Sexuelle Bildung – Schlüsselfunktion für Entwicklung. Let’s talk about sex!

Bericht vom Workshop für AG SRGR Mitglieder und Interessierte am 19.11.2024

Kuratiert von

Nadja Schuster und Tamara Felbinger

Programm

Tamara Felbinger

Sexualpädagogin, Sozialarbeiterin und Obfrau von VEMINA. Als Vortragende im Sozial-, Bildungs- und Gesundheitsbereich liegt ihr Fokus auf umfassender sexueller Bildung und Prävention sexualisierter Gewalt.

Ines Kohl

Sozialanthropologin und seit 2022 Geschäftsführerin von THE RAIN WORKERS - Netzwerk für sexuelle und reproduktive Gesundheit. Nord- und Süd-NGOs können das holistische Trainingsprogramm für Multiplikator*innen buchen und eigenständig umsetzen. 

Moderation: Nadja Schuster

Soziologin, Gender-Expertin bei VIDC Global Dialogue, Koordinatorin der SRGR Arbeitsgruppe, Ko-Autorin des VIDC Policy Papers „Schlüsselstelle Sexuelle und Reproduktive Gesundheit und Rechte“, Redakteurin des VIDC Online Magazins Spotlight. 

Einleitende Worte: Janine Wurzer 

Koordinatorin von WIDE, einem entwicklungspolitischen Netzwerk für Frauen*rechte und feministische Perspektiven, Ko-Autorin des VIDC Policy Papers zu SRGR. Sie betreute 15 Jahre Projekte im Bereich Gender und SRGR. 

Autorinnen*

Lina Ehrich und Nadja Schuster

Kooperation

Umfassende, sexuelle Bildung trägt zur Selbstbestimmung über den Körper und die eigene Lebensgestaltung bei. Sie stärkt wichtige Kompetenzen, die das sexuelle Verhalten und die Familienplanung, die sexuelle und reproduktive Gesundheit und die dazugehörigen Rechte (SRGR) betreffen. Und sie wirkt präventiv im Hinblick auf sexualisierte Gewalt. Außerdem hilft Sexualpädagogik, Geschlechterstereotypen abzubauen und fördert die Akzeptanz von Geschlechtervielfalt und unterschiedlichen sexuellen Orientierungen, wodurch eine aufgeklärtere und inklusivere Gesellschaft entstehen könnte. Obwohl die Auswirkungen einer altersgerechten, sexuellen Bildung auf der persönlichen und gesellschaftlichen Ebene durchgehend positiv sind, stößt das Thema national wie international auf großen Widerstand.

Sexuelle Bildung im Schulkontext und aktuelle Situation in Österreich

Sexualpädagogik wird in der Rechtsvorschrift als “übergreifendes Thema” behandelt und kann laut Lehrplan in mehrere Fächer integriert werden. Die Lehrkräfte haben eine individuelle, pädagogische Freiheit wann und in welcher Form die Inhalte angeboten werden. Allerdings müssen sie sich am, vom Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung herausgegebenen Grundsatzerlass von 2015 orientieren, der von Sexualpädagog*innen als progressiv bewertet wird. Laut Tamara Felbinger sind die größten Herausforderungen die fehlenden Ressourcen und finanziellen Förderungen für die Umsetzung des Grundsatzerlasses sowie die fehlende sexualpädagogische Grundausbildung für Lehrende. Eine wesentliche Rolle bei der Umsetzung des Unterrichtsprinzips „Sexualpädagogik“ kommt der Aus-, Fort- und Weiterbildung zu. Problematisch daran ist, dass die Lehrenden individuell entscheiden, ob sie eine sexualpädagogische Aus-, Fort- und Weiterbildung in Anspruch nehmen oder nicht. Hinzu kommt, dass externe sexualpädagogische Angebote für Schulen rar sind und nur von privaten Anbieter*innen bereitgestellt werden. Ein Hauptkritikpunkt ist, dass es keine bundesweite Qualitätssicherung der Angebote, unter Einbindung praktizierender Sexualpädagog*innen, gibt. Das Sozialministerium arbeitet zwar derzeit an einem sogenannten Akkreditierungsverfahren, das sexualpädagogische Anbieter*innen anhand eines Beurteilungsbogens bewerten soll. Daran kritisiert wird, dass die Qualitätssicherung der effektiv vermittelten Inhalte jedoch lediglich über die Feedbackschleife, durch Rückmeldungen von Schulen und Teilnehmenden, erfolgen soll. Erst wenn ein Angebot häufig schlecht bewertet wird, muss sich der/die Anbieter*in einer weiteren Prüfung unterziehen. Durch die unzureichende Qualitätssicherung kann auch das Gegenteil einer diversen und inklusiven Gesellschaft propagiert werden, wie das Fallbeispiel TeenSTAR Österreich zeigt.
Zu den Veränderungen stellt die WHO in einem Dringlichkeitsbericht (2024) fest, dass der Kondomgebrauch unter sexuell aktiven Jugendlichen dramatisch gesunken ist, was zu einem hohen Risiko für sexuell übertragbare Krankheiten, ungewollte Schwangerschaften und unsichere Schwangerschaftsabbrüche führt. Der erste österreichische Verhütungsbericht (2024) des Gesundheitsministeriums spricht zudem von einem enormen Gender-Divide bei Verhütungskosten: so tragen knapp 50% der Frauen die Kosten allein. Hier wären kostenlose Verhütungsangebote eingebettet in eine breit angelegte Kampagne und der flächendeckende Ausbau des sexualpädagogischen Angebots zielführende Maßnahmen. 
Als Good Practice Beispiel wurde achtung°liebe - Sexualpädagogische Workshops für Jugendliche von Studierenden, ein Programm für Schulklassen und betreute Einrichtungen, erwähnt. Das Besondere des Projekts ist der Post-Peer-to-Peer Ansatz, der nah an der Realität von Jugendlichen ist.

