Afrika. Jenseits der Krisen.

von Franz Schmidjell (VIDC Global Dialogue)

VIDC Online Magazin Spotlight

Dieser Artikel wurde in der Spotlight-Ausgabe März 2023 veröffentlicht. Wenn Sie den vierteljährlich erscheinenden Spotlight, Einladungen und Dokumentationen erhalten möchten, klicken Sie bitte hier.

Autor

Franz Schmidjell ist stellvertretender Geschäftsführer des VIDC und betreut den Bereich Afrikapolitik. Seine Arbeitsschwerpunkte sind EU-Afrika Beziehungen, soziale Bewegungen in Afrika und Diaspora Engagement. Er war Initiator der VIDC Kunst-und Kultureinrichtung kulturen in bewegung und Organisator von Informations- und Kulturfestivals. Schmidjell studierte Handelswissenschaften an der Wirtschaftsuniversität Wien.

© Africans Rising 2022

Die VIDC Schwerpunkt-Reihe unter dem gleichnamigen Titel eröffnet neue Blicke auf Entwicklungen, die sich abseits der medialen Katastrophenbilder ereignen. Im Mittelpunkt stehen Initiativen, die sich für ein besseres Leben für alle einsetzen. Zudem geht es um Politiken, die als Gegenstrategien zu den zahlreichen Risiken in Afrika diskutiert oder umgesetzt werden und die zu gerechteren Gesellschaften und einem gesünderen Planeten beitragen könnten.
Die Liste von Beispielen ist ebenso lang wie unvollständig. Demokratiebewegungen kämpfen gegen autoritäre Regierungen, Umwelt- und Klimaaktivist*innen fordern eine Abkehr vom fossilen Entwicklungspfad, die feministischen Frauennetzwerke verlangen politische Teilhabe, lokale Friedensinitiativen vermitteln zwischen Konfliktparteien, die afrikanische Diaspora sorgt für Wissenstransfer und digitale Start-ups zeigen neue Lösungen auf.

Die Mobilisierung von Frauen und die „Große Grüne Mauer“

Eine dieser außergewöhnlichen Initiativen, das Green Belt Movement wurde 1977 von Wangari Mathai gegründet und wird heute von ihrer Tochter Wanjira fortgeführt.  Die Bewegung ist eine Antwort auf Herausforderungen für kenianische Frauen in ländlichen Regionen. Trockene Böden und fehlendes Brennholz zum Kochen machte die Versorgung schwierig.  „Tree planting was the tool that the Green Belt Movement used to mobilise women,” so die Biologin Wanjira Mathai. Über 50 Millionen Bäume wurden bislang gemeinschaftlich gepflanzt, damit die Erde mehr Regenwasser aufnehmen und die Böden bebaut werden können.
Zur Zeit der Entstehung der Green Belt Bewegung stellte der damalige Präsident von Burkina Faso, Thomas Sankara, bei seiner historischen Rede 1986 in Paris „Der Imperialismus ist der Brandstifter unserer Wälder“ eine ähnliche Idee vor: die landesweite Wiederaufforstung und Verbesserung der Böden. Nach seiner Ermordung dauerte  es mehr als 20 Jahre (bis 2007), bis aus der Vision ein offizielles Vorhaben der Afrikanischen Union (AU) wurde: die „Große Grüne Mauer“ gegen die Wüstenbildung. Zwar gibt es Afrikas „grünes Weltwunder“ bis heute noch nicht, dafür ein vielfältiges Mosaik lokaler Initiativen, die mit moderner Forstwirtschaft und traditionellem Gemüseanbau afrikanische Antworten auf die Klimakrise suchen.
Auch die fehlenden Weizenlieferungen aus Russland und der Ukraine könnten derartige Pläne, insbesondere die Rückkehr zu mehr Eigenanbau in Afrika, fördern.  Die AU Landwirtschaftskommissarin Josefa Sacko will einen Teil der 45 Milliarden Dollar für Lebensmittelimporte künftig in die Entwicklung des heimischen Agrarsektors investieren.

