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“Ich wünsche mir, dass Männer, die ihren Familien Einschränkungen auferlegen, an diesen Workshops teilnehmen.”

Von Nadja Schuster (VIDC Global Dialogue)

VIDC Online Magazin Spotlight

Dieser Artikel wurde in der Spotlight-Ausgabe September 2024 veröffentlicht. Wenn Sie den vierteljährlich erscheinenden Spotlight, Einladungen und Dokumentationen erhalten möchten, klicken Sie bitte hier.

Autorin

Nadja Schuster ist Soziologin, Feministin und seit 2011 Gender-Referentin bei VIDC Global Dialogue, wo sie sich mit Gendersensibilisierung von Geflüchteten sowie mit Sexueller & Reproduktiver Gesundheit und Rechten (SRGR) beschäftigt. Sie koordiniert die von der Austrian Development Agency (ADA) geförderte femnistische Arbeitsgruppe SRGR und ist außerdem Chefredakteurin des VIDC Online Magazins Spotlight.

Zertifikatsverleihung Männer*- & Frauen*-TANDEM-Training, 19.9.24, © Murtaza Elham (alle Fotos)

(23. September 2024) Als die Taliban im August 2021 wieder an die Macht kamen, haben viele Afghan*innen versucht, vor dem Schreckensregime zu fliehen, insbesondere jene, die aufgrund ihres Engagements im Bereich Geschlechtergerechtigkeit Gefahr liefen, vom Regime verfolgt und inhaftiert zu werden. Die meisten flohen in die Nachbarländer Iran und Pakistan, aber etliche schafften auch die beschwerliche und gefährliche Flucht nach Europa. 2023 wurden über 100.000 Asylanträge von Afghan*innen in der EU gestellt. Derzeit bemühen sich Jurist*innen, Wissenschaftler*innen und Frauenrechtsaktivist*innen um die rechtliche Anerkennung des Begriffs Gender Apartheid als „Crime against Humanity“.

In Österreich leben heute knapp 50.000 Menschen mit afghanischer Staatsbürgerschaft und davon fast die Hälfte (23.000) in Wien. Gender-Themen sind jedoch nicht nur in Afghanistan ein Thema, sondern auch in der Diaspora.  
Seit 2026 führt das VIDC Gendersensibilisierungstrainings für Afghan*innen* in Wien durch. In diesen Gender-TANDEM-Trainings werden u.a. folgende Fragen bearbeitet: Welche Männlichkeitsbilder und Geschlechterkonstruktionen sind in der Familie und Community vorherrschend? Welches Wissen herrscht zu sexueller und reproduktiver Gesundheit und den dazugehörigen Rechten vor? Kennen die Teilnehmenden Beratungsstellen, an die sie sich für ihre unterschiedlichen Anliegen wenden können? Was wissen Sie über Gewaltschutz und -prävention oder den Einstieg in den österreichischen Arbeitsmarkt?

Trainings auf Augenhöhe – das TANDEM Prinzip als Erfolgsfaktor

Durchgeführt werden die Trainings von einem Tandem, bestehend aus einer/einem Trainer*in der afghanischen Community und einer/einem der sogenannten Mehrheitsgesellschaft. Dadurch gelingt ein schnellerer Vertrauensaufbau und kultursensibles arbeiten, ein Verzicht auf externe Dolmetschung, und es werden unterschiedliche Kompetenzen und Erfahrungen der Trainer*innen eingebracht. Die Trainer*innen arbeiten auf Augenhöhe zusammen – es gibt keine Hierarchie im Tandem, jedoch übernehmen die Trainer*innen unterschiedliche Aufgaben und Rollen.
Das Tandem Prinzip ist ein Erfolgsfaktor und unterscheidet unser Training von vielen anderen, in denen eine “weiße” Person als Workshopleiter*in auftritt.

Kooperation mit migrantischen Vereinen

Für die Organisation der Trainings, bestehend aus vier Workshops, und die Mobilisierung der Teilnehmenden kooperiert das VIDC mit afghanischen Vereinen. Diese Kooperation hat sich als zweiter Erfolgsfaktor herauskristallisiert. Heuer wurde mit den langjährigen Partnern, dem Kultur- und Sportverein NEUER START (Schwerpunkt auf Jugendliche und Sport sowie diverse Integrationsmaßnahmen) und dem Verein AKIS (Schwerpunkt auf Frauenförderung durch ein internationales Veranstaltungsprogramm), zusammengearbeitet. Hinzugekommen sind der Afghanische Jugendverein (Schwerpunkt auf Jugendliche und Frauen) und der Verein Solidarität mit afghanischen Flüchtlingen (Schwerpunkt auf Frauen und Familien in Not).
Die Trainer*innen aus der afghanischen Community werden von den Teilnehmenden als Vorbilder wahrgenommen und wirken als solche in den migrantischen Vereinen und der Community weiter. So haben die Trainings einen starken Multiplikatoreffekt und sind in diesem Sinne nachhaltig.

