SPOTLIGHT September 24: Fokus Naher & Mittlerer Osten

Das Online-Magazin Spotlight erscheint vierteljährlich. In der aktuellen September-Ausgabe schauen wir einerseits in die Brennpunktregion Naher & Mittlerer Osten und richten den Blick andererseits auf Österreich.

 

Ein feministischer Blick auf die EU-Außenpolitik am Beispiel Syrien

Barbara Mittelhammer im Gespräch mit Magda Seewald (VIDC Global Dialogue)

VIDC Online Magazin Spotlight

Dieser Artikel wurde in der Spotlight-Ausgabe März 2024 veröffentlicht. Wenn Sie den vierteljährlich erscheinenden Spotlight, Einladungen und Dokumentationen erhalten möchten, klicken Sie bitte hier.

Interviewpartnerin*

Barbara Mittelhammer ist eine unabhängige politische Analystin, Beraterin und Mediatorin. Ihre For-schungsschwerpunkte sind menschliche Sicherheit, Gender in Frieden und Sicherheit, feministische Au-ßenpolitik und die Rolle der Zivilgesellschaft bei der Gestaltung der Außenpolitik. Sie hat über feministi-sche Außenpolitik gegenüber dem Iran und Syrien publiziert und mit Think Tanks, internationalen Organi-sationen, Ministerien, Parlamenten zusammengearbeitet.

 

Demanding freedom of detainees, Azaz © Ali Haj Suleiman

Demanding freedom of detainees, Azaz © Ali Haj Suleiman

VIDC Global Dialogue hatte am 28. November 2023 eine sehr gut besuchte Veranstaltung zu Feministischer Außenpolitik im österreichischen Parlament und plant in Kooperation mit WIDE (Women in Development Europe) mehrere Workshops zu diesem Themenkomplex. Anlässlich der EU-Parlamentswahlen wollte Magda Seewald wissen, was die Lehren aus der Studie “EU Feminist Policy on Syria” sind und wie die EU Einfluss auf Entwicklungen in Syrien nehmen kann bzw. könnte.

Seewald: Sie haben 2021 die EU-Politik gegenüber Syrien analysiert. Die EU hat bislang keine explizite feministische Außenpolitik, auch wenn in der Zwischenzeit das EU-Parlament eine feministische Außenpolitik befürwortet hat. Was war der Grund dafür, dass Sie diese Studie gemacht haben?

Mittelhammer: Das stimmt, aber auch wenn die EU noch weit von einer feministischen Außenpolitik entfernt ist, kann man eine feministische Perspektive auf Außenpolitik auch als Analysebrille einnehmen. Das öffnet dann einen neuen Blick gerade auf scheinbar festgefahrene Probleme. Die menschenrechtliche und humanitäre Katastrophe dauert ja nun bereits 13 Jahre an. Die EU ist dabei die größte Geldgeberin für Syrienhilfen, scheinbar aber ohne maßgeblichen Einfluss auf eine Verbesserung der Situation. Meine Co-Autorin Nora-Elise Beck und ich fanden, das müsste doch auch anders gehen. Frauen und marginalisierte Gruppen sind von Krieg und Konflikt besonders stark betroffen, ihre Bedürfnisse finden aber zu wenig Berücksichtigung in der Politikgestaltung.

Seewald: Was ändert sich in der Wahrnehmung, wenn ein Konflikt aus einer feministischen Perspek-tive betrachtet wird? Was sind wesentliche Punkte, die dabei analysiert werden müssen?

Mittelhammer: Ein feministischer Blick auf Konflikte geht über militärische Strukturen hinaus und sucht nach den strukturellen Ursachen von Unsicherheit. Im Kern geht es dabei um Ungleichheit, aber nicht nur solche zwischen den Geschlechtern. Konkret geht es darum, dass nicht alle den gleichen Zugang zu Macht, Möglichkeiten und Ressourcen haben und sich das auf Frieden und Sicherheit auswirkt. Nicht nur diejenigen, die einen Konflikt verursacht und militärisch ausgefochten haben, sollten über die Lösung von Konflikten verhandeln. Sondern alle diejenigen, die betroffen sind, sollten eingebunden werden. Das entspricht menschenrechtlichen Standards, führt aber auch nachweislich zu langfristigeren und umfassenderen Konfliktlösungen.
Für unsere Analyse haben wir dabei ein Raster von drei Dimensionen zugrunde gelegt: Erstens stellen wir die Frage, von welchem Sicherheitsverständnis wir für die Bearbeitung von Konflikten ausgehen. Bei-spielsweise bedeutet Stabilität für Frauen in Kurdistan etwas anderes als für ein Kind in Damaskus oder eine LGBTIQ+-binnengeflüchtete Person. Zweitens haben wir nach der Perspektive auf Machtdynamiken gefragt, sowohl auf Ebene individueller Akteur*innen vor Ort als auch auf der geopolitischen Ebene. Und drittens beleuchten wir, welchen Akteur*innen Handlungsmacht zugesprochen und eingeräumt wird.

Seewald: Ein Ziel der feministischen Außenpolitik ist es, globale Machtstrukturen zu transformieren hin zu (geschlechter-)gerechteren Verhältnissen. In einer Konfliktsituation wie in Syrien werden die Machtstrukturen in erster Linie von jenen dominiert, die sie mit Waffengewalt durchsetzen wollen – neben den Konfliktgruppen sind auch externe Akteure wie die Türkei, der Iran, die USA usw. invol-viert. Die EU ist kein wichtiger militärischer Player vor Ort, jedoch der größte finanzielle Geber. Hat die EU einen Einfluss auf die Machtstrukturen in Syrien, um mehr (Geschlechter-)gerechtigkeit fordern und fördern zu können?

