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Österreichischer Klimarat als Erfolgsmodell für mehr Klimaschutz?

Thomas Müller und Werner Fischer, ehemalige Klimaräte, im Gespräch mit Nadja Schuster (VIDC Global Dialogue)

VIDC Online Magazin Spotlight

Dieser Artikel wurde in der Spotlight-Ausgabe März 2023 veröffentlicht. Wenn Sie den vierteljährlich erscheinenden Spotlight, Einladungen und Dokumentationen erhalten möchten, klicken Sie bitte hier.

Interviewpartner*

Thomas Müller ist Physiker und seit 20 Jahren in der Mikrochip-Branche tätig. Er war 2022 Mitglied des österreichischen Klimarates und ist heute im Vorstand des Klimarat-Vereins, der nach Abschluss des Rates gegründet wurde.

Werner Fischer war mehr als 25 Jahre im Finanz- und Generalmanagement bei verschiedenen Konzernen im In- und Ausland tätig. Heute ist er Pressesprecher des Vereins des österreichischen Klimarates. 2022 war er im Klimarat im Handlungsfeld „Produktion und Konsum“ aktiv.

Abstimmung im österreichischen Klimarat © Karo Pernegger/BMK

Geburtsstunde des Klimarats war das Klimavolksbegehren im Juni 2020, das von fast 400.000 Menschen unterstützt wurde. Eine der Kernforderungen: die österreichische Bevölkerung aktiv bei Klimaschutzmaßnahmen mitbestimmen lassen und einen Beitrag zur Klimaneutralität Österreichs bis 2040 leisten. Im März 2021 ersuchte der Nationalrat mit Entschließung 160/E XXVII. GP vom 26. März 2021 die Bundesregierung, die Forderungen des Klimavolksbegehrens umzusetzen – der Klimarat war geboren. Der Klimarat stellt eine Art „Mini-Österreich“ dar. Er setzt sich aus 84 Menschen zusammen, die seit mindestens fünf Jahren ihren Hauptwohnsitz in Österreich haben, mindestens 16 Jahre alt sind und den Querschnitt der Gesellschaft in Bezug auf Geschlecht, Alter, Bildungsstand und Wohnort widerspiegeln.

Schuster: In Bezug auf die Organisationsstruktur standen dem Klimarat ein wissenschaftlicher Beirat und ein Stakeholder-Beirat zur Seite. Welche Rolle haben diese gespielt?

Müller: Der wissenschaftliche Beirat war während der sechs Klimaratswochenenden mit Hilfe von Vorträgen für die Einführung der Ratsmitglieder in die jeweiligen Handlungsfelder (Energie, Konsum und Produktion, Ernährung und Landnutzung, Wohnen und Mobilität) verantwortlich. Insbesondere hat der wissenschaftliche Beirat die entscheidenden Hebel, d.h. Bereiche, bei denen die größten Auswirkungen auf das Klima erwartet werden, herausgearbeitet. Der wissenschaftliche Beirat stand während der gesamten Zeit und auch außerhalb der Tagungswochenenden für Diskussionen und Klärung von Fragen zur Verfügung. Die Unterstützung wurde von den Ratsmitgliedern als außerordentlich positiv wahrgenommen und geschätzt. Der Rat hat aber auch sehr klar festgehalten, dass er der „Souverän“ ist und was die Vorschläge betrifft, gibt es durchaus welche, die nicht eins zu eins der Einschätzung des wissenschaftlichen Beirates gefolgt sind.
Der Stakeholder-Beirat umfasste Wirtschafts- und Sozialverbände wie z.B. Arbeiterkammer, Industriellenvereinigung, Landwirtschaftskammer, Wirtschaftskammer, aber auch andere wie Umweltverbände und den Behindertenrat. Diese brachten die Sicht der großen gesellschaftlichen Gruppen in die Diskussion ein, unterstützten einige der Forderungen des Klimarates, aber nicht alle. Der Klimarat erhielt hier die Gelegenheit, wirtschaftliche und soziale Auswirkungen von Vorschlägen abzuschätzen. Bereits im Wirkungsmanifest, das der Rat am ersten Tagungswochenende erarbeitete, hatte sich der Klimarat zu einer sozial ausgleichenden Abwägung seiner Vorschläge verpflichtet.

