(Text only in German available, the study is in English). Am 16. November 2021 wurde die neue VIDC Studie „Transnational African Diaspora Engagement in Austria“ von Maida Schuller, Sina Aping und Gudrun Klein präsentiert und mit Expert*innen diskutiert. Moderiert wurde die Veranstaltung, an der rund 60 Personen teilnahmen, von Téclaire Ngo Tam. Die Diskussion ist auf dem VIDC facebook bzw. VIDC youtube Kanal nachzusehen.
Franz Schmidjell eröffnete die Veranstaltung und verwies auf den VIDC Schwerpunkt zu Diaspora-Engagement und das Ziel der Studie, die Arbeit der afrikanischen Diaspora und Schwarzer Menschen in Österreich sichtbarer zu machen.
Vor allem gehe es um eine entsprechende Wertschätzung der zeit- und wissensintensiven Arbeit dieser Vereine, und zwar nicht nur auf symbolischer Ebene, sondern auch auf finanzieller, so die Mitverfasserin der Studie, Maida Schuller. Bei ihrer Untersuchung wurden die Verfasserinnen von folgender Forschungsfrage geleitet: „Wie setzen sich die Afrikanische Diaspora bzw. Schwarze Communities in Österreich zusammen und welche Arbeit leisten sie in den Bereichen transnationale Kooperation und Bewusstseinsbildung/Bildungsarbeit?“
Maida Schuller erläuterte Methodologie und Ablauf des Forschungsprozesses. Die ersten Recherchen ergaben 69 relevante Organisationen und Initiativen in Österreich, wobei diese Liste längst nicht vollständig sei. Schlussendlich wurden von 18 Vereinen und Initiativen auf Interviews und Fragebögen gestützte Porträts erstellt. 13 Vereine arbeiten auch auf dem afrikanischen Kontinent, während fünf ihren Schwerpunkt ausschließlich in Österreich bzw. Europa haben.
Diversität, Netzwerke und bürokratische Hürden
In den offiziellen Statistiken werden nicht alle Menschen, die sich in Österreich der afrikanischen Diaspora zugehörig fühlen, abgebildet. Beispielsweise wird die hier geborene zweite Generation mit österreichischer Staatsbürgerschaft in diesen Statistiken unsichtbar gemacht, so Gudrun Klein, ebenfalls Mitautorin der Studie. Um die Realität besser abzubilden, wurde eine eigene Schätzung vorgenommen, der zufolge rund 66.000 Menschen in Österreich zur afrikanischen Diaspora zählen.
In der Studie konnte nur ein Teil der Organisationen und Vereine der afrikanischen Diaspora in Österreich dargestellt werden, betonte Gudrun Klein. Innerhalb der 18 Vereine finden sich Projekte, die unter anderem in Burkina Faso, Ghana, Côte d'Ivoire, Sudan, Somalia, Kamerun, Senegal und Nigeria durchgeführt werden. Die Vermutung liege nahe, dass es noch eine Vielzahl weiterer Projekte in anderen Ländern und Regionen gibt, die in der Studie nicht erfasst werden konnten. Es gebe außerdem eine Zunahme an Initiativen und Vereinen, die gesellschaftspolitische, Rassismus kritische und feministische Arbeit in Österreich leisten. Darunter seien wiederum die meisten sehr gut miteinander vernetzt. Diese Verbindungen gehen allerdings über die afrikanische Diaspora-Community hinaus und erreichen auch andere migrantische Organisationen.Viele der vorgestellten Initiativen haben laut den Autor*innen große Probleme mit der österreichischen Bürokratie. Gründe dafür könnten sprachliche Barrieren, administrative Barrieren oder rassistische Stereotypisierungen sein.
Die Arbeit der Initiativen werde zu einem großen Teil unentgeltlich verrichtet. So würden sich acht der 18 Organisationen vollständig selbst finanzieren. Private Spenden und Unterstützungen von kirchlichen Organisationen und manchmal auch Förderungen von Gemeinden oder Landesregierungen spielen bei der Finanzierung eine wichtige Rolle. Doch so gut wie keiner der Vereine erhalte regelmäßig Fördergelder aus öffentlicher Hand. Allein schon die aufwendigen Antragstellungen auf Bundes- oder EU-Ebene (Austrian Development Agency, Ministerien, EU Kommission) seien eine große Hürde.
