Klimakrise befeuert Vertreibung

Von Michael Fanizadeh

VIDC Online Magazin Spotlight

Dieser Artikel wurde im VIDC Online Magazin Spotlight Oktober 2021 veröffentlicht. Wenn Sie den vierteljährlich erscheinenden Spotlight, Einladungen und Dokumentationen erhalten möchten, klicken Sie bitte hier.

Autor*in


Michael Fanizadeh ist Politikwissenschaftler. Seine Arbeitsbereiche bei VIDC Global Diaolgue sind Migration und Entwicklung, Menschenrechte und Antidiskrimnierung mit einem regionalen Fokus auf den Nahen und Mittleren Osten. In den vergangenen Jahren entwickelte er am VIDC einen Schwerpunkt zu den sozialen und politischen Entwicklungen in Afghanistan. Er ist zudem Leiter der Arbeitsgruppe Migration und Entwicklung in der Arebeitsgruppe Globale Verantwortung, dem Dachverband entwicklungspolitischer und humanitärer NGOs in Österreich.

 

© Shutterstock/ Amors photos

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Die Klimakrise vollzieht sich schneller und folgenschwerer als bislang angenommen – das haben die Waldbrände in den Mittelmeerregionen sowie die Überschwemmungen in Deutschland in diesem Sommer sehr deutlich gezeigt. Auch der Sachstandsbericht des Weltklimarats der Vereinten Nationen vom 9. August 2021 spricht eine eindeutige Sprache: Der Bericht geht davon aus, dass die Klimaveränderungen in den kommenden Jahrzehnten in allen Regionen zunehmen werden. Bei einer globalen Erwärmung von 1,5°C wird es immer mehr Hitzewellen sowie längere warme und kürzere kalte Jahreszeiten geben.  Bei 2°C globaler Erwärmung werden Hitzeextreme häufiger und kritische Toleranzschwellen für Landwirtschaft und Gesundheit erreicht, so der Bericht. 
Menschen in den Ländern des Globalen Südens sind von den kurzfristigen und langfristigen Auswirkungen des Klimawandels besonders betroffen. Sie können sich vor den häufigen und intensiver werdenden wetterbedingten Ereignissen, wie Überschwemmungen, Feuer, Dürren und Stürmen weniger schützen und sind immer häufiger gezwungen ihre Herkunftsorte zu verlassen. Änderungen bei Niederschlägen und Temperaturmustern wirken sich zudem langfristig negativ auf die Lebensbedingungen und Zukunftschancen von Menschen in den ärmsten Regionen dieser Erde aus. 

Vertriebene aufgrund der Klimakrise

Ende 2020 gab es weltweit 55 Millionen Binnenvertriebene, davon 48 Millionen als Folge von Konflikten und Gewalt und sieben Millionen als Folge von Umweltkatastrophen. Schätzungen gehen davon aus, dass sich die Zahl der Geflüchteten aufgrund der Klimakrise rasant erhöhen könnte. Die Weltbank spricht in einem Bericht im September 2021 von möglichen 216 Millionen Binnenvertriebenen bis 2050 aufgrund der Klimakrise. 
Laut dem Internal Displacement Monitoring Centre (IDMC) wurden 2020 allein in Subsahara-Afrika 4,3 Millionen Menschen wegen Umweltkatastrophen zumindest kurzfristig vertrieben, wobei mit Ende des Jahres immer noch 2,3 Millionen Vertriebene in der Region gezählt wurden. 
Studien zeigen, dass die meisten Menschen, die sich vor Umweltkatastrophen in Sicherheit bringen müssen, in der eigenen Region verbleiben, zumeist im eigenen Land und dass sie so schnell als möglich wieder in ihre Herkunftsorte zurückkehren wollen. Nur eine Minderheit versucht über die Landesgrenzen hinweg zu flüchten, wie aus den Daten des IDMC ersichtlich wird. Einer der Gründe dafür ist auch, dass Geflüchtete aufgrund der Klimakrise nicht explizit als Konventionsflüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt sind und daher wenig Chancen auf internalen Schutz haben. Was nicht heißt, dass sich unter den derzeit offiziell über 30 Millionen Geflüchteten weltweit nicht auch Menschen befinden, die sich aufgrund von klimabedingten Faktoren über Grenzen hinweg in Sicherheit brachten. Jedoch werden diese Faktoren nicht als Fluchtursachen erfasst. 

Die Klimakrise heizt Konflikte an

Konflikte und Klimakrise gehen oftmals Hand in Hand und befeuern sich wechselseitig. Viele der heutigen Krisen sind durch eine komplexe Mischung von Klima- und Umweltveränderungen, Katastrophenrisiken, Konflikten, Fragilität und Vertreibung geprägt. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) betont in seinem jährlichen Bericht über „Forced Displacement“ die Multidimensionalität von Armut, Ernährungsunsicherheit, Klimawandel, Konflikten und Vertreibung. Diese Faktoren seien zunehmend miteinander verbunden und verstärken sich gegenseitig, so dass immer mehr Menschen auf der Suche nach Schutz und Sicherheit sind. Auf lokaler Ebene ist Klimawandel eine Hauptursache für Konflikte, wenn Gruppen z.B. um Weideland oder Wasserstellen konkurrieren. Das ist insofern bedeutsam, da aktuell immer noch ein Drittel der Weltbevölkerung von der Landwirtschaft lebt und somit auf ein funktionierendes Öko- und Klimasystem angewiesen ist.