Zusammenarbeit mit Beratungs- und Gewaltschutzeinrichtungen

Ergänzt wird die Sensibilisierungsarbeit durch Inputs in den Workshops von Beratungs- und Gewaltschutzeinrichtungen wie FEM Süd, MEN, Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser, Männerberatung, Zentrum für Migranten und Migrantinnen. Dadurch wird bei den Teilnehmenden die Hemmschwelle überwunden, im Bedarfsfall solche Stellen aufzusuchen – ein dritter Erfolgsfaktor.

„In den Tandem-Workshops haben wir sehr nützliche Dinge gelernt“

Die Wirkungen können von den Teilnehmenden selbst am besten beschrieben werden. Dazu gibt es sehenswerte Videos und hier ein paar ausgewählte Zitate.

Laila Rustami: “Uns wurden viele lehrreiche Informationen gegeben, über Gesundheit, familiäre Probleme…Wir erhielten Kontakte, an die wir uns wenden können, wenn wir Probleme haben.… Ich wünsche mir, dass Männer, die ihren Familien immer noch Einschränkungen auferlegen, an diesen Workshops teilnehmen. Solche Workshops für Männer und Frauen sind sehr gut. Manche Frauen sind sich ihrer Rechte nicht bewusst und in Österreich sind Frauen und Männer gleichberechtigt.”

Ashraf Asgari: "Ich hatte Stress wegen der Anerkennung, der Arbeit, der Sprache und der Familie. Als ich an diesem Workshop teilnahm, fand ich Freunde und den richtigen Arzt und mein Stress wurde reduziert. Jetzt bin ich wirklich glücklich.”

Kobra Ahmadi: “Wir konnten uns unseren Ängsten und Ereignissen stellen, die für uns sehr schwierig waren, oder über Dinge, die uns glücklich machen. Wir teilten das mit einer Freundin, die wir nicht kannten und in diesem Workshop kennen gelernt haben.”

Imran Ali Wakili: “Es sollte die Scham überwunden werden, über sexuelle Beziehungen und deren Gesundheit zu sprechen, damit wir auch die nächste Generation darüber informieren können.”

Omid Naderi: “In den Tandem-Workshops haben wir sehr nützliche Dinge gelernt, eines davon ist Prävention von häuslicher Gewalt. Außerdem haben wir über verschiedene Formen von Gewalt gelernt und auch Wege zur Vermeidung… Jetzt kann ich problemlos mit meiner Familie, meinen Verwandten, der Gemeinschaft und allen anderen umgehen.”

2024 konnten wir dank einer Förderung des Bundesministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz und der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit (OEZA) fünf Trainingsdurchgänge für afghanische Männer und drei für Frauen anbieten. Im September hat das heurige Trainingsjahr mit einer Zertifikatsverleihung, an der 180 Afghan*innen mit ihren Familien teilgenommen haben, seinen feierlichen Abschluss gefunden gefunden. Männer wie Frauen haben die Zertifikate für interkulturelle Genderkompetenz mit Stolz entgegengenommen.
Damit wurden bisher rund 480 afghanische Männer* und 230 afghanische Frauen* erreicht. Und die Nachfrage nach Gender-TANDEM-Trainings ist nach wie vor groß.

Way forward?

Hoffnung, dass eine Fortsetzung der Trainings auch in Zukunft unterstützt wird, gibt der aktuelle 15. Umsetzungsbericht des Nationalen Aktionsplans zur UN-Resolution 1325, in den ein neuer Indikator aufgenommen wurde. Künftig soll auch über Maßnahmen zur Unterstützung der wirtschaftlichen und sozialen Teilhabe von Flüchtlingen und asylsuchenden Frauen* und Mädchen* im Herkunftsland, in Flüchtlingslagern, im Transit oder im Bestimmungsland berichtet werden. Und die Gender-TANDEM-Trainings werden darin beispielgebend bzw. als gute Praxis genannt.