Anfang Juni 2024 fand in Wien die internationale Konferenz „Women and the History of State Building in Africa“ statt, organisiert von ÖADW-Mitglied Dr. Anais Angelo, Dozentin an der Universität Wien. Expert*innen verschiedener Fachbereiche mit Afrikabezügen präsentierten dort ihre neuesten Arbeiten und Forschungsperspektiven, darunter namhafte Wissenschaftler*innen wie Keynote-Sprecherin Prof. Olufunke Adeboye (Universität Lagos), Phoebe Musandu (Georgetown University in Qatar), und Marius Kothor (Universität Wisconsin-Madison). Beleuchtet wurden die Rollen und Potentiale von Frauen in nationaler und internationaler Politik, ihre politische und gesellschaftliche Teilhabe im postkolonialen und kontemporären Afrika, und ihre kulturelle Einflussnahme auf gesellschaftlichen Wandel auf dem Kontinent.
Plattentektonik: Spannungen in der Sahelzone
Tatsächlich ist das Thema ‚nation building‘ insbesondere in West-, Zentral- und Ostafrika ein besonders komplexes, werden Teile der Region doch mittlerweile als ‚coup belt‘ („Revoltengürtel“) bezeichnet: Von der westafrikanischen Küste durch die Sahelzone und Zentralafrika bis nach Ostafrika finden immer wieder militär- oder milizgeführte Putschversuche statt – allein 2023 waren es sieben, von denen zwei in Niger und Gabun erfolgreich waren. Die Gründe für die Umwälzungen sind zwar nicht verallgemeinerbar, häufig jedoch lassen sich autoritäre Strukturen, gebrochene politische Versprechungen sowie vorherrschende Perspektivlosigkeit in der Bevölkerung als starke Einflüsse herausdestillieren. Neben zunehmender Wasser- und Ressourcenknappheit, bedingt durch die Klimakrise, verschärfen noch andere Faktoren soziale Spannungen: Neil Ford (2022) beispielsweise konstatiert, dass (versuchte) Putsche sich besonders in Nationen häufen, in denen die Wirtschaft nicht besonders stark wächst, die Bevölkerungszahlen jedoch ansteigen. Dies resultiere häufig in Perspektivmangel, insbesondere bei den jüngeren Generationen.
Putsch(-versuche), so Ford, geschehen aus verschiedenen gesellschaftlichen Motiven heraus, die zusammenhängen und/oder einander bedingen können: Teils greifen Militär, Milizen oder Opposition nach der Macht, teilweise wird versucht, Regierungen zu stürzen, die ihre Macht mit unlauteren Methoden zu erhalten oder auszuweiten versuchen. In anderen Fällen ist es der Druck einer unzufriedenen Bevölkerung, der sich in einem Putschversuch Luft macht.
Coups werden häufig als männlich dominierte Ereignisse wahrgenommen. Männer dominieren das öffentliche Bild gewaltsamer Transition: Als Militärs, als politische Figuren, als führende Köpfe hinter den Umbrüchen. Dabei wirken sich gewaltsame, plötzliche Umwälzungen häufig mit besonderer Heftigkeit auf die Leben von Frauen und Mädchen aus. Der Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung und damit einhergehende Straßenschlachten sowie Plünderungen führt häufig zu einem sprunghaften Anstieg der Fälle sexualisierter Gewalt gegen Frauen. Schulen werden geschlossen, Krankenhäuser sind überlastet und durch das herrschende Chaos eines aktiven Putsches nur schwer erreichbar – insbesondere für Kinder, Schwangere, kranke, verletzte und ältere Menschen, eine kritische Situation.
Resultieren Putsche in anhaltend bürgerkriegsartige Zustände, wie es beispielsweise in Burkina Faso der Fall ist, kommt es in Folge häufig zu größeren Fluchtbewegungen. Das bekam in den letzten Jahren insbesondere Niger zu spüren, das für viele Menschen auf der Flucht aus dem ‚coup belt‘ der Ausgangspunkt für den Weg nach Nordafrika oder bis nach Europa ist.
Was der Machtwechsel in Niger für Frauen bedeutet
In Niger fand am 26. Juli 2023 ein erfolgreicher Putsch gegen den damaligen Präsidenten Mohamed Bazoum statt. Nachdem dieser zuvor begonnen hatte, einflußreiche Positionen in Regierung und Armee neu zu besetzen, wandte sich der Leiter der Präsidentengarde, General Abdourahamane Tiani, gegen ihn. Seither regiert eine Militärjunta unter Tiani das Land. Der Coup führte dazu, dass die Mitgliedschaft Nigers in der Afrikanischen Union ausgesetzt wurde. Sowohl aus anderen afrikanischen Staaten als auch aus dem Globalen Norden wurde Kritik an dem als rechtswidrig eingestuften Putsch laut, handelte es sich doch bei der Wahl Bazoumes 2021 um die erste friedliche Machttransition seit der Unabhängigkeit Nigers von Frankreich 1960. Politische Beobachter*innen befürchten vor allem, dass die politische Instabilität die Aktivitäten islamistischer Gruppierungen, die die Regierung unter Bazoum – mit wechselndem Erfolg – einzudämmen versuchte, wieder aufflammen lassen könnte. Abrupte Machtwechsel haben in Niger mittlerweile Geschichte; es war dies der fünfte Coup in Niger in den letzten 50 Jahren.
