Das Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der Europäischen und der Afrikanischen Union am 17. und 18. Februar 2022 war Anlass für die erste “Africa-Europe Week“. Zivilgesellschaftliche Vertreter*innen aus Afrika und Europa, insbesondere von Jugendorganisationen und aus der afrikanischen Diaspora, diskutierten ihre Anliegen und erarbeiteten thematische Forderungskataloge an die Gipfel-Teilnehmer*innen. Zur gleichen Zeit fanden ein Business-Form und eine Veranstaltungsreihe von Städten und Gemeinden statt. Die Ergebnisse wurden in einem „Meet the Leaders“ Treffen präsentiert. Franz Schmidjell beobachtete einige Hybrid-Debatten.
"Bring your own chair"
Das die Afrika Europa Woche zustande kam, ist Jutta Urpilainen, der EU Kommissarin für Internationale Partnerschaft (DG INTPA), und ihrem Team zu verdanken. Urpilainen sagte während der Eröffnung: „If you have no chair at the table, you have to bring your own“. Andere EU-Institutionen, wie der EU-Rat von Präsident Charles Michel und der Außenpolitische Dienst (EAD) unter dem Außenbeauftragten Josep Borell hatten wenig Interesse am Dialog mit der Zivilgesellschaft. Auf afrikanischer Seite sind solche Stimmen ohnehin wenig erwünscht. Bei den Eröffnungsreden zum offiziellen Gipfel fanden die zivilgesellschaftlichen Stimmen auch keine Erwähnung.
Das ist ein Fehler. Die erfrischenden Diskussionen zu Jugend, Arbeit, Wirtschaft, Digitalisierung, Klimakrise, Gesundheit oder Migration beinhalteten neben kritischen Positionen auch viele konstruktive Vorschläge.
Die Jugend prägt Afrika
Rund 60 % der 1,3 Milliarden Menschen in Afrika sind unter 25 Jahre alt. Nur 27 Millionen Afrikaner*innen oder 2 % sind älter als 70 Jahre. Daher fordert die Jugend eine entsprechende Mitsprache. 35 % sollte ihr Anteil in den öffentlichen Institutionen sein, die Hälfte davon Frauen, so ein Teilnehmer der “Africa-Europe Week“. Zudem wurde ein „intergenerational co-leadership“ beispielsweise bei politischen Funktionen vorgeschlagen. Tonny Silas Dauda, Mitglied der One Africa-Europe-Taskforce aus Nigeria, betonte die zentrale Rolle von Bildung als Schlüssel für die Entwicklung des Kontinents.
Zur Finanzierung von qualitativer Bildung für ALLE wurde die Verwendung der vom Internationalen Währungsfonds vergebenen Sonderziehungsrechte (SZR) vorgeschlagen. SZR sind ein Art Buchgeld, die die IWF Mitgliedsstaaten zugeteilt bekommen und deren Währungsreserven bzw. Liquidität erhöhen. Diese müssen nicht zurückgezahlt werden. Diese Idee, dass reiche Länder ihre SZR an Entwicklungsländer abtreten sollten, haben Präsident Emmanuel Macron und die G7-Staaten – nicht zuletzt auf Druck von zivilgesellschaftlichen Organisationen - ins Spiel gebracht. Sie findet sich auch in der Abschlusserklärung des AU-EU-Gipfels wieder. Von den weltweit vergebenen 650 Mrd. US-$ hat Afrika rund 35 Mrd. US-$ erhalten (Österreich 5,37 Mrd. US-$). Die SZR sollten auch für den Ausbau der Gesundheitsinfrastruktur und mehr Impfgerechtigkeit verwendet werden.
Memory Kachambwa, Direktorin von African Women’s Development and Communication Network (FEMNET), forderte zudem, dass neben der Finanzierung ein rechtsbasierter Zugang zu Gesundheit sichergestellt werden müsse, insbesondere Einhaltung der sexuellen und reproduktiven Gesundheitsrechte.
Afrika trägt die Kosten der Klimakrise
Ein zentrales Thema war die Klimakrise und die sozio-ökologische Transformation der Gesellschaften. Die Umweltministerin von Madagaskar Vahinala Raharinirana betonte, dass Afrika zwar nur für 2-3 % der Treibhausemmission verantwortlich sei, aber von den Folgen der Klimakrise besonders betroffen sind. Beim in Paris beschlossenen Klimafonds gehe es daher nicht um Hilfen, sondern um Kompensationen. Die in Paris veranschlagten 100 Milliarden würden nicht ausreichen. Madagaskar wurde in letzter Zeit von drei Dürren und drei katastrophalen Tropenstürmen heimgesucht, so die Ministerin. Musa Sowe, Vizepräsidentin der westafrikanischen Bäuerinnen-Organisation ROPPA betonte: 70 % der Nahrungsmittel werden von Kleinbäuerinnen bzw. bäuerlichen Familienbetrieben hergestellt. Doch sie erhalten nur einen kleinen Teil der Unterstützungsleistungen. Viel Geld gehe in die Agro-Industrie, deren Produktion oft die natürlichen Ressourcen zerstört.
