Zeitgleich mit der 27. Weltklimakonferenz, die im ägyptischen Sharm El Sheikh stattfand, war das sich verändernde Klima und die damit verbundenen Naturkatastrophen auch Thema einer Podiumsdiskussion des VIDC am 10. November. Konkret ging es dabei um Klimawandel als Faktor, der direkt oder indirekt zu Vertreibungen bzw. Zerstörung von Existenzen führt. Es wurde in dieser Podiumsdiskussion diskutiert, inwiefern verschiedene soziale Gruppen im Globalen Süden ganz unterschiedlich davon betroffen sind und was es braucht, damit der Globale Norden endlich Verantwortung übernimmt.
Moderiert wurde die Diskussionsveranstaltung von Daniela Paredes Grijalva (Österreichische Akademie der Wissenschaft). Das Podium bestand aus Paula Banerjee, Expertin im Bereich Zwangsmigration mit besonderem Fokus auf Gender-Fragen, Pato Kelesitse, Expertin für nachhaltige Entwicklung in Gaborone, Botswana und Gründerin sowie Gastgeberin des Podcasts Sustain267, und Simon Bunchuay-Peth, Humangeograph und Migrationsforscher.
Klimawandel und soziale Situiertheit
Während der Klimawandel im Globalen Norden häufig als etwas Abstraktes versachlicht werde, sei dieser in Wahrheit ein zutiefst soziales Thema. Es gehe um nichts weniger als Gerechtigkeit, Würde und Menschenrechte, so Banerjee. Da das Publikum dieser Ansicht vermutlich zustimme, wolle Banerjee auf einer emotionalen und gleichsam konkreten Ebene ansetzen, um auf die Dringlichkeit des Problems hinzuweisen und Handlungsdruck aufzubauen.
Klar ist, dass sich Menschen im Globalen Süden mit den schwerwiegendsten Folgen des Klimawandels konfrontiert sehen. Doch auch unter ihnen, selbst innerhalb eines Landes oder einer Region, gibt es große Unterschiede dahingehend, welche Dimensionen Klimawandel und Naturkatastrophen in ihren Folgen für ein Individuum annehmen. Eine durch den Klimawandel bedingte Flut führe beispielsweise nicht nur zu Vertreibung, weil das Zuhause von Menschen zerstört wird, sondern kann etwa für Bauer*innen bedeuten, dass auch ihre Felder und damit ihre ökonomische Existenzgrundlage nachhaltig zerstört wird. So seien Bewohner*innen ländlicher Gegenden nochmals anders betroffen als Stadt-Bewohner*innen. Auch habe Klimawandel eine stark vergeschlechtlichte Dimension, über die kaum gesprochen werde. Jene Personen, die etwa in Südasien aufgrund von Naturkatastrophen ihre Jobs verlieren, seien vor allem Frauen. Gleichzeitig werde, sofern es ein weibliches Einkommen in der Familie gebe, vor allem dieses als „Familieneinkommen“ gesehen, während das Einkommen des Mannes tatsächlich als sein eigenes Einkommen verstanden werde.
Struktureller Rassismus und politischer Unwille
Viele der Menschen, deren Situation es aufgrund des Klimawandels erfordern würde, auszuwandern, verfügen jedoch nicht über die finanziellen Ressourcen, um beispielsweise den Weg nach Europa anzutreten. Dass jene Personen, die in Ländern des Globalen Nordens ankommen, zu den relativ ‚Privilegierten‘ gehören, werde im Diskurs der Industrieländer häufig vergessen. Da es auf legalem Wege für Personen aus dem Globalen Süden kaum möglich sei, beispielsweise in die EU zu migrieren, würden jene Menschen nicht nur ihr ganzes Vermögen zum Beispiel an Schlepper bezahlen, sondern gleichzeitig damit ihre Menschenrechte aufgeben, so Kelesitse. In den Ländern, in den sie ankommen, würden sie als Bürde gesehen oder, so Banerjees Ergänzung, gar wie Kriminelle behandelt. Es sei also viel mehr als nur Geld, das diese Menschen aufopfern müssen, sofern sie sich die unmenschliche, entwürdigende und gefährliche Reise in die reichen Industrieländer überhaupt leisten können.