Mittelhammer: Das ist ein Kritikpunkt, der auch in unseren Gesprächen mit feministischen Aktivist*innen immer wieder vorgebracht wurde. Wenn die EU die syrische Opposition doch stark fördert, warum besteht man dann nicht auf einer Quotierung der Oppositions- oder zivilgesellschaftlichen Delegation im „Constitutional Committee“ oder anderen Formaten? Natürlich muss man auch anerkennen, wie schwierig es für die EU ist in einem Umfeld Einfluss auszuüben, in dem Iran, Israel, Russland, die Türkei, und die USA – um nur einige der dominantesten Player zu nennen – nationale Interessen verfolgen, während die EU in der Handlungsfähigkeit ihrer Außenpolitik auch aufgrund interner Strukturen eingeschränkt ist. Das führt ja nicht nur in diesem Kontext teils zur Blockade.

Seewald: Ein wesentlicher Punkt bei der Umsetzung der Women Peace & Security-Agenda und auch einer feministischen Außenpolitik ist die Partizipation von Frauen und marginalisierten Gruppen. Welche Mechanismen oder Foren hat die EU in Bezug auf Syrien etabliert und wo sehen Sie Verbesserungsbedarf? Wie müssten sich auch EU-interne Strukturen ändern, um hier mehr Partizipation zu ermöglichen?

Mittelhammer: Wir sehen dabei vor allem drei Stellschrauben: Erstens geht es darum, wie die EU Frauen und marginalisierte Akteur*innen bei deren Erarbeitung eigener Konfliktlösungsstrategien unterstützt. Oft geht es dabei beispielsweise auch um finanzielle Förderung, denn von Frauen geleitete oder feministische Organisationen sind strukturell unterfinanziert. Zweitens sollte die EU reflektieren, in welcher Weise die Erfahrung von betroffenen Gruppen und Expertise zivilgesellschaftlicher Akteur*innen Gehör findet. Beispielsweise gibt es auf der EU-Ebene schon seit langem das Format „Day of Dialogue“ parallel zur Konferenz „Supporting the Future of Syria and the Region“. Das ist, im Vergleich zu vielen anderen Länderkontexten, schon ein großer Schritt, denn oft gibt es keine institutionalisierte EU-Plattform, um systematisch zivilgesellschaftlichen Stimmen Raum und Gehör zu verschaffen. Gleichzeitig wäre es auch wichtig, dass zivilgesellschaftliche Akteur*innen ihre eigenen Prioritäten und Bedürfnisse noch stärker proaktiv artikulieren und einbringen können – gerade bei repressiven Kontexten. Dies sollte von der EU gefördert werden.
Und es geht auch darum, Hürden für die Beteiligung abzubauen. Die EU-Strukturen sind meist sehr komplex. In welcher Sprache stehen außerdem Informationen zur Verfügung bzw. in welchen Sprachen kann man eigene Themen einbringen? Besonders marginalisierte Akteur*innen sprechen nicht immer Englisch. Gibt es also Ressourcen für Dolmetscher*innen oder stehen Übersetzungen bereit? Unsere Studie hat beispielsweise immens davon profitiert, dass die Ko-Autorin Nora-Elise Beck fließend Arabisch spricht.
In Bezug auf EU-eigene Strukturen gibt es auch hier großen Nachholbedarf für gleichberechtigte Partizipation – in Brüssel und den EU-Delegationen. Je sicherheitsrelevanter oder prestigeträchtiger Posten sind, desto häufiger sind sie von Männern besetzt.

Seewald: Im Juni wird das neue EU-Parlament gewählt, welche Forderungen oder Empfehlungen haben Sie an die politischen Vertreter*innen im Hinblick auf eine geschlechtergerechte, feministische EU-Außenpolitik?

Mittelhammer: Es gibt viele instrumentelle und strukturelle Hebel, an denen die EU ansetzen könnte, um ihre eigene Politikgestaltung geschlechtergerechter, inklusiver und diverser zu gestalten. Die inhaltlichen Grundlagen dafür sind sogar oft schon gegeben. Der sogenannte Gender Action Plan der EU beinhaltet beispielsweise viele handlungsleitende Vorgaben, über Gender Mainstreaming oder festgelegte Zielgrößen hin zur genderbewussten Vergabe von Fördergeldern. Allerdings besteht eine große Umsetzungslücke, die mit politischem Willen und Engagement vor allem von Führungskräften ausgehend, auch zu beheben wäre. Interne Vorgaben nach Gender Mainstreaming von Programmen und Strategien sollten bereits in Planungs- und Entwicklungsphasen von Programmen aber auch in der Politikentwicklung konsequent berücksichtigt werden. Denn es geht ja nicht darum, einen buchstäblichen Absatz zu Frauenrechten in Texten zu ergänzen. Stattdessen prägen Geschlechterungleichheit jeden Aspekt von Politik und sollten überall konsequent bearbeitet werden.  Um über feministische Politik sprechen zu können, besteht aus meiner Sicht allerdings ein zunehmender Widerspruch zu politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen auf der Ebene der EU und ihrer Mitgliedsstaaten wie die zunehmende Militarisierung, eine nahezu Aufhebung des Rechts auf Asyl, Rückschritte im Schutz oder der Selbstbestimmung weiblicher Körper oder Angriffe auf erreichte Ziele im Bereich von LGBTIQ+ Rechten. Im internationalen Kontext verliert die EU aufgrund ihrer Haltung zum Krieg in Gaza aktuell auch zunehmend Ansehen bei feministischen Partner*innen in der Region, die man just für die Umsetzung der Ansprüche feministischer Außenpolitik benötigen würde (18. März 2024).

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