SPOTLIGHT Dezember 24: Fokus Internationale Zusammenarbeit

Das Online-Magazin Spotlight erscheint vierteljährlich. Im Zentrum der aktuellen Dezember-Ausgabe stehen diesmal die europäische Außen- und Entwicklungspolitik und internationale Zusammenarbeit. Wir schauen wir einerseits auf die Umbrüche in der EU-Außen- und Wirtschaftspolitik und was das für Fragen der Geschlechtergerechtigkeit bedeutet, auf die die Ergebnisse der Weltklimakonferenz COP29 in Baku sowie auf den Wiener Prozess für ein demokratisches Afghanistan.
 

 

Kein Friede ohne Frauen

Bericht von der Podiumsdiskussion am 22. August 2020

Vortragende


Waslat Hasrat-Nazimi

ist seit über 10 Jahren Journalistin und hat für verschiedene deutsche Medien wie die Deutsche Welle (DW), WDR, ZDF und andere gearbeitet. Sie kam als Kind afghanischer politischer Flüchtlinge nach Deutschland.

Nahid Sediq Olumi

ist Chefredakteurin des Banu-Frauenmagazins. Sie lebt seit 20 Jahren in den Niederlanden, wo sie von 2010 – 2019 als Koordinatorin des Zusammenschlusses der afghanischen Vereine tätig war.

Dr. Gawhar Musleh

ist Ärztin und lebt seit 2015 in Österreich. Sie ist Vorsitzende der AKIS-Frauenabteilung. In Zusammenarbeit mit dem VIDC hat sie ein Konzept für Gender Tandem Workshops zur Stärkung afghanischer Frauen entwickelt.

Jessica Herz

ist Projektkoordinatorin in der Abteilung für Unterstützte Freiwillige Rückkehr und Reintegration im IOM Landesbüro für Österreich.

Asiye Sel

ist Soziologin und Referentin in der Abteilung Frauen - Familie in der AK Wien. Ihr Hauptaufgabengebiet liegt in der Arbeitsmarktpolitik für Frauen mit dem Fokus auf Migration.

Dr. Ali Ahmad Safi

Safi ist Doktorand am Department für Migration und Globalisierung der Donau-Universität Krems (DUK). Ahmad arbeitet seit 2015 als Konsulent für das VIDC und hat Forschungsarbeiten über afghanische Flüchtlinge und Diaspora-Communities verfasst.

Autor

Ali Ahmad Safi, VIDC/Donau Universität Krems, Österreich

Kooperationen


Afghanistan war dem Frieden seit zwei Jahrzehnten nicht so nah wie heute. Doch zu welchem Preis wird dieser Frieden erkauft? Das VIDC und der afghanische Verein AKIS haben das bei einer Festveranstaltung anlässlich des 20-jährigem Jubiläums von „Banu“, dem Frauenmagazin der afghanischen Diaspora und dem ebenso langen Bestehen der UN Resolution 1325 „Frauen, Frieden und Sicherheit“ diskutiert. Dabei stand vor allem ein Thema im Fokus: Kann es einen Frieden ohne Frauen am Verhandlungstisch geben?

Jubiläumsfeier des afghanischen Frauenmagazins „Banu“

Die Konferenz wurde von Afghanischen Kulturverein Akis in Kooperation mit dem VIDC sowie der Arbeiterkammer Wien und dem Südwind organisiert. Im kurzen Covid-19-Sommer versammelten sich am 22. August 100 afghanische Frauen aus der europäischen Diaspora in Wien, um den 20. Jahrestag von "Banu" (Frau) zu feiern: Banu ist ein Magazin für afghanische Frauen und Mädchen und wird seit 2000 in Österreich herausgegeben und in Europa und den USA vertrieben. Banu ist ein persisch-arabisches Wort und bedeutet „Frau“. Das inhaltliche Ziel ist Frauen Zugang zur Bildungs- und Arbeitsmöglichkeiten in der neuen Heimat aufzuzeigen und sie über Gesetze aufzuklären. Die Zeitschrift wird in Dari, Paschtu und Deutsch geschrieben und befasst sich mit Problemstellungen der Frauen aus Afghanistan. Die Mädchen- und Frauenzeitschrift wird von 60 Redakteurinnen getragen, die Artikel zu allen Lebensbereichen in ihrer Muttersprache schreiben.

Kein Frieden hinter verschlossenen Türen

Am 29. Februar unterzeichneten der Sonderbeauftragte der Vereinigten Staaten für die Aussöhnung in Afghanistan (SRAR), Zalmay Khalilzad, und der Chefunterhändler der Taliban, Mullah Ghani Baradar, in Doha ein Friedensabkommen, um den längsten Krieg der Vereinigten Staaten zu beenden. Die 18 Monate dauernden Verhandlungen zwischen den Taliban und dem US-Vertreter fanden hinter verschlossenen Türen statt, ohne dass Frauen im Saal anwesend waren. „Ich glaube nicht an Frieden hinter verschlossenen Türen und in Abwesenheit von Frauen. Niemals ist ein solcher Frieden möglich“, sagte die Chefredakteurin der Zeitschrift Banu, Nahid Olumi, die eine der fünf Rednerinnen auf dem Podium war.

