„Das Leben ist schwieriger geworden“. Syrische Frauen erzählen von den neuen Herausforderungen in Zeiten von Corona

Von Rama Al Darwisch

VIDC-Online-Magazin Corona Special

Dieser Artikel wurde im VIDC-Onlinemagazin Corona Special Mai 2020 veröffentlicht. Wenn Sie das vierteljährlich erscheinende Online-Magazin, Einladungen und Dokumentarfilme erhalten möchten, abonnieren Sie bitte hier.

Über die Autorin

Rama Al Darwisch ist 36 Jahre alt und hat ihr Diplom zur Betriebswirtin in Damaskus gemacht. 2010 ließ sie sich von Al-Jazeera zur Journalistin umschulen und war danach mehrere Jahre in dem Beruf in Syrien tätig. Sie ist seit Ende 2015 in Deutschland und seit Dezember 2018 ist sie Volontärin der Medienanstalt Berlin-Brandenburg bei dem Ausbildungs- und Community-Sender ALEX Berlin.

Im Flüchtlingslager «Atmeh» an der türkischen Grenze leben tausende Menschen in Zeltunterkünften.

Flüchtlingslager «Atmeh» an der türkischen Grenze, © Ali Haj Suleiman

Zu Jahresbeginn 2020 haben die Truppen des syrischen Diktators Bashar Al Assad und seiner Schutzmacht Russland den Kampf um die nordsyrische Provinz Idlib, die letzte Rebellen-Hochburg des Landes, noch einmal zugespitzt und den Kampf verstärkt. Im März 2020 ist dann aber doch eine Waffenruhe zwischen Russland und der Türkei in Idlib vereinbart worden. UN-Generalsekretär António Guterres äußerte die Hoffnung, dass die Feuerpause in Idlib in eine „dauerhafte" Einstellung der Kämpfe mündet. Die Bevölkerung in Idlib habe bereits ein „enormes Leid“ hinter sich. Die vereinbarte Waffenruhe hat scheinbar eine gute Wirkung auf die Zivilist*innen in Idlib, doch darf das Ende der katastrophalen humanitären Folgen des Krieges bezweifelt werden.

Die Frauen stehen vor großen Herausforderungen

Von der ständigen Konfrontation mit Al Assads Regime und seinem jahrelangen Krieg und Morden, den Verhaftungen, Verfolgungen und Menschenrechtsverletzungen sind Männer als auch die Frauen in Syrien besonders betroffen. In den Flüchtlingslagern leiden vor allem Frauen und Kinder. Infolge der letzten Offensive in Idlib flohen über eine Million Zivilist*innen, davon 80 Prozent Frauen und Kinder. Sie leben in völlig überfüllten Flüchtlingslagern unter unmenschlichen Bedingungen. Die Frauen müssen die Herausforderungen des täglichen Lebens unter den verschärften Bedingungen eines Lagerlebens bewältigen. Viele von ihnen sind von der Nahrungsmittelhilfe der UNO und von lokalen Hilfsorganisationen abhängig, sie müssen oft weite Fußmärsche unternehmen, um Feuerholz, Trinkwasser, und Lebensmittel heranzuschaffen.

Die weltweite Verbreitung von Covid-19 lässt die Situation noch komplizierter werden. Frauen stehen vor den Containern der Hilfsorganisationen Schlange, dabei setzen sie sich einer besonderen Infektionsgefahr aus, so schildert das Inas Om Altaher. Inas ist 45 Jahre alt, Mutter von drei Kindern und sie lebt in einem Flüchtlingslager in einem Bezirk von Nord-Aleppo. Inas und viele andere Frauen müssen in Menschenschlangen warten, um den Alltag bewältigen zu können: Während in anderen Ländern der Welt ein Mindestabstand von 1,50 Metern zwischen den Menschen propagiert wird, stehen die Menschen in den syrischen Flüchtlingslagern allzu eng beieinander.

Türkische Maßnahmen wirken sich negativ aus

Inas wurde ursprünglich aus Homs vertrieben und nach Idlib zwangsumgesiedelt. Momentan bekommt sie von niemanden eine finanzielle Unterstützung, da ihr Mann vor sechs Monaten in Idlib gefallen ist. Seitdem lebt sie von Nahrungsmittelhilfe und von den wenigen Ersparnissen, die übrig geblieben sind. Ein Lebensmitteleinkauf ist da quasi unmöglich, denn die Preise für Lebensmittel sind seit Ende März rasant gestiegen: „Wir können es uns nicht mehr leisten, Obst und Gemüse zu kaufen, und wir wissen nicht, wie wir unsere Kinder weiter ernähren können“, sagte Inas.

Dazu kommt, dass sich die ökonomische Lage aufgrund der Corona-Pandemie weiter verschlechtert. Das Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) gab in ihrem letzten Bericht über Nordsyrien an, dass die Maßnahmen, die beispielsweise von der türkischen Regierung aufgrund von COVID-19 getroffen wurden, die wirtschaftliche Lage in Nordsyrien weiter verschlechterten; diese würden sich negativ auf die Verfügbarkeit von Waren auf den Märkten als auch auf die syrische Währung auswirken.