Doch nicht alle werden abgewiesen. Die Entscheidung darüber, wem die Türen an den Grenzen geöffnet werden und wem nicht, offenbart den institutionalisierten Rassismus im Globalen Norden. So habe etwa die Ukraine-Krise gezeigt, dass durchaus Geflüchtete aufgenommen werden können und Verantwortung übernommen wird, wenn der politische Wille da ist. Bei Persons of Colour aus dem Globalen Süden sei dieser Wille aber offensichtlich nicht vorhanden, kritisierte Kelesitse.
Die Darstellung von Migrant*innen aus dem Globalen Süden als ‚Problem‘ gehe jedoch vollkommen an der Realität und dadurch auch an konstruktiven Lösungen für beide Seiten vorbei. Anstatt sie als Bedrohung zu sehen, etwa als Personen, die der autochthonen Bevölkerung Jobs wegnehmen würden, würden sie in Wahrheit gesellschaftlich relevante Tätigkeiten übernehmen, die sonst niemand machen wolle oder könne. Der Globale Norden würde durchaus von der Arbeitskraft und dem Wissenstransfer profitieren. Im Sinne allgemeiner Menschenwürde, aber auch aus einer volkswirtschaftlichen Logik heraus müsste es diesen Personen, die zur Flucht gezwungen sind, auf legalem und sicherem Weg ermöglicht werden, Teil der produktiven Gesellschaft zu werden. Wie auch Banerjee festhielt: „Nobody likes to beg, borrow or steal.” Die Geflüchteten wollen ihren Beitrag leisten. Doch wer Steuern zahle und wertvolle Arbeit leiste und dadurch die Pflichten von Staatsbürger*innen wahrnimmt, solle auch alle entsprechenden Rechte erhalten.
Das Kind beim Namen nennen
Auch Bunchuay-Peth konnte aus seiner Forschung bestätigen, dass Migrationsentscheidungen, die im Zusammenhang mit dem Klimawandel stehen, sehr komplex sind und dabei viele Faktoren ineinandergreifen und manchmal ganz unterschiedliche Folgen haben. Naturkatastrophen könnten beispielsweise auch dazu führen, dass Personen eben nicht (mehr) mobil sind, sondern an einem Ort festsitzen, wie beispielsweise Hurricane Katrina im Jahr 2005 in den USA zeigte. Auch dies kann ein Problem darstellen. Warum es aber so wichtig ist, über die genauen Ursachen klimabedingter Problemlagen zu sprechen und beispielsweise auch menschengemachten Klimawandel klar von natürlichem Klimawandel zu unterscheiden, ist, dass sich nur dadurch Verantwortung ableiten lässt. Nur wenn der Globale Norden die unangenehme Tatsache offen anerkennt, dass er der Hauptverursacher der globalen historischen Treibhausgasemissionen und dadurch des menschengemachten Klimawandels und den damit verbundenen Vertreibungen ist, werden entsprechende Maßnahmen folgen.
Auf die Publikumsfrage, was denn nun die konkrete Lösung auf diese Ungerechtigkeit ausgehend vom Globalen Norden wäre, antwortete Banerjee, dass es in diesem vielschichtigen, komplexen Thema viele Lösungen gebe. Es sei wichtig, sich der Macht der Zivilgesellschaft bewusst zu sein und diese zu nutzen. Alle großen historischen Errungenschaften im Sinne einer gerechteren Gesellschaft seien durch Bewegungen der Basis gekommen, indem sich Stimmen aus der ganzen Welt zusammengeschlossen haben, erinnerte Banerjee mit Verweis auf die „Frauenbewegung“. Kelesitse warnte davor, hoffnungslos zu sein. Denn dies bedeute, die aktuelle Situation zu akzeptieren. Die vorherrschenden Verhältnisse seien jedoch inakzeptabel. Daher müsse man hoffnungsvoll bleiben und jede noch so kleine Möglichkeit im eigenen Umfeld nutzen, um Veränderung zu schaffen. Die (noch) „unsichtbaren Elefanten“ wie Kapitalismus und koloniale Kontinuitäten, die der Schuld- und Verantwortungsübernahme des Globalen Nordens im Weg stehen, müssen beim Namen genannt werden, waren sich Publikum und Podium einig.