“People not Profit”: Fridays For Future fordert Klimagerechtigkeit

Interview mit Klara Butz und Veronika Winter geführt von Nadja Schuster (VIDC Global Dialogue)

VIDC Online Magazin Spotlight

Dieser Artikel wurde im VIDC Online Magazin Spotlight März 2023 veröffentlicht. Wenn Sie das vierteljährlich erscheinende Online-Magazin, Einladungen und Dokumentationen erhalten möchten, klicken Sie bitte hier.

Interviewte


Klara Butz (24) und Veronika Winter (26) sind Aktivist*innen bei Fridays For Future Österreich. Butz beschäftigt sich mit Klimapolitik und den dazugehörigen Gesetzgebungen in Österreich und der EU. Sie schreibt außerdem ihre Masterarbeit in Meteorologie. Winter ist in der Außenkommunikation der Bewegung aktiv und forscht an der Universität Wien zum Thema Klimabildung.

© Fridays for Future Wien

CO2 Emissionen werden v.a. im Globalen Norden verursacht. Die Folgen sind aber in erster Linie im Globalen Süden zu sehen, da sich die ärmeren Länder weniger vor den Auswirkungen der Klimakatastrophe schützen können. Sollen Mittel zur Anpassung (Adaptation) und Stärkung (Resilienz) für den Globalen Süden zur Verfügung gestellt werden?

Diese Frage veranschaulicht gut, dass es bei der Klimakrise im Kern nicht um Treibhausgase und die technische Frage, wie man Gesellschaften klimaneutral ausrichten kann, geht. Vielmehr dreht sich die Forderung nach Klimaschutz um Gerechtigkeitsfragen bzw. “Klimagerechtigkeit”. Es geht um Gerechtigkeit zwischen Nord und Süd, zwischen Reich und Arm, um Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern, den Generationen und vieles mehr. Wenn Fridays For Future (FFF) Aktivist*innen weltweit “Climate Justice Now!” rufen, dann ist damit die Forderung nach ökologischer UND sozialer Gerechtigkeit gemeint. Dazu zählt nach dem Verursacherprinzip, dass jene, die die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen vorangetrieben und sich an der Ausbeutung von Menschen und Natur bereichert haben, als allererste zur Verantwortung gezogen werden müssen. Also vor allem Industriestaaten und internationale Großkonzerne. Konkret bedeutet das, dass Regierungen im globalen Norden ihre Klimaschulden beim globalen Süden begleichen müssen. Uns ist wichtig zu betonen, dass es sich hier nicht um “Hilfe aus gutem Willen” oder Wohltätigkeit handelt, sondern um eine moralische Verpflichtung und um die Einhaltung politischer Abkommen. Es ist beschämend, dass sich Politiker*innen aus reichen Ländern nach wie vor weigern, notwendige finanzielle Mittel zur Anpassung an den Klimawandel aufzustellen. Länder des globalen Südens hatten 2015 das Pariser Abkommen nur unter der Bedingung eines Green Climate Funds, welcher die jährliche Bereitstellung von 100 Mrd. Dollar für besonders betroffene Staaten vorsieht, unterzeichnet. Das Tragische dabei ist, dass selbst diese Summe nur für einen Bruchteil der vom Norden verursachten Schäden aufkommen würde. Und noch tragischer ist, dass dieses Abkommen seit 2015 in keinem Jahr eingehalten wurde.

Bezugnehmend auf dieses Ungleichgewicht drängt sich die Frage auf: Wie stark ist FFF im Globalen Süden? Gibt es Austausch und eine konstante Zusammenarbeit mit FFF im Globalen Süden?

Die globale Fridays For Future Bewegung ist stark vernetzt und wir arbeiten auch so gut es geht zusammen. Vertreter*innen der Landesgruppen treffen sich in regelmäßigen Videokonferenzen, außerdem gibt es zahlreiche Messenger-Gruppen, in denen wir uns koordinieren und zum Beispiel Abstimmungen für das Datum des nächsten globalen Streiktags organisieren. In Österreich haben wir auch schon öffentliche Online Diskussionen mit Aktivist*innen aus dem globalen Süden organisiert.

Wie sieht es mit der Partizipation von FFF aus dem Globalen Süden am internationalen Diskurs aus?

Am Beispiel der Klimakonferenzen wurden weitere Ungerechtigkeiten aufgezeigt. Während FFF Aktivist*innen aus Österreich problemlos teilnehmen konnten, war dies für MAPA (Most Affected People and Areas) aufgrund der finanziellen Lage oder dem fehlenden Impfschutz nahezu unmöglich. Natürlich besteht Unmut innerhalb der globalen Bewegung, wenn es Weißen, privilegierten Aktivist*innen leichter gemacht wird, am Diskurs teilzunehmen und jene, die schon heute an vorderster Front der Klimakatastrophe ins Auge blicken, kein Mitspracherecht zuteilwird. Im gesellschaftlichen Diskurs hier in Österreich kommen die Perspektiven von MAPA generell zu wenig vor, da die Medien vor allem europäische Aktivist*innen in den Vordergrund stellen. Diesbezüglich ist uns das Ereignis beim Weltwirtschaftsforum in Davos, als die Schwarze, ugandische Klimaaktivistin Vanessa Nakate aus einem Foto mit Greta Thunberg und anderen Weißen europäischen Aktivist*innen von der Presseagentur schamlos weggeschnitten wurde, noch immer stark in Erinnerung geblieben. Seither gibt es große Diskussionen auf globaler Ebene, wie wir dem entgegenhalten können. Auch unsere Bewegung in Österreich hat noch viel nachzuholen. Als Aktivist*innen in einem reichen Land muss uns bewusst sein: Während wir um unsere Zukunft fürchten, stehen die Häuser im globalen Süden schon längst in Flammen oder sind überflutet. Und unsere Regierungen sind schuld daran. Deshalb fordern wir Österreich auf, so rasch wie möglich Klimaneutralität herzustellen, damit wir keine weiteren Anteile des globalen CO2-Budgets, die uns nicht mehr zustehen, aufbrauchen. Denn dieses Budget benötigt der globale Süden weit dringender, um Infrastruktur aufzubauen, die wir schon längst haben.