Schuster: Der Klimarat hat dem Klimakabinett bzw. der Bundesregierung Mitte 2022 einen 100-seitigen Endbericht mit Empfehlungen übermittelt. Wo sieht er den dringlichsten Handlungsbedarf?

Fischer: Handlungsbedarf wird in vielen Bereichen gesehen. Um nur ein paar Beispiele zu nennen: Im Energiebereich soll Strom bis 2030 emissionsfrei produziert und Förderungen von fossilen Energieträgern gestoppt werden. Im Bereich der Produktion bzw. des Konsums geht es zum Beispiel darum die Vernichtung von Neuwaren zu stoppen, beim Thema Ernährung den Fleischkonsum um 2/3 zu reduzieren. Beim Wohnen soll die Raumordnung zukünftig von den Ländern und nicht den Gemeinden entschieden werden, dadurch hofft man, die Zersiedelung einzudämmen. Und natürlich darf man den Verkehr als großen Treiber nicht vergessen. Da wird vom Klimarat ein flächendeckendes öffentliches Angebot 24/7 gefordert, das innerhalb von 15 Minuten Gehzeit erreichbar ist. Zugang zu öffentlichem Verkehr ist eine Grundvoraussetzung, um privaten Verkehr zu reduzieren.  In Bezug auf Letztgenanntes empfiehlt der Klimarat keine SUV Werbung und Firmenautos mehr sowie keine Neuzulassung von Autos mit Verbrennungsmotoren ab 2027.

Schuster: Bezüglich dieser Forderungen drängt sich die Frage auf, ob der Klimarat mit der Reaktion und den daraus resultierenden Maßnahmen der Bundesregierung zufrieden war?

Müller: Es gibt eine Reihe von geplanten Maßnahmen, die unseren Vorschlägen in etwa entsprechen. Dazu zählen beispielsweise 100% Grünstrom bis 2030, Auflegen von Green Bonds  (Staatsanleihen, die eine "grüne" Bindung haben), aber auch der Aktionsplan „Nachhaltige Beschaffung“. Ebenso bei der Sanierungsförderung, Stichwort „Raus aus Öl und Gas“ geht es in die richtige Richtung. Der Mobilitätsmasterplan und die Vorreiterrolle Österreichs beim Klimaticket und bei internationalen Nachtzügen ist ebenfalls positiv zu vermerken.
Auf der anderen Seite bleiben andere Themen massiv hinter unseren Forderungen zurück, z.B. die Mehrwegquote und die Verringerung von Plastikmüll. Auch beim Thema Dienstwägen, Werbung für klimaschädliche Fahrzeuge, Ökologisierung der Pendlerpauschale, Tempolimit ist die Politik sehr wenig ambitioniert, obwohl hier große Hebel zur schnellen Verringerung der Emissionen liegen. Offenbar sind hier große Widerstände zu überwinden.  Stattdessen zieht man sich dann eher auf Kompensations-Subventionierungen zurück, wie z.B. das Jobticket als Kompensation für die (im Wesen unveränderte) Pendlerpauschale.
Bei einer Reihe von Themen wie Raumplanung, die die Zersiedelung und den daraus resultierenden Verkehr bestimmt, stehen wir uns selbst im Weg, da hier die Verfassung die grundlegende Regel darstellt. Das trifft auch in ähnlicher Weise auf Lebensmittelkennzeichnung, Mehrwertsteuer auf Biolebensmittel und Kerosinbesteuerung zu. Hier stehen uns die EU-Regelungen im Weg bzw. fehlt der Mut mit nationalen Regelungen das Zepter selbst in die Hand zu nehmen.