Gender, Black Lives Matter und Covid-19
Schwarze Frauen (Anm.: der Begriff „Black“ oder „Schwarz“ wurde in der Studie als politische Kategorie verwendet) engagieren sich seit Jahrzehnten in verschiedenen Organisationen. Interessant sei die Erkenntnis, dass Frauen oftmals selbst Organisationen gründen, deren Zielgruppe häufig Frauen oder junge Mädchen sind, so Maida Schuller. Dabei komme es zu einer beträchtlichen Arbeitsbelastung: Haben Frauen Führungspositionen inne, übernehmen sie weiterhin bzw. zusätzlich administrative Tätigkeiten. Das stehe im Gegensatz zu Männern in Führungsrollen, die eher größere Organisationen leiten würden und dementsprechend administrative Arbeit outsourcen können. Intersektionalität wurde bei den Interviews selten explizit genannt, doch würde diese implizit verfolgt werden. Bei transnationalen Projekten würden oft Frauen in ländlichen Regionen unterstützt, die aufgrund ihres Geschlechtes, der ethnischen Zugehörigkeit oder der sozialen Klasse stärker marginalisiert werden.
Die Covid-19 Pandemie ließ den politischen Aktivismus nicht unberührt und wirkte sich auch auf die Black Lives Matter Bewegung aus. „Community activities“ mussten abgesagt werden, Netzwerktreffen wurden schwieriger, geplante Reisen wurden abgesagt. Doch habe es auch positive Entwicklungen gegeben: Einige Organisationen wurden neu gegründet, Online-Tools stärker genutzt und die länderübergreifende Arbeit intensiviert. Auch kam es im Zusammenhang mit der Black Lives Matter Bewegung zu mehr Sichtbarkeit der Arbeit von Schwarzen Menschen in Österreich. Maida Schuller fasst optimistisch zusammen und erklärt, wie die positiven Entwicklungen trotz Pandemie zum Ausgangspunkt für neue Initiativen wurden.
Empfehlungen und Diskussion
Die Studienverfasserinnen empfehlen eine stärkere Forcierung von Geschlechtergerechtigkeit in den Vereinen. Die Arbeit Schwarzer Menschen muss unbedingt sichtbarer gemacht und monetär abgegolten werden. Finanzierungen sollten in Zukunft objektiver und transparenter abgewickelt werden. Bei negativen Bescheiden sei eine konkrete schriftliche Begründung zu liefern. Außerdem solle die Finanzierung von den Projektinhalten abhängig sein und nicht etwa von persönlichen Kontakten. Größere etablierte und weiße Institutionen sollten kleinere Initiativen bei bürokratischen Angelegenheiten unterstützen. Entwicklungspolitischen Organisationen wird eine ernst gemeinte Diversität nahegelegt, die über reine Symbolpolitik hinausgehen müsse. Bei Projekten am afrikanischen Kontinent sollten Expert*innen aus der afrikanischen Diaspora schon in der Planungsphase eingebunden werden.
Emmanuel Kamdem, Leiter des interkulturellen Vereins Chiala in Graz, sieht Potenzial in der Studie, für mehr Sichtbarkeit zu sorgen, auch auf wissenschaftlicher Ebene. Sie knüpfe an Ergebnisse langjähriger Arbeit an und solle auch Anstöße geben, dieses Thema weiter zu bearbeiten. Helene Unterguggenberger, Bereichsleiterin für Entwicklungszusammenarbeit der Caritas, öffnete Perspektiven für thematische Kooperationen mit entwicklungspolitischen und humanitären Organisationen. Außerdem ermutigte sie Diaspora-Vereine, sich bei Interessenvertretungen wie der AG Globale Verantwortung zu beteiligen.
Im Austausch mit dem Publikum wurden Fragen rund um die Definition des Begriffes ‚afrikanische Community‘ bzw. Diaspora diskutiert. Afrikanische Diaspora würde synonym zu Black Community verstanden und vor allem als politische selbstermächtigende Bezeichnung verwendet werden; für eine Community, die gemeinsame Herausforderungen und Errungenschaften teilt, so die beiden Studienautorinnen. Weiters war die Ausgestaltung der Projekte auf dem afrikanischen Kontinent von Interesse für das Publikum. Die untersuchten Vereine würden einerseits Netzwerk- und Bildungsarbeit in Österreich forcieren, andererseits sowohl humanitäre als auch strukturell nachhaltige Projekte mit klarem politischen Anspruch umsetzen, so Maida Schuller. Als Beispiel dafür wurde ein Frauennetzwerk für den Frieden am Horn von Afrika vorgestellt.
Im Verlauf der Debatte wurde mehrmals auf das strukturelle Problem der Ignoranz der Expertise sowie der Abwertung des Wissens und der Kompetenzen afrikanischer Diaspora-Vereine hingewiesen. Die mangelnde Bereitschaft österreichischer Akteur*innen - ob in Wirtschaft, Entwicklungszusammenarbeit oder Politik - das Potential der hochgebildeten und gut vernetzten Schwarzen Expert*innen und ihr Know-How über Entwicklungen auf dem afrikanischen Kontinent auszuschöpfen, stieß auf großes Unverständnis sowohl im Publikum als auch am Podium.
Den Abschluss bildete eine online Rap Performance von Jahson the Scientist, der sich mit inspiriertem Wortspiel und doppeldeutigen Metaphern mit Rassismus, kolonialem Denken und Diaspora Identitäten auseinandersetzt