Migration positiv sehen
Beim Thema (freiwillige) Migration herrschte ein anderer Zugang, im Gegensatz zur politischen Debatte in Europa, vor. Im Mittelpunkt stand die innerafrikanische Bildungs- und Arbeitsmigration sowie deren positiver Beitrag zur Entwicklung der Länder. Badara Ndiaye, Präsident der panafrikanischen Plattform MIGRAFRIQUE forderte einen stärkeren Fokus auf Rechte von Arbeitsmigrant*innen im Rahmen der nationalen und regionalen Politiken der afrikanischen Länder. Er forderte einen institutionalisierten Migrationsdialog mit Europa, der die Zivilgesellschaft einbezieht. Dies könne auch helfen, falsche EU-Politiken zu korrigieren.
Der Wirtschafts- und Migrationsexperte Yera Dembele beschrieb die Folgen der von Europa geforderten externalisierten Migrationskontrolle: „Die Einführung von verstärkten Grenzkontrollen behindert die wirtschaftliche Entwicklung, insbesondere in Grenzregionen und erhöht das Risiko für Arbeitsmigrant*innen. Letztendlich spielt sie den Schleppernetzwerken in die Hände.“ Nkese Maria Udongwo von Caritas Nigeria ergänzte, dass ein inklusiver Ansatz auch Projekte wie im Rahmen des EU- Trust Fund for Africa verbessern könne. Europa solle in Migrationsfragen vom sicherheitsbasierten zu einem menschenrechtsbasierten Ansatz wechseln. Einfachere Visaerteilungen temporäre Arbeit und Ausbildung lautete eine weitere Forderung.
Der Glaube an den Kapitalismus
Angesichts schwacher öffentlicher Institutionen und so manchen korrupten politischen Eliten werden hohe Erwartungen in den Privatsektor gesetzt. Was immer darunter verstanden wird, blieb unklar: informelle Wirtschaft, start-ups, Rohstoffkonzerne, Nahrungsmittelspekulanten. Die Liberalisierungen und Privatisierungen der letzten drei Jahrzehnte sind zwar mit hohen Wachstumsraten einher gegangen, aber sie führten kaum zu Industrialisierung und menschenwürdigen Jobs in Afrika (jobless growth). Zudem können die angesprochenen gesellschaftlichen und ökologische Verwerfungen wie Ungleichheit, Radikalisierung, Konflikte, Gewalt, Klimakrise und Flucht nicht losgelöst vom neoliberalen Kapitalismus gesehen werden.
Zu Recht forderten die Diskutant*innen mehr Geld für Bildung, Gesundheit, Beschäftigung und Infrastruktur. Woher diese Ressourcen angesichts von Steuerflucht, Steuervermeidung und dem jährlichen Abfluss von 60-80 Mrd. US-$ aus Afrika an sogenannte „illicit financial flows“ (z.B. illegitime Finanzflüsse durch manipulierte Verrechnungspreise Transnationaler Konzerne) aufgebracht werden können, blieb aber weitgehend im Dunkeln.
Es waren junge, engagierte, gebildete und urbane Stimmen, die die Debatten bei der “Africa-Europe Week“ prägten. In den Analysen dominierten die Defizite in Afrika. Selten wurde über die Verantwortung Europas angesprochen, wie beim Migrationspanel. Alemayehu Tedla von Oxfam Africa merkte an: „2007 haben wir die Vision einer neuen Partnerschaft begrüßt. Aber sie ist nach 15 Jahren noch immer nicht Realität.“ Europa dominiere weiterhin die Agenda, es bleibe eine Beziehung von Ungleichen, so sein Resümee.
Leider wurde die Afrika Europa Woche außerhalb der „Brüsseler Blase“ kaum wahrgenommen. Die Vorbereitung verlief wenig partizipativ. Der umstrittene Begriff Zivilgesellschaft wurde zudem sehr eng definiert und mit jenem der entwicklungspolitischen Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs) gleichgesetzt. Die Stimmen der sozialen Bewegungen aus Afrika, die in Nigeria, Sudan oder Eswatini auf die Straße gehen und ihr Leben riskieren, waren kaum zu hören. Ähnliches gilt für Gewerkschaften und Vertreter*innen der für Afrika wichtigen informellen Wirtschaft. Dennoch gab es erfrischende Debatten abseits des üblichen Afrika-Pessimismus.