Good Practice aus Ost- und Westafrika: Sexuelle Bildung im Humanitarian-Development-Peace Nexus

Ines Kohl ist im ihrem Impulsreferat der Frage nachgegangen, was Österreich von dem Programm zu sexueller Bildung von THE RAIN WORKERS in Ost-Westafrika lernen kann. In diesem Zusammenhang wurden die sogenannten „Treetings“ (meetings under a tree) als informeller Raum zum stetigen Austausch über sexuelle Gesundheit erwähnt. Etwas Vergleichbares gibt es in Österreich nicht. Im Hinblick auf die Nachhaltigkeit der Bildungsarbeit von THE RAIN WORKERS hat sich ein breites Multiplikatorinnen-Netzwerk in den einzelnen Communities bewährt.
Ein besonders spannender Aspekt war der Austausch zur Rolle hierarchischer gesellschaftlicher Strukturen und deren Einfluss auf die Förderung sexueller Bildung und Gesundheit. Ines Kohl betonte, wie wichtig es ist, bestehende Autoritäten bzw. Gate keeper – Dorfälteste und religiöse Führungspersönlichkeiten – strategisch einzubinden, um den Zugang zu SRGR in Gemeinschaften zu verbessern.
Auch für Österreich ergaben sich wichtige Learnings. Während religiöse Institutionen oft als Hindernis für Fortschritt im Bereich sexueller Bildung wahrgenommen werden, können sie bei gezielter, sensibler und respektvoller Ansprache auch als wertvolle Partner*innen fungieren, um gesellschaftliche Tabus zu brechen und den Dialog zu fördern. 
Auf besonders großen Zuspruch stießen die Girls Empowerment Camps in Kenia, die durch Aufklärung zu weiblicher Genitalverstümmelung (FGM/C), sexueller Bildung von Mädchen/Jungen und Community Sensibilisierung einen großen Beitrag zur nachhaltigen Bekämpfung von FGM/C leisten.
Die Teilnehmenden brachten ähnliche Beispiele aus Österreich ein, die medial kaum sichtbar sind: das Angebot der Kinderuniversität Wien und die Mädchenwoche des Vereins Romano Centro. Mediale Aufklärung wie die von UNICEF geförderte Plattform LAAHA, die Informationen zu sexueller Bildung und Online Sicherheit in sechs Sprachen (wird auf 20 erweitert) anonym zur Verfügung stellt, wurde ebenso als Good Practice identifiziert. 

Forderungen zu sexueller Bildung in Österreich und im Bereich der Internationalen Zusammenarbeit Österreichs

Sexuelle Bildung sollte systematischer in die Grundausbildung des Lehrenden und in die Lehrpläne integriert werden, denn 1-2 Workshops im Ausmaß von 3-4 Stunden sind unzureichend. Zusätzlich braucht es ein Elternbildungsangebot für sexuelle Bildung sowie für Medien- und Pornokompetenz. Drei Ansätze haben sich in der Praxis bewährt: Life Long Learning, Multiplikator*innen und (Post-)Peer-to-Peer-Ansatz. Für die Umsetzung der Maßnahmen braucht es eine langfristige Förderung. 
Sexualpädagogische Angebote auch online verfügbar zu machen, um so Jugendliche in ihren Sozialisierungsräumen zu erreichen, ist ein weiteres wichtiges Take-Away. Hier wurde Auf Klo des Deutschen Öffentlichen Rundfunks positiv hervorgehoben. Ein ähnliches Angebot durch den ORF wäre eine sinnvolle Investition in die Zukunft. 
Eine weitere Forderung, die von der Arbeitsgruppe SRGR fortlaufend gestellt wird, ist, SRGR (inklusive sexuelle Bildung) aufgrund seiner Schlüsselfunktion für Entwicklung als Querschnittsmaterie in der Internationalen Zusammenarbeit (IZ) zu verankern. Für die Erreichung dieses Ziels, resümiert die Moderatorin Nadja Schuster, werden fortlaufendes Lobbying und die Zusammenarbeit/Kräftebündelung in den Bereichen Bildung, Geschlechtergerechtigkeit, Gesundheitsversorgung und Entwicklungszusammenarbeit wichtig, die seitens der AG SRGR weiter forciert werden.

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