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Männlichkeit im Fokus: Gemeinsam gegen Gewalt

Wie es praktisch gelingt

Program

Einführung

Magda Seewald

VIDC Global Dialogue

Podium

Ali Ahmad

TANDEM Projekt, VIDC Global Dialogue

Philipp Leeb

Dachverband für Burschen-, Männer- und Väterarbeit in Österreich

Nadja Schuster

VIDC Global Dialogue

Claudia Prudic

Verein wendepunkt

Moderation

Eva-Maria Burger

Leiterin der Abteilung Frauen und Familie, AK

Kooperationen und Förderungen

Am 30. Jänner 2024 widmeten sich Vertreter*innen des VIDC, des Vereins Neuer Start, des Dachverbands für Burschen*-, Männer* und Väterarbeit in Österreich, des Vereins wendepunkt sowie der Arbeiterkammer dem Thema toxischer Männlichkeiten bzw. Männergewalt. Der Schwerpunkt lag dabei auf der Frage, wie es gelingt, Opferschutz, Kinderschutz, Gendersensibilisierung und Gewaltprävention in der Praxis umzusetzen und so der Gewalt langfristig strukturell entgegenzutreten.

In den einleitenden Worten wies Magda Seewald (VIDC Global Dialogue, Projektleiterin des Projekts Tandem) darauf hin, dass die Problematik von Männergewalt eine sei, die sämtliche Communities und gesellschaftlichen Schichten betrifft und die tief strukturell verankert ist. Es müssen Männlichkeitsbilder gefördert werden, „die von Respekt, Empathie und Geschlechtergerechtigkeit geprägt sind“.

Am Podium diskutierten vier Expert*innen unter der Moderation von Eva-Maria Burger (Leiterin der Abteilung Frauen und Familie, Arbeiterkammer), wie der Weg hin zu diesen neuen Männlichkeiten geebnet werden kann.

Seewald betonte am Ende ihrer Einleitung, „dass nicht alle Männer* Täter sind und auch sehr wohl Männer* Opfer von Gewalt sein können.“ Um Gewaltprävention geht es im Gender-TANDEM-Projekt, das das VIDC in Kooperation mit Philipp Leeb vom Verein poika und den afghanischen Vereinen Neuer Start, Kulturverein AKIS, Verein Afghanische Jugend Österreich sowie dem Verein Solidarität mit afghanischen Flüchtlingen durchführt. Im Rahmen von Gender-TANDEM-Trainings wird Gewaltprävention durch Bewusstseinsarbeit für afghanische Burschen* und Männer* und parallel dazu Empowerment für afghanische Frauen* angeboten.

Arbeit mit afghanischen Geflüchteten: Interkulturell und intersektional

William Zahedi (Verein Neuer Start) ist selbst aus Afghanistan geflüchtet und mittlerweile Trainer im TANDEM-Programm. Wie er seien die afghanischen Teilnehmer*innen des Programms allesamt geprägt von dem jahrzehntelangen Krieg in ihrer Heimat. Während Frauen unter der Taliban-Herrschaft in unvergleichbarer Weise gewaltsam vom öffentlichen Leben ausgeschlossen werden, werden gleichzeitig auch die Männer* durch das Regime von ihren Familien getrennt, wodurch ihnen das tatsächliche Beziehungsleben verwehrt wird. Zudem, so betonte es Zahedi, gäbe es auch Tabus für Männer*, insbesondere Homosexualität.

Im TANDEM-Programm, in dem Frauen* und Männer* getrennt voneinander Trainings erhalten, würden aber nicht nur sichere Räume geschaffen, in denen über Ängste, Sorgen und Tabus, wie Sexualität, offen gesprochen werden kann, sondern auch das Bewusstsein für Geschlechter(un)gerechtigkeit und -hierarchien sowie für Selbstfürsorge erweitert wird. Zudem wird von Beratungsstellen Wissen vermittelt, etwa zum Thema Existenzsicherung.

