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„Afghanistans starke Frauen“. Ein Jahr Widerstand gegen die Taliban-Herrschaft

Veranstaltung vom 3. Oktober 2022

Programm

Begrüßung

Susanne Janistyn-Novák, Parlamentsvizedirektorin

Einleitende Worte

Sybille Straubinger, Direktorin, Vienna Institute for International Dialogue and Cooperation
Laura Kropiunigg, Executive Director, Women without Borders

Grußbotschaft

Maniza Bakhtari, Botschafterin der Islamischen Republik Afghanistan in Österreich

Videobotschaft

Der Preis des Protests: Junge Frauen mobilisieren für eine Zukunft ohne Gewalt

Keynotes

Suraya Pakzad

ist eine afghanische Frauenrechtsaktivistin. Im Jahr 1998 gründete sie die Organisation Voice of Women (VWO).  Die Organisation arbeitete wegen der Taliban bis 2001 im Geheimen. Darüber hinaus betreibt VWO Frauenhäuser für von Gewalt betroffene Frauen und Mädchen – derzeit im Untergrund. Pakzad wurde nach Deutschland evakuiert.

Masomah Regl

Als gebürtige Afghanin, die in Österreich sozialisiert und ausgebildet wurde, gründete Masomah Regl 2018 den Verein Fivestones mit der Idee, ihrem vielfältigen ehrenamtlichen Engagement im Integrationsbereich einen offiziellen Rahmen zu verleihen.

Husna Jalal

ist eine Frauenrechtsaktivistin und Begründerin des Young Afghan Women's Movement in Afghanistan. Sie hat sich intensiv für bürgerliche und politische Rechte eingesetzt, insbesondere für die Förderung der politischen Rechte afghanischer Frauen.

Moderation

Edit Schlaffer, Vorsitzende, Women without Borders
Michael Fanizadeh, VIDC Global Dialogue

Bericht von

Ali Ahmad, Donau-Universität Krems/VIDC und Michael Fanizadeh, VIDC Global Dialogue

Kooperationen

„Als Nation haben wir all unsere Fortschritte eingebüßt, aber als Frauen haben wir unsere elementarsten und grundlegendsten Rechte verloren“, sagte Husna Jalal bei einer Veranstaltung am 3. Oktober 2022 im österreichischen Parlament in Wien. Jalals Äußerungen bezogen sich auf den Kampf, den afghanische Frauen seit über einem Jahr gegen die repressive De-facto-Herrschaft der Taliban führen, seit diese am 15. August 2021 die Macht übernommen haben. Seit der Machtübernahme sind afghanische Frauen und Mädchen mit Diskriminierung, Ausgrenzung und geschlechtsspezifischer Gewalt konfrontiert und aufgrund der strikten Auslegung der Scharia durch die De-facto-Behörden fast aus dem öffentlichen Leben verschwunden.

Die Zweite Präsidentin des Nationalrates, Doris Bures, lud mit dem VIDC und Women without Borders (WwB) daher zu einem Abend zur Unterstützung des Kampfen der Frauen für Gleichberechtigung und Freiheit in Afghanistan. Die Vizepräsidentin des österreichischen Parlaments, Susanne Janistyn-Novák, die Botschafterin der ehemaligen Regierung Afghanistans, Manizha Bakhtari, die weiterhin als Botschafterin des Landes in Wien tätig ist, die Geschäftsführerin von WwB, Laura Kropiunigg, und die Direktorin von VIDC, Sybille Straubinger, sprachen vor 150 Personen über die Situation der afghanischen Frauen. Darüber hinaus erörterten sie, was externe Akteur*innen und zivilgesellschaftliche Organisationen wie VIDC und WwB sowie Entscheidungsträger wie das österreichische Parlament tun können, um den Frauen in Afghanistan zu helfen.

In ihrer Eröffnungsrede versprach Janistyn-Novák, dass die Europäische Union (EU) die Taliban so lange nicht anerkennen werden, bis die Frauen in eine integrative Regierung einbezogen seien. Obwohl globale Krisen wie Wirtschaft, Energie, Pandemien und der Krieg in der Ukraine die Aufmerksamkeit der EU von der Unterdrückung der Frauen in Afghanistan ablenken, erklärte Janistyn-Novák, dass keine verschlossenen Türen die afghanischen Frauen verstecken können: „Wir werden die Frauen in Afghanistan nicht vergessen. Wir sehen die Frauen und Mädchen in Afghanistan. Wir werden nicht zulassen, dass sie unsichtbar werden“, sagte Janistyn-Novák.