Das Beispiel Afghanistan zeigt die Vielschichtigkeit der Fluchtursachen. Die Konflikt- und Kriegsrealität von Afghanistan ist hinlänglich bekannt. Doch laut UNHCR ist Afghanistan auch eines der katastrophenanfälligsten Länder der Welt, da fast alle 34 Provinzen in den letzten 30 Jahren von mindestens einer Umweltkatastrophe betroffen waren. Eine Studie von Greenpeace Deutschland aus dem Jahr 2017 veranschaulicht diese Problematik: „Naturkatastrophen, Wetterextreme und sinkende Erträge in der Landwirtschaft und der damit verbundene Verlust an Arbeit auf dem Land verschärfen die zerstörerischen Auswirkungen, die Krieg und Gewalt auf das Leben der Menschen in Afghanistan haben. Krieg und Gewalt verhindern die Einrichtung von Schutzmaßnahmen vor extremen Naturereignissen wie den Bau von stabilen Häusern, Dämmen oder die Installation von Frühwarnsystemen für Erdbeben. Gleichzeitig führen Krieg und Gewalt und die große Zahl an Binnenvertriebenen dazu, dass immer mehr Menschen ungeschützt in Risikogebieten leben müssen, und somit Naturkatastrophen immer mehr Menschen betreffen.“
Ähnlich dramatisch stellt sich die Situation in Somalia dar. Eine Studie des Mixed Migration Centre vom Februar 2020 konstatiert: „During 2019 and continuing today (early 2020) Somalia is experiencing several recurrent climate-related shocks that impact livelihoods and which, together with ongoing conflict, are leading to food insecurity, mass displacement, and crisis.” Rufen wir uns in Erinnerung: Somalia ist eines der Länder mit dem höchsten Gewaltaufkommen weltweit, mit einem Bürgerkrieg, der seit den 1990er Jahren mehr oder weniger kontinuierlich anhält. 2020 wurden zusätzlich noch über eine Million Binnenvertriebene aufgrund von Umweltkatastrophen und langanhaltenden Effekten des Klimawandels gezählt. Leider fällt die Prognose des Mixed Migration Centre für Somalia wenig hoffnungsvoll aus: Alle klimatischen Veränderungen, die derzeit zu beobachten sind, werden weiter zunehmen. Sowohl in ihrer Häufigkeit als auch in ihrem Ausmaß, was die Hoffnungen auf eine Überwindung der nationalen Instabilität weiter gefährdet.

Ist klimabedingte Vertreibung weiblich?

Eine Studie von CARE aus dem Jahr 2020 kommt zum Ergebnis, dass Frauen und Mädchen von den Auswirkungen des Klimawandels stärker betroffen sind als Männer. Insbesondere hätten Frauen und Kinder, die in von extremer Armut betroffenen Regionen leben, eine 14 Mal höhere Wahrscheinlichkeit von klimabedingten Katastrophen wie Wirbelstürmen oder Überflutungen getötet zu werden. CARE fordert daher sofortige Maßnahmen, um Frauen und Mädchen in den Mittelpunkt der Bemühungen hinsichtlich der Stärkung der Widerstandsfähigkeit von Gemeinschaften gegenüber dem Klimawandel zu stellen und denjenigen zu helfen, die bereits jetzt von klimabedingter Vertreibung betroffen sind. 
Paradoxerweise sind vulnerable Gruppen in den ärmsten Regionen der Welt am meisten gefährdet, Opfer des Klimawandels zu werden – obwohl sie am allerwenigsten zu den weltweiten Emissionen beitragen. Bedauerlicherweise verfügen ihre Regierungen aber einfach nicht über die finanziellen Mittel, sie vor den Folgen des Klimawandels zu schützen. Darum wäre es ein Gebot der Stunde, die ärmsten Länder bei der Entwicklung und Umsetzung von Schutz- und Anpassungsplänen zu unterstützen. Dies würde uns jedoch nicht davon befreien, selbst einen umfassenden, menschenrechtsbasierten, inklusiven, intersektionalen und kohärenten Maßnahmenplan zur Erreichung der Klimaziele in Österreich zu erarbeiten und umzusetzen. Denn ohne eine starke und anhaltende Verringerung von Kohlendioxid und anderen Treibhausgasen in den industriellen Zentren lässt sich die Klimakrise keinesfalls bewältigen. Die Brände und Überschwemmungen in diesem Sommer sind lediglich die Vorboten noch größerer Verwerfungen in der Zukunft: „The evidence is clear that carbon dioxide (CO2) is the main driver of climate change, even as other greenhouse gases and air pollutants also affect the climate.“ (Weltklimarat der Vereinten Nationen, 9. August 2021)  (16. September  2021).

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