„Ein geflüchteter Mann* kann von der patriarchialen Dividende (Raewn Connell), sprich den Privilegien eines Mannes* aufgrund patriarchaler Strukturen, in seiner Familie und seiner Community profitieren und gleichzeitig Rassismuserfahrungen im öffentlichen Raum und im Arbeitsumfeld machen! Oder es wird ihm sogar der Zugang zu Bildung und Arbeit verwehrt und somit seine Inklusion unmöglich gemacht. Hier handelt es sich um eine Gleichzeitigkeit von Privilegierung und Marginalisierung. Daher ist es wichtig, auch die Vulnerabilitäten von Männern* anzuerkennen und zu thematisieren“, erläuterte Nadja Schuster (VIDC Global Dialogue).
Der wichtigste Erfolgsfaktor der Trainings ist das TANDEM-Konzept: Die Worskhops werden von einem interkulturellen Trainer*innen-Tandem, bestehend aus einer Trainerin*/einem Trainer* aus der migrantischen Community und einer/einem aus der Mehrheitsgesesellschaft, durchgeführt, wodurch nicht nur den Zugang zur Gruppe erleichtert sondern auch eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe bzw. Inklusion vorgelebt wird, so Schuster. Zwei weitere wichtige Erfolgsfaktoren sind die Kooperationen mit den migrantischen Vereinen und mit den Beratungseinrichtungen.
Männer*- und Burschen*arbeit: Safe Spaces für Selbstreflexion und Psychoedukation

Männer*- und Burschen*arbeit: Safe Spaces für Selbstreflexion und Psychoedukation

Philipp Leeb (Gründer und Leiter von poika, dem Verein zur Förderung von gendersensibler Bubenarbeit in Erziehung und Unterricht), berichtete, dass er in den letzten vierzig Jahren in der Männer*arbeit einen Paradigmenwechseln erlebt hat. Ob in der Täterarbeit oder den jüngeren Bereichen der Väter- und Burschen*arbeit, allgemein gehe es in allen Bereichen letztlich um Beziehungsarbeit, Psychoedukation, Selbstreflexion, aber auch um Selbstvergebung. Dafür brauche es Gespräche und Geduld, aber auch Wissen darüber, wie es Frauen* und Mädchen* bzw. Kindern gehe, wenn diese Opfer männlicher Gewalt werden. Insofern betonte auch Leeb den notwendigen Austausch von Männer*beratungsstellen mit Frauen*beratungsstellen und Opferschutzeinrichtungen sowie mit Kinder- und Jugendeinrichtungen.
In der Arbeit mit Männern* und Burschen* würden geschützte Männer*gruppen für Gespräche als sehr positiv bewertet werden, so Leeb. In „Safe Spaces“ könnten Zumutungen, die mit dem Mann*-/Bursch*-Sein einhergehen (z. B. die ungeschulte Konfrontation mit Pornographie), adressiert und Bedürfnisse identifiziert werden. Die Sozialisation zur „toxic masculinity“ müsse bereits in den Schulen stärker präventiv bekämpft werden, da sich diese aktuell schon im jungen Alter – mitunter in Form von sexuellen Übergriffen – manifestiere. Es müsse gemeinsam mit Burschen* und Männern* ein Wandel zur „caring masculinity“ forciert werden.

Opferschutz: So viele Angebote wie möglich an einer Stelle

Claudia Prudic, die im Verein wendepunkt, einer Opferschutzeinrichtung mit Frauenberatung und zusätzlichen Bildungs- und Therapieangeboten, tätig ist, bestätigte, dass Beziehungsarbeit – auch zwischen Expert*innen und Betroffenen – essenziell sei. Damit Vertrauen aufgebaut werden könne, sei es wichtig, dass Gewaltopfer nicht von einer Stelle zur nächsten geschickt würden, sondern niederschwellig erste Hilfe bekämen und möglichst wenige Orte aufsuchen müssen, um ihren Bedürfnissen nachzukommen. Im Idealfall gebe es Anlaufstellen für Beratungsgespräche, Frauenhaus- und/oder Therapieplätze an einem Ort.
Neben Psychohygiene und dem physischen Schutz durch Frauenhausplätze seien auch Finanzbildungsangebote wichtiger Bestandteil des Opferschutzes. Denn, so Prudic; „Ökonomische Abhängigkeit ist ein Nährboden für jede Art von Gewalt. Es ist ein Weg mehr, um aus einer Gewaltbeziehung wieder herauszukommen – wenn auch nicht die alleinige Lösung.“

