SPOTLIGHT September 24: Fokus Naher & Mittlerer Osten

Das Online-Magazin Spotlight erscheint vierteljährlich. In der aktuellen September-Ausgabe schauen wir einerseits in die Brennpunktregion Naher & Mittlerer Osten und richten den Blick andererseits auf Österreich.

 

Wie können Menschen- und Frauenrechte gegenüber Regierungen durchgesetzt werden?

Marianne Schulze im Gespräch mit Nadja Schuster (VIDC Global Dialogue)

VIDC Online Magazin Spotlight

Dieser Artikel wurde in der Spotlight-Ausgabe März 2024 veröffentlicht. Wenn Sie den vierteljährlich erscheinenden Spotlight, Einladungen und Dokumentationen erhalten möchten, klicken Sie bitte hier.

Interviewpartnerin

Marianne Schulze, LL.M. ist Juristin mit Schwerpunkt internationales Recht und Menschenrechte. Sie hat eine langjährige Tätigkeit als internationale Menschenrechtsexpertin für UNDP, unicef, UNODC u.a. sowie als Vortragende und Autorin vorzuweisen. Außerdem ist sie Co-Initiatorin des Gründungsvereins Demokratiestiftung Österreich und Vorstandsmitglied der Global Initiative on Psychiatry. Sie verwendet gendergerechte Schreibweise mit Doppelpunkt, da diese auch von Braille-Geräten gelesen werden kann.

Internationales, diverses Panel, © Shutterstock

Anlässlich des internationalen Frauentages und ausgehend von der zunehmenden Bedrohung demokratischer Grundprinzipien bzw. der Krise der Demokratie stellt sich die Frage nach der Bedeutung und Auslegung von Menschen- und Frauenrechten. Nadja Schuster hat mit der internationalen Menschenrechtsexpertin Marianne Schulze darüber gesprochen, wie Menschen- und Frauenrechte gegenüber Regierungen vermittelt und durchgesetzt werden können.

Schuster: Wie vermitteln Sie Regierungschef:innen die Bedeutung von Menschen- und Frauenrechten?

Schulze: Viele Menschen, auch Regierungschef:innen und Politiker:innen, unterstützen Menschenrechte, auch wenn sie oft abstrakt wirken. Eine zentrale Aufgabe für eine Menschenrechtsexpertin ist es daher, die Ziele der Menschenrechte so konkret wie möglich zu machen und eine Verbindung zwischen einer internationalen rechtlichen Vorgabe und einer Alltagssituation herzustellen. Im Kontext von Gesprächen mit Minister:innen oder Parlamentspräsident:innen – die man als internationale Expertin regelmäßig trifft – ist es oft auch notwendig, ein entlegeneres Alltagsproblem zu thematisieren.

Schuster: Welches Thema oder Problem eignet sich dafür?

Schulze: Nehmen wir zum Beispiel „Sicherheit“ – der Begriff ist in den letzten Jahren vor allem als kriminalpolizeiliche Dimension diskutiert worden. Was heißt aber Sicherheit für Frauen? Die überfällige Diskussion, wie man die unerträgliche Zahl an Femiziden verhindern kann, ist da ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Wenn wir über die Prävention von Gewalt an Frauen diskutieren, dann müssen wir jedoch bei einem viel breiteren Sicherheitsbegriff ansetzen: Sicherheit im Sinne von Selbstsicherheit, um ungefährdet für sich selbst zu sprechen; Sicherheit im Sinne von sich zutrauen eine Meinung zu bilden, diese auch äußern zu können und für diese respektiert zu werden; Sicherheit aber auch in ökonomischer Hinsicht: abgesichert und finanziell unabhängig zu sein und damit verbunden auch entsprechende eigene Entscheidungen umsetzen zu können. Klingt alles schön und gut, aber wie sieht das konkret für Frauen aus?
Man muss nicht auf die knapp 10% Bürgermeisterinnen in Österreich verweisen, um zu wissen, dass die – politische – Repräsentation von Frauen zu gering ist oder die Zahl der Aufsichtsrätinnen nach wie vor stark ausgebaut werden muss. Die Schwächung der Selbstrepräsentation von Frauen im Sinne einer Zurückdrängung beginnt im Alltag, in der Rollenverteilung in Familien, bei Rollenbildern in Schulen und am Spielplatz und zieht sich durch Supermärkte, Tonalitäten in Podiumsdiskussionen, Entwertungen in Zeitungskommentaren bis hin zu Bürobesprechungen, in denen Frauen verstummen, weil sie sich nicht ernst genommen fühlen oder ihre Ideen ohne Anerkennung verwendet werden. Die Summe der Teile nagt an der Sicherheit, eine Meinung zu haben und zu vertreten.
Die ökonomische Marginalisierung von Frauen durch finanzielle Abhängigkeit – bis hin zu einer Form von Gewalt – und die Auswirkungen unterschiedlicher Gehälter schränken die Wahlmöglichkeiten ein, und sei es, um externe Kinderbetreuung zu organisieren oder um sich gesellschaftspolitisch zu organisieren. Armut ist, gerade unter älteren Frauen, stark verbreitet und das manifestiert sich nicht plötzlich, weil man „älter“ ist.

Schuster: Einige dieser Probleme sollten ja bekannt sein, gibt es auch welche, bei denen Sie auf besonders viel Widerstand stoßen?