Neben Olumi war die afghanische Journalistin der Deutschen Welle (DW) Waslat Hasrat-Nazimi, Jessica Herz von IOM, Asiye Sel von der Arbeiterkammer Wien und die Leiterin der Frauensektion von AKIS, Gahwar Musleh als Hauptrednerinnen am Podium vertreten.  Waslat Hasrat-Nazimi berichtete auf dem Podium über ihre beruflichen und persönlichen Erfahrungen. Als einzige afghanische Reporterin, die an der Unterzeichnung des Friedensabkommens in Doha teilnahm und die zum ersten Mal mit den Taliban zusammentraf, hatte sie gemischte Gefühle von Angst und Hoffnung für die Zukunft der Frauen in ihrem Mutterland. „Heute stand ich den Taliban-Führern von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Es war eine gute Erfahrung als Journalistin. Als afghanische Frau fühlte es sich surreal an. Ich habe immer wieder nachgedacht: Sind das die Männer, die Frauen öffentlich hingerichtet und an ihre Häuser gekettet haben“, twitterte Hasrat-Nazimi nach einem Treffen mit den Taliban, als das Friedensabkommen unterzeichnet wurde. 

Hasrat-Nazimi fragte die Taliban-Friedensunterhändler in Doha nach ihrer Politik gegenüber den afghanischen Frauen, falls sie an die Macht zurückkehren sollten. Sie fragte sie auch, welches Land sie als Beispiel für die Rechte der Frauen ansehen würden: Saudi-Arabien, das strenge Regeln für Frauen hat, oder Indonesien, das größte muslimische Land, in dem Frauen relativ mehr Freiheit genießen. „Welche Denkweise werden die Taliban in Bezug auf die Frauenrechte verfolgen?“

„Sie antworteten nur mit Schweigen. Darauf habe ich nie eine Antwort bekommen“, sagte Hasrat-Nazimi während der Podiumsdiskussion. Sie erklärte, dass die Taliban immer gesagt hätten, dass sie den Frauen ihre Rechte gemäß dem Islam geben würden, aber sie hätten nie klargestellt, was das wirklich bedeutet.  Hasrat-Nazimi kritisierte nicht nur die Taliban-Delegation für das Fehlen von Frauen auf ihrer Seite, sondern kritisierte auch die afghanische Regierung dafür, dass sie nur fünf hochrangige Frauen ausgewählt habe, die politisch und wirtschaftlich von der US-Invasion profitiert hätten und denen jegliche Verbindungen zu der jüngeren weiblichen und ländlichen Bevölkerung fehlen würden.

Ein Kampf für die Rechte und die Würde der Frauen

Die Taliban regierten Afghanistan zwischen 1996 und 2001. In dieser Zeit waren die afghanischen Frauen vom gesellschaftlichen und öffentlichen Leben völlig ausgeschlossen, es war ihnen verboten, zur Schule zu gehen und zu arbeiten. 2001 erklärten die USA den „Krieg gegen den Terror“ - um die Taliban von der Macht zu verdrängen, weil sie Osama bin Laden, den mutmaßlichen Drahtzieher von 9/11, der am 2. Mai 2011 in Abbottabad, nördlich der pakistanischen Hauptstadt Islamabad, getötet wurde, beherbergt hatten. Der US-Krieg zielte auch darauf ab, afghanische Frauen vor den Gräueltaten und der Unterdrückung durch die Taliban zu retten, was damals als „Kampf für die Rechte und die Würde der Frauen“ bezeichnet wurde.  

Seit der US-Invasion haben die afghanischen Frauen enorme Fortschritte gemacht und sind stärker als je zuvor. Der Krieg fordert jedoch weiterhin das Leben afghanischer Zivilisten auf beiden Seiten. Die Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) dokumentierte in der ersten Hälfte des Jahres 2020 3.458 zivile Opfer (1.282 Tote und 2.176 Verletzte).  Das jüngste Friedensabkommen zwischen den USA und den Taliban soll den Weg für den Abzug aller ausländischen Streitkräfte aus Afghanistan, die Aufnahme innerafghanischer Verhandlungen, einen landesweiten Waffenstillstand und die Zusicherung, dass der afghanische Boden nicht gegen die USA und ihre Verbündeten verwendet wird, ebnen. Sechs Monate nach der Vereinbarung wurde keines dieser Ziele erreicht.

Am 1. Juni veröffentlichte das „Analytical Support and Sanctions Monitoring Team“ des UN-Sicherheitsrates seinen Bericht, der auf unbestreitbare Verbindungen zwischen den Taliban und internationalen terroristischen Gruppen hinwies. Mehrere Hunderte von Al-Qaida-Agenten, drei in Pakistan ansässige Terrororganisationen wie Tehrike-e-Taliban Pakistan (TTP), Jaish-e-Mohammad (JiM) und Lashkar-e-Tayyiba (LeT), deren Kämpfer schätzungsweise zwischen 6.000 und 6.500 Personen in Afghanistan operieren. Alle diese Gruppen sind vom UN-Sicherheitsrat als internationale Terrororganisationen eingestuft worden. 

Die Taliban haben sich nicht geändert

Eine weitere Rednerin auf der Podiumsdiskussion war Gawhar Musleh, die 1996, als sie sechs Jahre alt war und sich im ersten Jahr ihrer Grundschule befand, auf den Straßen Kabuls mit den Taliban zusammentraf. Sie wurde vom Schulbesuch ausgeschlossen und konnte nicht verstehen, warum die Taliban gegen die Bildung von Mädchen waren. Stattdessen besuchte sie Untergrundschulen, die von Frauenaktivistinnen geleitet wurden und wo Mädchen wie sie unterrichtet wurden. Nach dem Sturz der Taliban schloss sie ihre Ausbildung ab und machte 2015 ihren Abschluss an der Medizinischen Universität Kabul.
Für Musleh und ihre Familie haben die Taliban ihre Ansichten über die Rechte von Frauen und in bezug auf Bildung nicht geändert. Sie glaubt, dass sie sich nie ändern werden. „Meine schlimmste Erinnerung von den Taliban ist die Tatsache, dass ich nicht zur Schule gehen konnte. Das werde ich nie vergessen“, sagte Musleh.

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