Forderungen

Basierend auf ihren Praxiserfahrungen und ihrer Expertise, stellten die Podiumsteilnehmer*innen schließlich folgende Forderungen an die Politik und die Wirtschaft:

  • Altersgerechte sexuelle Bildung und Bildung zu Geschlechtergerechtigkeit in den Kindergärten (ab 4 Jahren) und Schulen mittels externer, geschulter Sexualpädagog*innen und Genderexpert*innen, die – anders als das Lehrpersonal – keine Autoritätspersonen darstellen. Bildung zu Geschlechtergerechtigkeit und sexueller Entwicklung fördert wichtige Schlüsselkompetenzen für ein selbstbestimmtes Leben, erhöht die Entwicklungschancen und wirkt gewaltpräventiv!
  • Politische und wirtschaftliche Förderung von fürsorglicher Männlichkeit: Männer* sollten gleichberechtigt in die Versorgungsarbeit involviert sein. Dies reduziere nachweislich Gewalt und verbessere auch die Gesundheit (z. B. 50 % weniger Depression) und Lebensqualität der Männer* (Holter, 2014). Väterkarenz sollte in Österreich gezielt gefördert werden wie z.B. in Schweden, wo 3 von 12 Karenzmonaten für Väter reserviert sind. Weiters: Gender Pay Gap schließen, da es ein Hindernis in Bezug auf die Väterkarenz darstellt. „Caring masculinity“ heißt aber auch Männer* in Pflegeberufe, in die Kindergärten und an Schulen zu holen mit gezielten politischen Maßnahmen.
  • Förderpolitik ändern: Innerhalb eines Jahres mussten in Schweden alle vom Staat geförderten Stellen – sprich Polizei, Parteien, Gewerkschaften, Fußball- und Kulturvereine – nachweisen, dass sie sich in selbstorganisierten Seminaren und Workshops mit Männlichkeit auseinandergesetzt haben.
  • Istanbul-Konvention umsetzen!
  • Schwerpunkt in der sozialen Arbeit zur psychischen Gesundheit von Burschen: Selbstverletzungsrate sowie Optimierungszwang sind aktuell ein wachsendes Problem. Auch männliche Vulnerabilitäten müssen sichtbar gemacht werden und brauchen eigene Räume.
  • Männer*-/Burschen*arbeit und Frauen*-/Mädchen*arbeit nicht gegeneinander ausspielen: Es braucht eigene öffentliche Gelder für Buben*-/Männer*arbeit, die nicht zu Lasten der Mädchen*-/Frauen*organisationen gehen dürfen und es braucht eine Erhöhung der bestehenden Gelder. Dies erschwere die notwendige systemische Kooperation der unterschiedlichen Anlaufstellen.
  • Bei jedem Femizid in Österreich sollte es eine ZIB Sondersendung geben mit dem Bundeskanzler und der Frauenministerin. Hinsichtlich dieser Forderung wurde von Prudic die provokante Frage gestellt: Welche Maßnahmen würden gesetzt werden, wenn jährlich 27 Polizist*innen ermordet werden würden? Es würde sofort eine Sonderermittlungskommission im Innenministerium eingerichtet werden.
  • Bezüglich der Verbreitung positiver Männlichkeitsbilder braucht es Vorbilder in der Politik und in der Wirtschaft. Schuster: Warum haben männliche Politiker in Österreich ein Problem sich als Feminist zu bezeichnen? Sie könnten sich ein Beispiel an Justin Trudeau nehmen, der wiederholt in der Öffentlichkeit seine feministische Positionierung kundtat.
  • Verpflichtende Sprachkenntnisse vor Einreise abschaffen: Aktuell müssen Afghaninnen* Deutsch-Kenntnisse auf A1-Niveau nachweisen, wenn sie einen Antrag auf Familienzusammenführung in Österreich stellen wollen. Da Frauen in Afghanistan aber weitgehend von Bildung ausgeschlossen werden, ist es für sie fast unmöglich, dieses Level zu erreichen.