispiele aus anderen EU-Ländern diskutiert. Die wichtigste Empfehlung der Podiumsdiskussion war, den österreichischen NAP zu UN-Resolution 1325 zu aktualisieren, da er seit 2016 nicht adaptiert wurde.
Barbara Kühhas, Kultur- und Sozialanthropologin und Autorin der Studie kritisierte: „Österreich hat die enormen Entwicklungen der letzten Jahre und besonders das hohe Flüchtlingsaufkommen im Jahr 2015 nicht berücksichtigt.“ Kühhas erklärte, dass sich EU-Länder in der erste Umsetzungsphase der Resolution nur auf die Unterstützung von Frauen in Kriegsgebieten konzentrierten, und sich nicht mit der Situation von geflüchteten Frauen in Europa befassten. Erst seit wenigen Jahren konzentriere sich die EU mehr auf die Situation von Frauen mit Fluchterfahrung, doch habe Österreich diesbezüglich noch keine Aktualisierungen vorgenommen.
In Syrien Friedensaktivistin, in Österreich Reinigungskraft?
Oula Khattab, syrische Anwältin, die nach Österreich flüchtete und die Initiative Souriat - Syrian Women for Justice and Peace gründete, schilderte: "In Syrien haben wir als Aktivistinnen zu einem Waffenstillstand in einer der Regionen beigetragen. Trotz des Mangels an Ressourcen und Fachwissen vor Ort konnten wir Erfolge erzielen, um Frieden zu schaffen; Erfolge auf die wir stolz sind. Hier jedoch werden wir als Frauen behandelt, die sich lediglich für eine Arbeit als Reinigungskraft oder Küchenhilfe eignen." Trotz der Hürden, mit denen sich geflüchtete Frauen konfrontiert sehen, wie zum Beispiel der mangelnden Anerkennung akademischer Qualifikationen oder der Schwierigkeit, Deutschkurse zu erhalten, setzte Khattab ihre Aktivitäten zur Stärkung von Frauen an Friedensprozessen fort und gründete ihren eigenen Verein. Derzeit arbeitet sie im Bereich der psychologischen Unterstützung von Frauen beim Verein Interkulturelle Gesundheitsförderung – AFYA. Khattab schlug die Errichtung eines Beirats innerhalb des Ministeriums für Frauen und Integration vor, dem Migrant*innen und geflüchtete Personen angehören. Diese sollten ferner auch an der Entwicklung des nächsten NAP mitwirken.
Marie-Luise Müller, Ko-Autorin der Studie und auf Asyl- und Einwanderungsrecht spezialisierte Anwältin mit Fokus auf geschlechtsspezifische Gewalt, fügte hinzu, dass das Erlernen von Sprache eine Voraussetzung für einen erfolgreichen Integrationsprozess und ein Eckpfeiler für eine effektive und sinnvolle Beteiligung von Frauen ist. "In der Studie konnten wir sehr große Lücken beim Angebot von Deutschkursen feststellen, insbesondere in ländlichen Gebieten." Die Juristin erläuterte auch die Wichtigkeit weibliche Opfer von Kriegsgewalt zu unterstützen, da sie sich an Ermittlungen gegen Kriegsverbrecher*innen beteiligen können. Mit ihren Zeuginnenaussagen sorgten sie bereits in einigen Fällen für Gerechtigkeit und trugen zum Friedensprozess im Herkunftsland bei.
Wichtige Zusammenarbeit von Regierungen, NGOs und geflüchteten Frauen
Die VIDC Studie untersuchte auch Best Practice Beispiele anderer EU-Länder, die geflüchtete Frauen bereits besser in ihre NAPs zur UN-Resolution 1325 einbeziehen. Anne-Floor Dekker von WO=MEN – Dutch Gender Platform berichtete über die „Dutch NAP Partnership“, ein niederländisches Netzwerk von Ministerien und über 50 NGOs, die an der Entwicklung und der Umsetzung des NAP arbeiten. Der Austausch fokussiert dabei auf geografische Regionen, wie z.B. auf den Jemen oder Afghanistan, oder auf Themen, beispielsweise Gewalt gegen Frauen. "Im Rahmen des Netzwerks führten wir regelmäßig Diskussionsrunden durch, um zur Entwicklung des nächsten NAPs beizutragen, mit dessen Umsetzung in diesem Monat begonnen werden soll. Geflüchtete Frauen waren in hoher Anzahl vertreten, da es sehr wichtig ist, ihre Erfahrungen einzubringen und sie in diesen Dialog einzubeziehen," führte Anne-Floor Dekker aus. Sie betonte, dass ein Startkapital für Frauen- und Diasporaorganisationen bedeutend für die unabhängige und sinnvolle Beteiligung von Frauen ist.
Salome Mbugua, Gründerin von AkiDwA – ein nationales Netzwerk migrantischer Frauen in Irland erklärte: „Es ist inakzeptabel, das Leid von Frauen, die aus Kriegsregionen kommen, zu ignorieren, da sie ein Schlüsselfaktor für Veränderungen sind. Viele von ihnen sind gebildet und können maßgeblich zur Friedenskonsolidierung beitragen. Deshalb sollten wir sie nicht nur als verzweifelte Opfer betrachten, die Hilfe brauchen.“ In Bezug auf die psychische und körperliche Gesundheit von Frauen mit Fluchterfahrung erzählte Mbugua von der Irischen „Migrant Health Strategy“, die den Zugang von Migrantinnen und geflüchteten Frauen am Gesundheitssystem verbessern soll. Im Rahmen dieses Programms werden die besonderen Bedürfnisse von Frauen - besonders jener, die an posttraumatischen Belastungsstörungen leiden - berücksichtigt und ihnen psychologische Unterstützung gewährt. Des Weiteren werden Schulungen im Bereich interkulturelle Kompetenz für Gesundheitspersonal und Übersetzungen relevanter Gesundheitsinformationen angeboten. "Manche sagen, dass geflüchtete Frauen nicht an der Gesellschaft oder an Friedensprozessen teilnehmen können. Ich sage, dass sie fähig und willens sind, aber ausreichende Ressourcen und Werkzeuge benötigen. Wenn Sie wirklich eine effektive Beteiligung von Frauen wollen, sollten Sie bereit sein, einen angemessenen Preis dafür zahlen", bestärkt Mbugua die Forderung nach mehr Finanzierung und Unterstützung von migrantischen Organisationen.
Abschließend fasste Barbara Kühhas die wichtigsten Empfehlungen der Studie zusammen. Sie betonte, dass die Einbeziehung von migrantischen und geflüchteten Frauen und Diaspora-Organisationen sich letztlich als Erfolgsfaktor für die Umsetzung der UN Agenda „Frauen, Frieden und Sicherheit“ auswirke. Sie sollten daher in der Weiterentwicklung des derzeitigen österreichischen NAPs und in der Umsetzung stärker konsolidiert werden. Damit die Beteiligung von neuankommenden Frauen und Mädchen möglich ist, braucht es Spracherwerbsmöglichkeiten in der Anfangsphase des Asylverfahrens und muttersprachlichen Zugang zu relevanten Informationen. Die Studie empfahl auch mediale Maßnahmen, um Stereotype in der Mehrheitsgesellschaft abzubauen und die Stimmen von Frauen mit Fluchterfahrung als aktive und selbstständige Akteur*innen für Frieden und Teilhabe zu verstärken (14. Dezember 2020).