Schuster: Welche Form der Institutionalisierung und welche gesetzlichen Grundlagen könnten die Weiterarbeit der Regierung an den Empfehlungen des Klimarates sichern?

Fischer: In den Vorschlägen des Rates befinden sich z.B. das Klimaschutzgesetz und die Aufnahme des Klimaschutzes in die Verfassung. Weiters sind regelmäßige Treffen mit Vertreter*innen der Regierung, Parlamentarier*innen, Landes- und Kommunalpolitiker*innen und parlamentarischen Ausschüsse im Gang.
Im Klimarat-Verein streben wir an, eine zumindest beratende Stimme bei klimarelevanten Gesetzen zu bekommen. Mittel- und langfristig glauben wir, dass Bürgerrät*innen mit einem umfassenderen Mandat ausgestattet werden müssen, um politisch wirksamer zu werden. Wir werden dafür kämpfen.

Schuster: Klimaräte als direktes Demokratiemodell haben sich ja auch in anderen europäischen Ländern etabliert. Sind diese Räte miteinander vernetzt? Gibt es eine nennenswerte Erfolgsgeschichte?

Müller: Es gab in Frankreich die Convention Citoyenne pour le Climat 2020, in Deutschland den Bürgerrat Klima 2022, in Spanien die Asociación Cívica para el Clima España 2021, nur um einige Beispiele zu nennen. Das KNOCA-Netzwerk bietet hier eine umfassende Übersicht der Aktivitäten. Der österreichische Klimarat-Verein hat Kontakte zu allen o.g. Klimaräten und plant auch gemeinsame Veranstaltungen.  Die Erfolgsgeschichte bzw. der politische „take-up“ der verschiedenen Räte ist durchaus gemischt. Im Angesicht der Problematik passiert aber überall viel zu wenig. Wir wollen die Aktivitäten mit den anderen Räten auf eine europäische Ebene tragen, um eine kritische Masse zu schaffen. Damit wollen wir öffentlichen Druck aufbauen und eine deutliche Beschleunigung der Maßnahmenumsetzung erreichen.

Schuster: Klimaschutz braucht globale Verantwortung. Der größte Ausstoß an CO2-Emmissionen wird im Globalen Norden verursacht. Hier geht es um die Frage, wie die Länder des Globalen Südens, die mit den verheerenden Auswirkungen der Klimakrise zu kämpfen haben, unterstützt bzw. entlastet werden sollen. Auf der COP27 wurde ein Klimaausgleichsfonds für Schäden und Verluste beschlossen. Hat sich der Klimarat auch mit dem Thema Klimagerechtigkeit auseinandergesetzt?

Fischer: Wir sind als Großverbraucher von Ressourcen und Energie die ersten Adressat*innen, die ihre Verantwortung wahrnehmen und in kurzer Zeit zu einem suffizienten und nachhaltigen Lebensstil finden müssen.  In den allgemeinen Empfehlungen gehen wir auf das Thema globale Verantwortung im Klimaschutz ein, da sich Treibhausgasemissionen nicht an nationale Grenzen halten. Beim Klimaschutz soll Österreich grenzüberschreitende Allianzen bilden, sowie weniger entwickelte Länder bei Klimaschutzmaßnahmen mit finanziellen Mitteln und Know-how unterstützen. Auch fordern wir hier, dass die Forschungsförderung und internationale Stipendienprogramme für Klimaforschung speziell für Studierende aus Ländern des Globalen Südens ausgebaut werden sollen. Beim Thema klimafreundliche Produktions- und Vertriebswege für landwirtschaftliche Produkte gehen wir im Endbericht auf die Exporte von Überproduktion in Länder des Globalen Südens ein, die die lokalen Wirtschaftsstrukturen zerstören (21. März 2023).

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