Podiumsdiskussion in Kooperation mit dem Netzwerk Afrique-Europe-Interact über die Auswirkung der Auslagerung von Migrationskontrolle und -abwehr durch die EU auf Länder wie Tunesien und den gesamten Sahel-Sahara-Raum.
Donnerstag, 20.März 2025, 18:00-20:00 Uhr
Albert Schweitzer Haus
Garnisongasse 14-16, 1090 Wien
Anmeldung: fanizadeh@ vidc.org
Hintergrund
Seit mehreren Jahren wird Tunesien von der Europäischen Union und ihren Mitgliedsstaaten als Partner in Migrationsfragen adressiert, um Migration aus dem Süden in Richtung Europa einzudämmen. Doch angesichts einer zunehmend repressiv agierenden Regierung betonen Menschenrechtsaktivist*innen in Tunesien, dass das Land kein sicherer Ort mehr für Migrant*innen und Geflüchtete sei. Bei der Veranstaltung diskutieren wir, wie sich der Versuch einer Auslagerung von Migrationskontrolle und -abwehr durch die EU auf Länder wie Tunesien und infolge auf den gesamten Sahel-Sahara-Raum auswirkt. Wie ist die Zusammenarbeit zwischen der EU und Tunesien im Bereich der Migrationsabwehr gemäß internationaler Menschenrechtsprinzipien zu beurteilen? Wie gestaltet sich die aktuelle Situation von Geflüchteten und Migrant*innen in Tunesien und mit welchen Herausforderungen sehen sie sich angesichts der politischen und wirtschaftlichen Lage des Landes konfrontiert? Inwiefern sind Frauen und Mädchen besonders betroffen? Welche menschenrechtlichen Alternativen gäbe es für Migrant*innen und Geflüchtete?
Im Juni 2023 initiierte eine Delegation des sogenannten „Team Europe“ unter der Leitung der EU-Kommissionpräsidentin Ursula von der Leyen, der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und dem ehemaligen niederländischen Premierminister Mark Rutte eine „strategische und globale Partnerschaft“ mit dem tunesischen Präsidenten Kais Saied. Zu diesem Zeitpunkt befand sich Tunesien am Rande des wirtschaftlichen Bankrotts. Der EU-Rahmen bot potenziell bis zu 1 Milliarde Euro an Unterstützung an (abhängig von der Ratifizierung eines IWF-Abkommens durch Tunesien) sowie weitere Zusagen zur bilateralen Zusammenarbeit. Im Mittelpunkt des Abkommens stehen 105 Millionen Euro zur Finanzierung des Grenzmanagements und der Verpflichtung, Migrant*innen daran zu hindern, Europa zu erreichen. Betroffene und NGOs berichten allerdings davon, dass regelmäßig Menschen in algerischen und libyschen Wüstengebieten hinter der tunesischen Grenze ausgesetzt werden, zahlreiche Todesfälle infolge dieser Praxis sind dokumentiert. Vor den Küsten führt die tunesische Küstenwache gefährliche Manöver durch, um Boote zu stoppen, und immer mehr Menschen ertrinken beim Versuch der Überfahrt.
Podium
Moctar Dan Yayé
wohnhaft zwischen Niamey (Niger) und Nouakchot (Mauretanien) wurde 1984 in Niamey, Niger, geboren. Er ist Aktivist, Panafrikanist und Menschenrechtsverteidiger, insbesondere für Menschen, die weltweit auf den Flucht- und Migrationsrouten unterwegs sind, sowie Experte zu Migrationsfragen und der Externalisierung der europäischen Grenzen in Afrika, insbesondere im Niger. Er ist eines der Gründungsmitglieder von Alarme Phone Sahara und Mitglied des Netzwerks Afrique-Europe-Interact sowie anderer lokaler und regionaler Netzwerke der Zivilgesellschaft, die sich für eine gute Regierungsführung und soziale Gerechtigkeit einsetzen.
Leonie Jantzer
arbeitet bei der Frankfurter Hilfs- und Menschenrechtsorganisation medico international als Referentin für Flucht und Migration. Sie ist Kultur- und Migrationswissenschaftlerin. Zuvor hat sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsprojekt „Polizei, Politik, Polis – Zum Umgang mit Geflüchteten in der Stadt“ an der Leuphana Universität Lüneburg gearbeitet. Sie promoviert zu Sicherheitsdeutungen und -praktiken von Geflüchteten und Polizist*innen in Deutschland vor dem Hintergrund des Versicherheitlichungsdiskurses von Migration.
Riadh Ben Ammar
ist Schauspieler und politischer Aktivist. Er ist Anfang der 2000er Jahre von Tunesien nach Deutschland gekommen. Lange war er in einem Flüchtlingslager in Mecklenburg-Vorpommern untergebracht, inzwischen lebt er zwischen Tunesien und Deutschland. Seit vielen Jahren führt Ben Ammar Theaterstücke im Rahmen seines Projekts „Theater für Bewegungsfreiheit“ auf. Sein erstes Stück „Hurria!“ handelte vom arabischen Frühling in Tunesien und was dieser mit der Forderung nach Bewegungsfreiheit zu tun hat – inzwischen sind mehrere Theaterstücke dazugekommen. Ben Ammar ist zudem Mitbegründer des Vereins „Sans Visa“, der in Tunis eine Schutzwohnung betreibt, wo Migrant*innen auf ihrer Reise einen Zufluchtsort finden.
Digital zugeschaltet:
Rayhan Jlidi
(Name aus Sicherheitsgründen geändert) lebt in Tunesien und setzt sich trotz erheblicher Repression durch das tunesische Regime für die Rechte von Migrant*innen ein. Sie engagiert sich vornehmlich in der Stadt Sphax im Süden Tunesiens, die für People on the Move zur wichtigsten Station auf der Reise nach Europa geworden ist.
Romdhane Ben Amor
ist Sprecher der tunesischen Vereinigung FTDES (Forum Tunesien pour les Droits Economiques et Sociaux / Tunesisches Forum für wirtschaftliche und soziale Rechte). FTDES wurde 2011 gegründet, um auf nationaler und internationaler Ebene für die wirtschaftlichen und sozialen Rechte zu kämpfen. FTDES arbeitet zu folgenden Themen: Arbeitsrechte, Frauenrechte, Umweltrechte und Migrantenrechte. Ben Amor hat sich mit seiner Organisation an der Notfallrettung für Menschen beteiligt, die unter lebensbedrohenden Bedingungen in die Wüste abgeschoben wurden.
Moderation: Stephanie Deimel-Scherzer
ist Politikwissenschaftlerin und Sozialarbeiterin und war viele Jahre bei Afrique-Europe-Interact aktiv. Sie beschäftigt sich mit Fragen von Migration und Entwicklung und ist beruflich im Jugendbereich tätig.