Probleme bei der Hygiene

„Frauen, die vor Kriegen fliehen, leben unter unhygienischen Bedingungen, sie schlafen in Zelten im Schlamm oder im Freien. Zwar haben sie gemeinsame Toiletten, aber diese reichen nicht aus. Hinzu kommt, dass sie sich nur einmal alle zwei Wochen oder noch weniger oft duschen können. Es gibt nicht genug Seife und Desinfektionsmittel", sagt eine Krankenschwester, die freiwillig in einem Flüchtlingscamp in Om Al Qura an der Grenze zur Türkei arbeitet. Trotzdem bemühen sich die Frauen in den Lagern, die  basalen Gesundheitsbedingungen für ihre Familien so gut als möglich zu gestalten. Wasser ist dabei die einzige verfügbare Ressource; sie erhitzen dieses, mischen es mit einem bisschen Reinigungsmittel und waschen die eigenen Hände und die Hände ihrer Kinder damit. Die erwähnte Krankenschwester, die ihren Namen nicht nennen möchte, spricht allerdings von einem Mangel an fließendem und sauberem Wasser. Die jüngste Entwicklung sei, dass immer mehr Patient*innen mit Allergien zu ihr kommen, nach den Untersuchungen habe sie festgestellt, dass dem Wasser Chlor in hoher Dosis zugesetzt wird.

Frauen im Einsatz gegen Corona

Die Arbeit von Frauen in Nordsyrien beschränkt sich aber nicht nur auf die Sicherung des unmittelbaren Lebensunterhalts der Familien, da Frauen auch an der Gemeindearbeit aktiv teilnehmen. Heute arbeiten Frauen in allen Standorten, um das Corona-Virus zu bekämpfen und seine negativen Auswirkungen zu verringern.

Om Ahmad Al-Abdullah ist eine von den Frauen aus einem Hilfsprojekt In Idlib, die mittlerweile Schutzmasken nähen; andere Frauen wie Sara engagieren sich bei der Aufrechterhaltung des Schulunterrichts  für Kinder. Sara ist eine Lehrerin aus Idlib. Jetzt - in Zeiten von Corona - macht sie ihren Unterricht online, für sie ist es eine neue Herausforderung, sie übt das und versucht den Kindern den Schulstoff bestmöglich zu vermitteln. Manchmal besucht sie die Kinder auch in Ihre Zelten in den Lagern, da viele Eltern und Kinder kein Internet zur Verfügung haben. So versorgt sie sie mit neuen Arbeits- und Übungsblättern.
„Viele von den Kindern verstehen es nicht, warum sie nicht mehr zur Schule gehen können, viele haben auch keine Handys, ich freue mich wenn ich die Kinder und die Eltern mit meinem Besuch unterstütze“, erklärt Sara.

Viele Aktivistinnen arbeiten weiter unermüdlich vor Ort an Präventionsmaßnahmen, Quarantänestationen und Aufklärungskampagnen zur öffentlichen Sensibilisierung und Corona-Prävention. Elham Ashoor ist ein Bespiel dafür; sie ist Direktorin der Follow-up- und Evaluierungsabteilung des Lokal Development und Small-Projects Support (LDAPS) Büros im Nord und Ost-Aleppo. LDSPS ist eine registrierte, syrische Organisation in der Türkei, sie fördert die nachhaltigen, lokalen Regierungsstrukturen und die lokalen, zivilgesellschaftlichen Initiativen in Syrien. Elham bestätigt, dass viele Frauen sich bei den Präventionsmaßnahmen, die von Gemeinderäten bzw. den zivilen Verwaltungen oder vom syrischen Zivilschutz getroffen wurden, engagieren. Frauen wie Elham wissen, dass es in den zerstörten Krankenhäusern, insbesondere auf den Intensivstationen, nicht genug Beatmungsgeräte gibt, um dem Virus wirksam entgegen treten zu können. Die LDSPS Direktorin erklärt, dass die Aufgabe mit der Pandemie fertig zu werden riesig sei und ohne solidarische Unterstützung nicht umsetzbar wäre. Sie kämpfen darum, ein Bewusstsein für die gesundheitlichen Risiken unter den Bewohner*innen zu erwecken, denn noch immer gehen viele Menschen auf zu vollen Straßen spazieren. Sie geben sich die Hände, ohne die Gefahr der Verbreitung von Covid-19 zu beachten. Elham und ihre Kolleginnen wünschen, dass diese schwierige Zeit zu Ende geht. „Das Leben war vor dieser Krankheit schon nicht einfach, jetzt ist es noch schwieriger geworden, aber wir hoffen, dass wir in der Zukunft wieder unter normalen Bedingungen leben können.“

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