Am 15.10. fand die VIDC-Podiumsdiskussion “Feministische Außenpolitik im Reality Check: Perspektiven aus Afghanistan, dem Iran und dem Nahen Osten” statt. Die Frage, inwieweit feministische Außenpolitik in der Praxis ihren eigenen Ansprüchen entspricht, diskutierten die deutsche Politikanalystin Barbara Mittelhammer, die afghanische Menschenrechtsverteidigerin Horia Mosadiq und die der iranischen Diaspora angehörende Forscherin Diba Mirzaei.
Weltweite Dynamiken erfordern neue Visionen
Micheal Fanizadeh stellte in seiner Eröffnungsrede klar, dass nicht-feministische Außenpolitik nicht nur eine Unterrepräsentation von Frauen* mit sich bringt, sondern die weltweite Zunahme von Militarismus sowie das Hintanstellen der menschlichen Sicherheit, wie etwas aktuell in den Politiken der EU. Auch Horia Mosadiq betonte, dass es nicht ausreicht, sicherzustellen, dass Frauen* in Machtpositionen gelangen können, solange sich an der Systematik von Machtungleichheit nichts ändert. Bei all den Konflikten, die wir in der Welt sehen, ist es wichtig, sich dessen bewusst zu sein, dass Ungleichheiten Konflikte befeuern. Deshalb ist es ein Anliegen feministischer Außenpolitik, Machtungleichgewichte zu bekämpfen.
Barbara Mittelhammer erklärte, dass Ansätze einer feministischen Außenpolitik nicht ahistorisch sind, sondern im Lauf des 20. Jahrhunderts entwickelt wurden. Mit der Entwicklung eigener Konzepte einer feministischen Außenpolitik u. a. in Schweden und Deutschland gewann feministische Außenpolitik weltweit an Bekanntheit. Durch die Zunahme von autoritären und illiberalen Regimen werden die Spielräume für die Verteidigung von Menschenrechten und Demokratie verengt und feministische Ansätze in der Außenpolitik wieder zurückgedrängt, umso wichtiger werden Politiken, die Menschenrechte und Demokratie verteidigen.
“Wenn wir aufhören in Diplomatie, Menschenrechte, Unterstützung der Zivilgesellschaft zu investieren, dann werden wir dafür später einen viel höheren Preis zahlen müssen.“ – Barbara Mittelhammer, politische Analystin
Der Aufstieg des Autoritarismus, eine gut finanzierte weltweite anti-feministische Bewegung und der globale Rechtsruck mitsamt seinen populistischen Narrativen (insbesondere im Hinblick auf Migration) erfordern die Entwicklung von Gegennarrativen. Wir müssen positive Visionen dessen entwickeln, was wir erreichen wollen. Das gilt gerade jetzt, wo wir ein Zurückdrängen demokratischer Prinzipien auch in Europa beobachten. Wer ein sicheres, friedliches Europa möchte, dass sich weltweit für Frieden und Sicherheit einsetzt, muss eine Politik in diese Richtung priorisieren.
Doppelmoral und Heuchelei
Doch um glaubhaft zu werden, müssen Länder, die von sich behaupten, eine feministische Außenpolitik zu betreiben, auch intern feministische Anliegen aufgreifen, beispielsweise in der Gestaltung ihrer Klima- oder Migrationspolitiken. Die Einhaltung feministischer Wertvorstellungen nur bei anderen einzufordern, ist nicht ausreichend. Die Doppelmoral der EU in dieser Hinsicht führt dazu, dass sie potenzielle Partner verliert – sowohl auf staatlicher Ebene als auch im Bereich der Zivilgesellschaft. Es braucht einen ehrlichen Dialog, um zerrüttete Beziehungen zu kitten und zu zeigen, dass Menschenrechte allen Menschen zukommen sollen. Dies gilt besonders in Zeiten, in denen die europäische Untätigkeit im Gaza Krieg, Kritik an westlichen Doppelstandards laut werden lässt.
Eine feministische Außenpolitik muss Frauenrechte nicht nur in Lippenbekenntnissen, sondern vor allem im konkreten Handeln westlicher Regierungen sichtbar machen. Dass dies derzeit nicht geschieht, da Außenpolitik nach wie vor primär den eigenen Interessen dient, zeigen die von Mosadiq angeführten Beispiele: Hier führt das Eigeninteresse der internationalen Gemeinschaft dazu, frauenfeindliche Forderungen der Taliban indirekt zu unterstützen.
Wie umgehen mit frauenfeindlichen Regimen?
Die oberste Priorität muss lauten, keinen Schaden zuzufügen, sei es, indem lokale Menschenrechtsverteidiger*innen staatlicher Verfolgung im Iran aussetzt werden oder Forderungen der Taliban erfüllt und dadurch ihre Machtposition weiter gestärkt wird.
Besorgniserregend ist die Tendenz der internationalen Gemeinschaft, den Taliban (oder anderen Regimen) zu vertrauen, wenn diese die Unterdrückung von Menschen damit rechtfertigen, dass dies Teil der Religion oder Kultur sei.