Insbesondere Frauen auf der ohnehin brandgefährlichen Flucht durch die Sahara sind vulnerabel und häufig von sexualisierter Gewalt betroffen – Zwangsprostitution und Prostitution aus finanzieller Not grassieren. Ein Gesetz, das Schleppertätigkeiten in Niger unter Strafe stellte, und durch welches sich das Land noch unter Bazoum für Hilfsprojekte der EU in immensem Umfang qualifizierte, schränkte die Bewegungsfreiheit der Bevölkerung, insbesondere im Bereich Arbeitsmigration massiv ein. Problematisch daran war, dass ein Großteil der Bevölkerung aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Lage von der Arbeitsmigration abhängig ist. Auch wenn dieses Gesetz seit Kurzem von der Militärregierung außer Kraft gesetzt worden ist, drängte es über Jahre hinweg Geflüchtete und Migrant*innen weiter in kriminelle Parallelstrukturen, in denen sie Gewalt erfahren, ausgebeutet oder schlicht in der Wüste ausgesetzt werden. In anderen Ländern entlang der großen Migrationsrouten werden derartige Strategien ebenfalls mindestens in Betracht gezogen.
Die Auswirkungen der Coups und der Fluchtbewegungen treffen die Vulnerabelsten in der Gesellschaft am härtesten: in Niger ist zum Beispiel seit dem Coup 2023 ein deutlicher Anstieg der Zahlen minderjährig verheirateter Mädchen zu verzeichnen. Die Gründe sind komplex: Dadurch, dass die Militärjunta international nicht als neue Regierung anerkannt wird, wurden viele Hilfsgelder und Entwicklungsprojekte eingestellt und schwere wirtschaftliche Sanktionen erlassen. Diese treffen vor allem Menschen aus sozialen Milieus, die schon zuvor unter oder knapp über der Armutsgrenze lebten. Für diese Familien ist die Verheiratung der Töchter – und damit die Abgabe der Verantwortung für deren Überleben – oft der einzige Weg, sich weiterhin über Wasser halten zu können.
Weiters tut die Klimakrise, die Niger besonders hart trifft, ein Übriges, um die Situation verarmter Kleinbäuer*innen zu verschärfen: Fallen die Ernten aus, haben diese Familien kein Einkommen, mit dem sie Arztrechnungen, Schulgelder oder auch nur Lebensmittel bezahlen könnten. Lebensmittelversorgungsunsicherheit trifft häufig weit mehr Frauen und Kinder als Männer. Fällt dann noch das Einkommen eines Elternteils weg – etwa, weil der Mann oder der ältere Sohn vom Militär eingezogen wird oder bei Kampfhandlungen ums Leben kommt – liegt die ganze Versorgungsverantwortung auf den Schultern der Frauen, die seltener urbares Land besitzen oder die Möglichkeit haben, die Existenz ihrer Familien durch Erwerbsarbeit zu sichern.
Respekt einfordern: Frauenbewegungen in Niger
Jedoch hob Miles Tendi von der Universität Oxford in seinem Vortrag ‚Women, Gender and Military Coups in Africa‘ bei der Konferenz in Wien hervor, dass Frauen in Coups sehr wohl auch Handlungs- und Gestaltungsspielraum haben. Als Antwort auf den Putsch in Niger etablierte sich etwa die Bewegung ‚NigerFemmesFillesPaix‘ („NigerFrauenMädchenFrieden“), die in einer Kampagne circa 50 zivilgesellschaftliche Organisationen einen konnten, um auf die Bedürfnisse von Frauen und Mädchen in post-Putsch Niger aufmerksam zu machen. Das ‚Mouvement pour le Respect des Droits des Femmes du Niger‘ („Bewegung für den Respekt von Frauenrechten in Niger“) setzt sich für die Teilhabe von Frauen an Peace Building-Strategien und Friedensverhandlungen ein und bemüht sich, religiöse und politische lokale und nationale Führungspersonen für die Auswirkungen politischer Entscheidungen auf die Leben von Frauen und Mädchen zu sensibilisieren. Die Konferenz in Wien lässt sich wie folgt zusammenfassen: wenn man aus einer gendersensiblen Perspektive über gewaltsame politische Umwälzungen spricht, gilt es nicht nur hervorzuheben, dass Frauen und Mädchen schwerer betroffen sind, sondern auch, den Aktivismus und die Friedensarbeit, die Frauen in diesen Kontexten leisten, sichtbar zu machen und auf allen Ebenen tatkräftig zu unterstützen.