Manizha Bakhtari zählte die zahlreichen harten Maßnahmen auf, die von den Taliban in nur einem Jahr ihrer drakonischen Herrschaft eingeführt wurden. Sie warf den Taliban vor, es verabsäumt zu haben, eine integrative und verantwortungsvolle Regierung zu bilden, die die Rechte aller Afghan*innen, insbesondere der Frauen und Mädchen, respektiert. Während afghanische Frauen im Exil auf der ganzen Welt gegen die Taliban protestieren, werden weibliche Demonstranten in Afghanistan angegriffen, geschlagen, ausgepeitscht und verhaftet.

Von den Taliban 1.0 zu den Taliban 2.0

Um die Unterdrückung von Frauen in Afghanistan unter der Taliban-Herrschaft zu verdeutlichen, hielten Suraya Pakzad, Direktorin der Voice of Women Organization (VWO), Husna Jalal, Gründerin einer digitalen Online-Plattform, die als „Young Afghan Women Movement“ bekannt ist, und Masomah Regl, Aktivistin in der afghanischen Diaspora-Community in Österreich und Gründerin einer afghanischen Diaspora-Organisation in Graz (FIVESTONES), Impulsreferate. Nachdem die Taliban im August 2021 die Kontrolle über das Land zurückerobert hatten, mussten Pakzad und Jalal ins Exil fliehen und sich nach Deutschland bzw. in die Niederlande begeben.

Pakzad leitete während der ersten Taliban-Herrschaft zwischen 1996 und 2001 eine Untergrundschule. Dann gründete sie 1998 ihre Organisation, um Frauen, die Opfer häuslicher Gewalt wurden, lebenswichtige Rechtshilfe, Bildung, Zugang zur Justiz und Schutz zu bieten. Pakzad wies darauf hin, dass über zwei Jahrzehnte lang Hunderte von afghanischen Frauen aus verschiedenen Provinzen diese Dienste in Anspruch genommen haben, doch all diese hart erkämpften Errungenschaften wurden zunichte gemacht, und die Rechte von Frauen und Mädchen werden abgebaut. 

In ihrer Rede im österreichischen Parlament beschuldigte Pakzad die Taliban, die Büros ihrer Organisation gestürmt und sämtliche Büromaterialien beschlagnahmt sowie ihre Mitarbeiter*innen und Familienmitglieder*innen schikaniert, inhaftiert und gefoltert zu haben, nachdem sie im August 2021 nach Deutschland evakuiert worden war. Als erfahrene Verfechterin von Frauenrechten habe Pakzad die notwendigen Fähigkeiten erworben, um mit beiden repressiven Taliban-Regimen umzugehen: mit dem Regime in den 1990er Jahren (Taliban 1.0) und seit der Rückkehr der Taliban an die Macht im August 2021 (Taliban 2.0). Ihre Organisation musste ihre Arbeitsmethoden jedoch ändern, hilft aber weiterhin Frauen in Not.

Die neue Generation

Jalal war gerade sechs Jahre alt, als die USA 2001 die Taliban von der Macht verdrängten, weil sie Osama bin Laden, den Drahtzieher der Anschläge vom 11. September 2001, beherbergt hatten. Während der US-Invasion wuchs sie unter einer neuen politischen Ordnung auf. Jalal dankte der internationalen Gemeinschaft dafür, dass sie und ihre Generation über „Frieden, Demokratie und Gleichberechtigung“ unterrichtet worden seien. Sie erklärte, dass der Mut der jungen afghanischen Frauen auf den Straßen von Kabul, die Gleichberechtigung und Freiheit forderten, sie inspiriert habe. Sie erinnerte das Publikum im österreichischen Parlament daran, dass die Taliban mit einer anderen Generation konfrontiert seien als in den 1990er Jahren, als sie die Macht innehatten. Sie machte deutlich, dass ihre Generation Afghanistan nicht im Stich lassen werde: „Dies ist das neue Gesicht Afghanistans. Diese Frauen führen den gewaltlosen Widerstand an.“ 

Laut Jalal sind die afghanischen Frauen in der Diaspora keine Zuschauerinnen. Sie machen auf die Unterdrückung und die Gräueltaten gegen Frauen aufmerksam, die die Taliban in Afghanistan begehen. Frauen in Afghanistan leisten auf der Straße Widerstand, aber Frauen im Exil leisten mit ihrer Stimme und ihren Stiften Widerstand. Jalal brachte ihre Frustration darüber zum Ausdruck, wie die internationale Gemeinschaft und die internationalen Organisationen der Zivilgesellschaft bisher auf die Notlage der afghanischen Frauen seit August 2021 reagiert haben. Seit mehr als einem Jahr können Mädchen nach der sechsten Klasse nicht mehr zur Schule gehen. Die Situation der Frauen verschlechtert sich von Tag zu Tag, und die Welt hat dies beobachtet. Unabhängig von der Unterstützung der internationalen Gemeinschaft versprach sie, dass der Widerstand der Frauen gegen die Taliban weitergehen werde: „Unabhängig davon, ob die internationale Gemeinschaft den Widerstand der afghanischen Frauen unterstützt oder nicht, werden sie ihren Widerstand gegen die derzeitigen Machthaber fortsetzen.“