“Ihr sagt mir, dass was die Taliban tun Teil der Religion oder der Kultur ist und wir es deshalb so sein lassen sollen? Ich kann diese Religion oder Kultur, die die Taliban dem Land aufzwingen, nicht wiedererkennen!“ – Horia Mosadiq, afghanische Aktivistin
Solche Narrative über Kultur und Religion sollten nicht einfach hingenommen werden. Damit Außenpolitik auf verlässlichen Informationen vor Ort basiert, müssen europäische Staaten mehr mit der lokalen Zivilgesellschaft und der Diaspora zusammenarbeiten. Die Diaspora hat Wissen, welches derzeit von den Entscheidungsträger*innen in der EU nicht genutzt wird. Zivilgesellschaftliche Organisationen vor Ort und ihre Mitglieder brauchen bessere Zugänge zu nachhaltiger Finanzierung sowie Möglichkeiten, ihre Kapazitäten auszubauen und auszutauschen. Eine Möglichkeit, um diesen Aufbau und Austausch von Kapazitäten zu ermöglichen, könnten beispielsweise Fellowships für Menschen aus den betroffenen Staaten wie dem Iran sein.
Weiters muss sichergestellt werden, dass gerade sie von Sanktionen gegen ein Regime nicht betroffen sind. In manchen Fällen scheinen Sanktionen alternativlos. Daher gibt es auch keinen Konsensus, Sanktionen abzuschaffen. Aber um sicherzustellen, dass Sanktionen nicht dazu beitragen, die Zivilbevölkerung eines Landes weiter zu isolieren, müssen Sanktionen „smarter“, also zielgerichteter, werden. Dementsprechend sind beispielsweise Sanktionen gegen Fluggesellschaften, wodurch Zivilpersonen sanktionierte Länder schwieriger verlassen können, kontraproduktiv.
Durch Unterstützung – nicht nur in Worten, sondern in Taten – der lokalen Zivilgesellschaft und von Organisationen der Diaspora können Menschenrechte selbst in solchen Staaten unterstützt werden, wo Regime diese nicht unterstützen. Zwar wird ein auf der Unterdrückung von Frauen* basierendes Regime nicht feministisch, doch wir sehen Fortschritte aus der Zivilgesellschaft – Fortschritte, die selbst Regime überdauern können.
“Also lautet die Frage: Wie können wir die Gesellschaft so unterstützten, dass wenn das Regime wegfällt – und schlussendlich wird es irgendwann weg sein – die Gesellschaft vorbereitet ist, für einen freien demokratischen Iran.” – Diba Mirzaei, Forschende der iranischen Diaspora
Das zeigen beispielsweise die breite iranische Protestbewegung, die sich mit der Ermordung Mahsa Aminis 2022 entzündete oder die derzeitigen Bemühungen afghanischer Frauen*, Gender-Apartheid als Verbrechen gegen die Menschlichkeit völkerrechtlich zu verankern. Die Veränderung in der Gesellschaft voranzutreiben ist möglich, aber bis jetzt scheint es keinen ernsthaften Willen von Seiten der EU zu geben, dies zu tun.
Umstritten wurde im Rahmen der Podiumsdiskussion die Frage diskutiert, ob Kontaktabbrüche zu einem Regime jemals eine gute Politikoption darstellen. Denn die Gefahr, dadurch die lokale Bevölkerung weiter zu isolieren, ist nicht zu unterschätzen. Jedenfalls wurde klar festgestellt, dass im Rahmen einer feministischen Außenpolitik, politische Beziehungen zu dezidiert frauenfeindlichen Regimen wie den Taliban, klare rote Linien brauchen. Grundsätzliche Menschenrechte, wie das Recht auf Bildung auch für Frauen*, sollten zu den Grundsätzen gehören, auf die ein Staat bestehen sollte – auch gegenüber den Taliban.
Menschliche statt nationale Sicherheit im Fokus
Obwohl diplomatische Deeskalation – etwa in den Bemühungen um ein Atomabkommen mit dem Iran – aus feministischer Perspektive durchaus notwendig ist, zeigt die westliche Sicherheitspolitik gegenüber Afghanistan und dem Iran, dass dabei vor allem die nationale Sicherheit westlicher Staaten im Vordergrund steht und nicht die menschliche Sicherheit, wie sie von feministischen Außenpolitiken gefordert wird. Betrachtet man das Kontinuum der Gewalt, dem Frauen* ausgesetzt sind – etwa durch häusliche Gewalt, politische Unterdrückung oder wirtschaftlichen Druck in korrupten Regimen, auch in Zeiten des offiziellen Friedens – wird klar, dass feministische Außenpolitik ein anderes Verständnis von Sicherheit erfordert. Sicherheit muss so definiert werden, dass die menschliche Sicherheit im Zentrum steht und die Sicherheit von Frauen* und Minderheiten einschließt.