„Die Islamische Republik Iran hat nur noch eine mittelfristige Perspektive“

Shoura Hashemi, Ava Farajpoory und Negar Roubani im Gespräch mit Michael Fanizadeh (VIDC Global Dialogue)

VIDC Online Magazin Spotlight

Dieses Interview wurde in der Spotlight-Ausgabe Oktober 2023 veröffentlicht. Wenn Sie den vierteljährlich erscheinenden Spotlight, Einladungen und Dokumentationen erhalten möchten, klicken Sie bitte hier.

Interviewpartner*innen

Shoura Hashemi ist Juristin und war von 2008 bis 2023 im diplomatischen Dienst des österreichischen Außenministeriums in Wien tätig. Ihre Familie floh 1987 aus dem Iran nach Österreich, wo sie politisches Asyl erhielt. Hashemi hat sechs Jahre im Ausland, an den österreichischen Vertretungen in Brüssel, Genf und Jakarta, verbracht. Ab September 2022 dokumentierte sie die Protestbewegung „Frau, Leben, Freiheit“. Seit August ist sie Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich.

Ava Farajpoory ist in Wien geboren und hat kurdisch-iranische Wurzeln. Sie ist stellvertretende Landesvorsitzende der Jungen Generation in der SPÖ Wien, Sprecherin der iranischen Initiative „Generation Z“ und SPÖ Bezirksrätin in Simmering. Seit ihrem 13. Lebensjahr ist sie politisch aktiv und engagiert sich für Frauen- und Minderheitenrechte, Jugend, Bildung und Integration.

Negar Roubani ist Kulturanthropologin, politische Aktivistin und Vorsitzende der Oriental Queer Organization Austria, die für die Anerkennung der Rechte von Migrant*innen aus der LGBTIQ-Community in Österreich kämpft. Die Geschichte dieser Menschen ist meist geprägt von psychischer wie physischer Gewalt, Folter sowie einem ständigen Verstecken und Verheimlichen der eigenen Identität.

Shoura Hashemi, Ava Farajpoory und Negar Roubani im österreichischen Parlament, © Karo Pernegger

Der Mord an der kurdischen Studentin Jina Mahsa Amini vor einem Jahr hat eine Reihe von Protestaktionen im Iran ausgelöst. Frauen fordern ihre Rechte und demonstrierten mit dem Slogan „Frau, Leben, Freiheit“. Auch die iranische Diaspora in Österreich unterstützt die Aktivitäten der Opposition tatkräftig.

Fanizadeh: Wie habt ihr den Beginn der Iran-Revolution erlebt? Was hat euch dazu bewogen aktiv zu werden?

Farajpoory: Für mich war das Selbstbestimmungsrecht als Frau in Österreich der Ausgangspunkt: Warum darf eine 24jährige Frau im Iran nicht dasselbe tun wie ich? Als die „Generation Z“, zu der ich auch gehöre, dann im Iran auf die Straße ging, um für Selbstbestimmung und Freiheit zu kämpfen, war es für mich selbstverständlich mich anzuschließen, die Leute zu unterstützen und ihnen eine Stimme zu geben. Nicht nur als Wienerin, Iranerin und Kurdin, sondern als Mensch.

Roubani: Ich bin nicht durch die Protestbewegung zur Iranpolitik gekommen, sondern durch die Oriental Queer Organization, die wir vor mittlerweile zehn Jahren gegründet haben, um Menschen zu unterstützen, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung ihr Land verlassen müssen. Letzten September war für mich dann eine unfassbar traurige Zeit, aber ich konnte meine Emotionen in meinem Job sehr gut proaktiv nutzen.

Hashemi: Bei mir hat dieser Iran-fokussierte Menschenrechtsaktivismus erst mit September 2022 begonnen. Ich habe mich zuvor nicht wirklich in der iranischen Community engagiert und habe mich auch gar nicht so sehr als Teil davon gefühlt. Erst letztes Jahr, mit den ersten veröffentlichten Videos aus dem Iran habe ich mit meinen Online-Aktivitäten begonnen, und daraus haben sich dann auch Lobbying-Aktivitäten ergeben.