Leben in der Diaspora

Als afghanisch-österreichische Staatsbürgerin kritisierte Regl, dass Österreich nicht genug getan habe, um Afghan*innen zu evakuieren, die durch die Rückkehr der Taliban an die Macht tatsächlich in Gefahr waren. Das Lob für starke afghanische Frauen in der Diaspora mache wenig Sinn, wenn die Diaspora ihren Familien und Freunden nicht helfen kann, die aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit oder ihrer früheren Zugehörigkeit zu ausländischen Streitkräften sowie der früheren afghanischen Regierung in akuter Gefahr sind.

Regl forderte die österreichische Regierung auf, die am stärksten gefährdeten Bevölkerungsgruppen Afghanistans zu evakuieren. Seit einem Jahr kämpft sie dafür, dass ihre Familie aus Afghanistan evakuiert wird, aber Österreich weigere sich, gefährdete Afghan*innen direkt nach Österreich zu evakuieren. Sie empfahl den Zuhörer*innen, dass Österreich handeln solle, anstatt nur leere Versprechungen zu machen und starke afghanische Frauen im Ausland zu ehren. Sie betonte, wie wichtig es sei, auf die Hilferufe der afghanischen Frauen mit Taten statt mit Worten zu reagieren.

Wie 45.000 andere in Österreich lebende Afghan*innen lobte Regl Österreich dafür, dass sie sich hier willkommen und zufrieden fühlen können. Sie stellte jedoch die Frage, wie die afghanische Diaspora ihr Leben weiterhin genießen könne, wenn ihre Familien und Freund*innen nicht in Frieden leben würden. Regl erklärte, dass sie und ihre Community in zwei Welten leben: in der ersten, in der sie sich glücklich und zufrieden fühlen, und in der zweiten, in der sie sich denjenigen verpflichtet fühlen, die in Afghanistan zurückgeblieben sind. Durch verschiedene Veranstaltungen wie Yoga und Musikprogramme ermutigt ihre Organisation FIVESTONES Frauen dazu, widerstandsfähig und unabhängig zu sein. Das bedeutet nicht unbedingt, dass sie sich von Kultur und Familie lösen müssen.

Empfehlungen

Die Menschen in Afghanistan bereiten sich auf den starken Winter vor, der an ihre Türen klopft. Es werden dringend Nahrungsmittel, Wasser, sanitäre Anlagen und Hygieneartikel benötigt. Pakzad betonte, dass jede humanitäre Hilfe für Afghanistan die Gleichstellung der Geschlechter berücksichtigen sollte, damit die Hilfe auch wirklich die Frauen und Familien erreicht, die gefährdet sind. Pakzad zufolge sollten ausländische Mächte daher die Zusammenarbeit mit von Frauen geführten afghanischen Organisationen suchen, da diese leichter Zugang zu Frauen und Mädchen haben. 

Der Zusammenbruch Afghanistans wurde durch zahlreiche interne und externe Faktoren beeinflusst. Die Taliban übernahmen im August 2021 die Kontrolle über Afghanistan, und sowohl die vorherige Regierung als auch der Westen waren mitverantwortlich dafür. Wenn die internationale Gemeinschaft ihre Unzulänglichkeiten angehen wolle, so Jalal, solle sie mit den „richtigen“ Personen sprechen und nicht mit denen, die in den letzten zwanzig Jahren Chancen verspielt hätten. Sie forderte die internationale Gemeinschaft auf, Reisebeschränkungen für Taliban-Angehörige zu verhängen und Druck auf die Taliban auszuüben, damit sie die Schulen für Mädchen nach der sechsten Klasse wieder öffnen.

Die afghanischen Frauen im Exil brauchen ein globales Unterstützungsnetz, um sich für die Rechte der afghanischen Frauen in Afghanistan einzusetzen und Lobbyarbeit zu betreiben. Um sicherzustellen, dass afghanische Frauen weiterhin Hilfe erhalten, sollte die internationale Gemeinschaft finanzielle Mittel bereitstellen und über afghanische Frauenorganisationen verteilen.

Zum Schluss: Österreich sollte, so wie die EU insgesamt, für bedrohte Frauen, Aktivist*innen und Menschenrechtsverteidiger*innen ein Evakuierungsprogramm aus Afghanistan organisieren, damit diese in Europa in Sicherheit leben können.

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