Libanon: Ein täglicher Überlebenskampf

Von Helmut Krieger

VIDC Online Magazin Spotlight

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Autor*in


Helmut Krieger ist Senior Lecturer am Institut für Internationale Entwicklung der Universität Wien sowie Konsulent des VIDC. Aktuell leitet er das Forschungsprojekt KnowWar, eine Kooperation zwischen der Universität Wien, dem Syrian Center for Policy Research, Mousawat, dem Center for Development Studies an der Birzeit University sowie dem Zentrum für Friedensforschung und Friedensbildung an der Universität Klagenfurt.

© Marwan Tahtah/ The Public Source

© Marwan Tahtah/ The Public Source

Ein Jahr nach der verheerenden Explosion im Hafen von Beirut mit mehr als 200 Toten, über 6.000 Verletzten und der Zerstörung von annähernd 30.000 Häusern hat sich die umfassende Krise des Landes weiter in den Alltag der Bevölkerung eingebrannt. Seit der Explosion von August 2020, einer der größten nicht-nuklearen Explosionen aller Zeiten, hat die libanesische Währung an die 90 Prozent ihres Wertes eingebüßt, sodass etwa der Mindestlohn im Land von 675.000 Pfund gegenwärtig nur mehr ungefähr 35 US-Dollar entspricht. Geht man davon aus, dass eine vierköpfige Familie zumindest 150 US-Dollar monatlich benötigt, um grundlegende Bedürfnisse auch nur ansatzweise sicherstellen zu können, lässt sich erahnen, was Hyperinflation und ökonomische Krise im Alltag bedeuten.

Die Katastrophe des Alltags

Wenn die Weltbank davon spricht, dass die ökonomische Krise des Landes eine der schwersten eines Staates in Friedenszeiten weltweit seit 1850 ist, bedeutet das nicht nur, dass mittlerweile mehr als drei Viertel der Bevölkerung im Libanon gezwungen wird in Armut zu leben. Es bedeutet auch eine grundlegende Versorgungskrise mit Gütern und Dienstleistungen des täglichen Bedarfs. Faktisch gibt es – wenn überhaupt noch – nur mehr ein bis zwei Stunden Strom am Tag, selbst dem etablierten System von privaten Stromgeneratoren fehlt mittlerweile der Diesel. Kühlketten können nicht aufrechterhalten werden, Krankenhäuser kämpfen mit permanenten Stromausfällen und Pumpstationen müssen abgeschaltet werden, sodass mittlerweile die Wasserversorgung in vielen Gebieten des Landes zusammengebrochen ist. Überdies bedeutet die umfassende Abhängigkeit des Landes von Importen, dass Medikamente nicht mehr erhältlich sind, Brot für die Mehrheit der Bevölkerung beinahe unerschwinglich geworden ist und der Versorgungsengpass mit Benzin dazu führt, dass sich kilometerlange Staus an den verbliebenen geöffneten Tankstellen bilden. Unter diesen Bedingungen wird der Alltag der Bevölkerung zu einem permanenten Kampf um die wenigen Ressourcen und Grundbedarfsgüter, so sie denn überhaupt noch leistbar sind. Eine derartige Situation führt auch zu verstärkter Emigration. Einerseits sind es hochqualifizierte Arbeitskräfte im Dienstleistungsbereich, Student*innen und Intellektuelle, die einen legalisierten Weg vorwiegend nach Europa in Angriff nehmen, und andererseits verwenden Marginalisierte ihr letztes Geld dafür, dem Land in kleinen Booten in Richtung Zypern zu entfliehen. Ein derartiger Braindrain wird zwangsläufig die Situation im Land durch den Verlust an qualifizierten Arbeitskräften und Wissen weiter verschärfen.