Schulze: Da gibt es leider einige, allen voran die Vorstellungen darüber, was „Barrierefreiheit“ bedeutet. Die unmittelbare Assoziation ist „Aufzug statt Treppe“, das ist ja schon ein Fortschritt. Aber nehmen wir bauliche Barrierefreiheit und den Zugang zu Gynäkologiepraxen: in Wien gibt es allen Fortschritten zum Trotz knapp eine Handvoll Praxen, die physisch barrierefrei sind, im Sinne von: eine Rollstuhl nutzende Frau kann mit einem Hebemechanismus den Gynäkologiestuhl nutzen. Oder wenn wir uns die dramatisch hohe Zahl an Gewalt an Menschen mit Behinderungen und insbesondere Frauen mit Behinderungen anschauen: die Notwendigkeit, dass Polizeiinspektionen barrierefrei sind, ist überlebenswichtig. Und damit meine ich nicht nur die bauliche, also stufenlose Erreichbarkeit, sondern auch die soziale Barrierefreiheit: Menschen mit Behinderungen fühlen sich oft respektlos behandelt und haben den Eindruck, dass sie nicht ernst genommen werden. Multiplizieren Sie die Scham einer Gewalterfahrung mit dem Gefühl, als Frau weniger wert zu sein mit dem Eindruck, dass Sie auf Grund der Beeinträchtigung nicht ernst genommen werden, dann können Sie sich vielleicht ansatzweise in eine Rolli nutzende Frau hineinversetzen.

Schuster: Vielen Dank für das sehr anschauliche Beispiel. Zurück zu den politischen Entscheidungsträger:innen: Welche Argumente verwenden Sie in Gesprächen mit ihnen?

Schulze: Im Gespräch mit Minister:innen und Parlamentspräsident:innen geht es oft um grundlegende, strukturell verstärkte Mechanismen, die Frauen in ihren Möglichkeiten stark einschränken. Diese sind in einer Dimension oft an der Grenze zu (oder eine tatsächliche Verletzung von) internationalen, menschenrechtlichen Verpflichtungen, wie zum Beispiel der Frauenrechtskonvention oder der Istanbul Konvention gegen Gewalt an Frauen, aber es ist auch ein Schaden für die Repräsentation der Gesellschaft als ein oberstes Prinzip von Demokratie, sowie ein volkswirtschaftliches Problem. Der Ausschluss von Menschen, die Entwertung von Frauen, verursacht enorme Kosten. Studien (UN Women, Weltbank) belegen die volkswirtschaftlichen Folgekosten von häuslicher Gewalt für die Behandlung und Reintegration der Opfer, aber natürlich auch die Arbeit mit Gewaltausübenden. Darüber hinaus hat das Potenzial und die Talente von Frauen nicht auszuschöpfen sowohl betriebs- und volkswirtschaftliche als auch soziale und demokratiepolitische Konsequenzen.

Schuster: Welche Druckmittel hat die UNO, um Menschen- und Frauenrechte durchzusetzen?

Schulze: Es ist vor allem politischer Druck, der in den Menschenrechtsmechanismen der Vereinten Nationen erzeugt wird, auch weil den Vereinten Nationen über weite Strecken der entsprechende Status fehlt, gerichtsähnliche Handlungen zu setzen. Die Gremien der Vereinten Nationen haben daher hauptsächlich die Möglichkeit, Empfehlungen auszusprechen. In den Gremien der Vereinten Nationen werden Probleme, gerade auch strukturelle, sichtbar gemacht und das ist bisweilen unangenehm – aber das braucht es, um Veränderungen auf den Weg zu bringen. Das österreichische Gewaltschutzgesetz geht auch auf ein Verfahren im Fachausschuss zur Frauenrechtskonvention in Genf zurück: die Mängel in der Wegweisung von gewalttätigen Männern haben eine Beschwerde im Namen von zwei ermordeten Frauen nach sich gezogen, die die österreichische Regierung 2007 (Goekce v. Austria) auch international unter Druck gebracht hat. Ebenso ist auch das Bewusstsein für die Situation von Intersex-Personen durch ein ähnliches Verfahren in Genf stark encouragiert worden. Die Abschaffung der Bestrafung von Homosexualität (§ 209 StGB), die Reform der Sachwalterschaft, die Abschaffung der Netzbetten – es gibt einige Beispiele für Veränderungen, die durch die Menschenrechtsmechanismen der Vereinten Nationen stark unterstützt wurden. Der Fokus liegt dabei immer auch auf den strukturellen Gegebenheiten und was man tun kann, um weitere Ungleichbehandlungen zu verhindern.

Schuster: Gibt es Länder, in denen es mehr politischen Druck braucht?

Schulze: Ja und nein: zweifelsohne gibt es Konstellationen, in denen die Situation rechtsstaatlich und demokratiepolitisch dramatisch ist und damit die Drucklage eine ganz andere ist. Selbstverständlich gilt es dann, die Rechte dort einzufordern und – auch aus Solidarität – die Rolle als Mitglied der internationalen Gemeinschaft dafür zu nutzen, andere an ihre menschenrechtlichen Verpflichtungen, gerade zur Sicherung von Frauenrechten, zu erinnern. Man sollte jedoch insgesamt vorsichtig(er) sein, wenn man die Notwendigkeit für – vor allem strukturelle – Veränderungen ausschließlich in anderen Ländern verortet (11. März 2024).

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