Im Hinblick auf die genderspezifischen Auswirkungen, trifft die Klimakrise Frauen im Globalen Süden härter als Männer? Zeigt sich dies auch im Norden?

Dass die Bewältigung der Klimakrise intersektional gedacht werden muss, ist vielen Menschen nicht bewusst. Frauen sind deutlich stärker von Armut betroffen, haben weniger Besitztümer und einen schlechteren Zugang zu Bildung. Zusätzlich ist in vielen Ländern die traditionelle Kleidung von Frauen einschränkend und verringert die Mobilität bei Naturkatastrophen wie Stürmen, Überflutungen oder Dürren. Im Globalen Süden sind viele Menschen im Landwirtschaftssektor beschäftigt, die durch drastische klimatische Änderungen ihre Lebensgrundlage verlieren und meist keine alternativen Einkommensquellen haben. Gerade Frauen, die aufgrund ihres niedrigeren Bildungsniveaus und den traditionellen Rollenzuschreibungen stärker an die Familie und einen Ort gebunden sind, sind deutlich weniger resilient im Falle einer erzwungenen, klimakrisen-bedingten Migration. Dass sich die Klimakrise auf Frauen und Männer unterschiedlich auswirkt, zeigte auch die Hitzewelle in Europa 2003, bei der um 75% mehr Frauen als Männer starben. Das liegt einerseits am sozialen Stand, der höheren Armutsexposition, aber auch an dem erhöhten Risiko der Dehydrierung für Frauen ab 50, da sie eine geringere Regulierungsmöglichkeit der Körpertemperatur haben (Women’s Environmental Network).

Haben die Länder des Globalen Südens nicht auch ein Recht auf nachholende Entwicklung und Industrialisierung? Wie kann das mit den Klimazielen in Einklang gebracht werden? Können wir ihnen moralisch vorschreiben „unsere Fehler“ nicht zu wiederholen – auch auf Kosten von Armutsminderung, Industrialisierung, Mobilität?

Der Kolonialismus ermöglichte dem Globalen Norden seinen Reichtum. Die systematische Ausbeutung des Globalen Südens zugunsten Europas und Nordamerikas trieb die Industrialisierung und somit auch die CO2-Emissionen an. Im Sinne der Klimagerechtigkeit müssten Länder, die ihren Anteil des CO2-Budgets bereits in der Vergangenheit aufgebraucht haben, nun umso schneller dekarbonisieren. Nun wird aber oft das (Schein-)Argument herangezogen, dass die Länder des Globale Südens viel leichter dekarbonisieren können, weil sie weniger von CO2 abhängen. Beispielsweise solle Indien kein Kohlekraftwerk bauen. Tatsächlich jedoch zeigt eine soeben erschienene Studie (Bruckner et al., 2022), dass sich Armutsbekämpfung und Klimaziele nicht im Wege stehen. Eine Milliarde Menschen aus der Armut zu holen, erhöht die CO2-Emissionen lediglich um ca. 2%. Ein lokales Beispiel einer klimagerechten, politischen Handlung ist die Lobautunnel-Absage: Jeder Meter Straße, der in Österreich nicht gebaut wird, wird im Globalen Süden dringend gebraucht. 

Welche Forderungen hat die Fridays For Future Bewegung im Globalen Süden an die reichen Industrieländer?

Wie schon erwähnt müssen die Perspektiven von MAPA stärker in den Fokus des Klimadiskurses im Globalen Norden gerückt werden. Vanessa Nakate aus Uganda bringt es auf den Punkt: “Denkt daran: Selbst wenn wir die globale Durchschnittstemperatur unter 1,5°C halten könnten, wäre das für viele Länder Afrikas eine Katastrophe. Weite Teile Afrikas, in denen die Situation jetzt schon unerträglich ist, könnten sogar unbewohnbar werden.” Die Uhr tickt: Unser globales CO2-Budget für die Einhaltung des 1,5°C-Limits ist beinahe aufgebraucht. Fossilen Großkonzernen ist das CO2-Budget jedoch egal, solange ihr eigenes Budget passt. Jetzt gilt es, dass die Regierungen des Globalen Nordens endlich die Verpflichtung zu “absoluten gesamtwirtschaftlichen Emissionsreduktionszielen” laut Pariser Abkommen umsetzen. “People not Profit” heißt daher die Devise und dementsprechend handeln wir als globale Bewegung auch. Laut und unermüdlich, für die Gegenwart und Zukunft, und vor allem für die nächsten Generationen. Sozial gerecht, gendergerecht, KLIMAGERECHT (10. März 2022).

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