Afrikas Diaspora bringt Innovation

Die afrikanischen Metropolen sind Zentren von kreativen Start-ups und Unternehmen, die soziale Verantwortung übernehmen. In diesem Umfeld ist der in Österreich lebende Berater* Youssouf Diakite tätig. Er ging in Mali zur Schule, studierte Unternehmensführung  und arbeitete bei einer Bank. Youssouf Diakite: „Bald wuchs bei mir die Überzeugung, es gehe im Leben weniger darum, Geld zu verdienen, als vielmehr darum, etwas zu bewirken.“ Er übersiedelte nach Österreich und schloss 2022 sein Studium an der Wirtschaftsuniversität Wien ab. Bereits 2014 organisierte er in Wien die Konferenz „Jugend in der Diaspora zur Unterstützung der Entwicklung in Afrika“. Es folgte die Gründung des europäischen Netzwerks „ADYFE – African Diaspora Youth Forum in Europe“. Hunderte junge Leute wurden weitergebildet und ein weit verzweigtes Netzwerk für afrikanische Jungunternehmer*innen aufgebaut. Partner sind unter anderem die UNIDO, die AU-Kommission und das Sekretariat der AfCFTA (African Continental Free Trade Area). Heute bietet Diakite Schulungen, Seminare, Trainings und Beratung in verschiedenen Ländern Afrikas an: „Dabei versuchen wir ein „consumer-first“-Denken und digitale Lösungen zu vermitteln. Daneben unterstützen wir das sogennante soft landing von Investor*innen aus Europa, inklusive der Diaspora.“ Neue Jobs sind auf dem Kontinent von zentraler Bedeutung, da jährlich 20 - 25 Millionen junge Menschen auf den Arbeitsmarkt drängen.

Chancenkontinent Afrika

Vor rund 20 Jahren begann mit dem größten  Aufschwung seit der Unabhängigkeit auch die Erzählung von „Africa rising“.  Akinwumi Adesina, Präsident der Afrikanischen Entwicklungsbank, sagt dem Kontinent ein stabiles Wachstum von 4% für 2023 und 2024 voraus. Zu den drei Top-Performern gehören Ruanda, die Elfenbeinküste und Benin. Alle fünf Regionen Afrikas werden ein positives Wachstum verzeichnen, der zum Teil auf dem Ressourcenreichtum basiert. Afrika verfügt über 9% der weltweiten Gas- und 12% der Erdölreserven, 40% der bekannten Gold-,  56% der Kobalt- und bis zu 90% der Platinvorkommen. Enorme Potentiale bestehen bei erneuerbarer Energien aus Sonne, Wind, Wasserkraft und Geothermie.
Ob die 450 Millionen Armen vom Ressourcenreichtum und Wachstum in Zukunft profitieren werden, bleibt jedoch abzuwarten. Bei einer Steuerquote (= Verhältnis der Steuereinnahmen zum Bruttoinlandsprodukt) von rund 15% (Österreich ca. 43%), 80 Milliarden Dollar illegitimer Finanzabflüsse aus Afrika (illicite financial flows) pro Jahr und enormer Schuldendienste bleiben wenig Mittel für Bildung, Gesundheit, Soziales und Infrastruktur über.

Africans Rising

Gegen den “Ausverkauf der Ressourcen” gehen immer mehr Menschen auf die Straßen. Mutemi wa Kiama aus Nairobi wurde dafür zweimal verhaftet. Er hatte die Politik des Internationalen Währungsfonds kritisiert, wie er bei einem Vortrag in Wien schilderte. Er ist Berater von Gemeinde- und Aktivist*innen-Gruppen und im Vorstand von Africans Rising, einem pan-afrikanischen Netzwerk für Würde, Gerechtigkeit und Frieden. Mutemi: „Wir können die heutigen Probleme nicht nur lokal lösen: Klimakrise, Ungleichheit und autoritäre Regierung betreffen uns alle, in Afrika und in Europa. Wir führen die gleichen Kämpfe – für Humanität und die Zukunft des Planeten Erde“. In der 2016 beschlossenen „Kilimanjaro“-Deklaration fordert Africans Rising u.a. mehr Raum für zivilgesellschafltiches und politisches Engagement, Rechte von Frauen* sowie von benachteiligten Gruppen in der Gesellschaft, Klimagerechtigkeit und entschlossenes Vorgehen gegen Korruption und Straflosigkeit. Mit dem „Activism Award“ werden jährlich Einzelpersonen, soziale Bewegungen und Kulturschaffende für ihren vielfach lebensgefährlichen Aktivismus gewürdigt.

Europa ist gefordert

Das neue zivilgesellschaftliche Selbstbewusstsein stellt nicht nur für die herrschenden Eliten in Afrika eine Herausforderung dar. Es verlangt auch ein Überdenken des klassischen „Geber-Nehmer-Modells“ zwischen Europa und Afrika. Ein gleichberechtigter Dialog über neue Formen der Kooperation muss die außen-, sicherheits- und wirtschaftspolitischen Felder einbeziehen. Europa muss dabei erst lernen, mit dem neuen Selbstbewusstsein Afrikas und dessen Eigeninteressen umzugehen. Das zeigt sich bei Themen wie dem Ukraine Krieg, der COVID-19-Impfstoffproduktion  (TRIPS-Waiver) oder bei Migrationsfragen. Zu diesem Lernprozess liefert das dynamische, aktivistische und intellektuelle Afrika – inklusive der Diaspora – wichtige Impulse (20. März 2023).

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