(This text is only available in German.)
Die Coronakrise stellt die internationale Gemeinschaft vor ungeahnte Herausforderungen. Die Pandemie hat sämtliche Länder und Regionen hart getroffen, doch die Entwicklungsländer leiden besonders stark unter ihren wirtschaftlichen und sozialen Folgen. Jenen fehlen die fiskal- und geldpolitischen Spielräume zur Bewältigung der Krise. Das macht eine wirksame Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft umso wichtiger. Doch die Ergebnisse sind bislang gemischt.
Globale Rezession verschärft die Armut
Nach den Prognosen des IWF vom Juni 2020 (IMF 2020) wird die globale Coronakrise die wohl größte Rezession aller Zeiten auslösen. Die Weltwirtschaft insgesamt wird um 4,9% schrumpfen. Lateinamerika ist die am Schwersten betroffene Region des globalen Südens, mit einem Wirtschaftseinbruch von gewaltigen minus 9,4%. Im Vergleich sollen die Länder mit dem niedrigsten Einkommen mit minus 1,0% zwar noch glimpflich davonkommen. Doch sollten die am wenigsten entwickelten Länder gemäß den globalen Nachhaltigkeitszielen (SDGs) 7% jährlich wachsen - eine zentrale Voraussetzung für den Fortschritt in fast allen anderen Zielen.
Bereits vor dieser Krise war die Verwirklichung der SDGs nicht im Zeitplan, weshalb die UN das Jahr 2020 zum Startjahr der Aktionsdekade erklärten, die der SDG-Verwirklichung einen neuen Schub geben sollte. Stattdessen wird laut einer Studie der UN University (UNU-WIDER 2020) in 2020 die Anzahl der Menschen, die in absoluter Armut leben, das erste Mal seit 1990 wieder ansteigen. Im schlimmsten Szenario könnte eine halbe Milliarde Menschen in die Armut zurückfallen, womit die Fortschritte eines ganzen Jahrzehntes zunichte gemacht würden.
Besonders hart betroffen sind Menschen mit prekären Beschäftigungsverhältnissen in den von informeller Ökonomie geprägten Ländern des globalen Südens. Nach Angaben der Internationalen Arbeitsorganisation ILO (ILO 2020) sind 1,6 Milliarden informell Beschäftigte betroffen, ihr Einkommen fiel bereits im ersten Monat der Krise um 60%. Sie sind dem Trudeln der Wirtschaft ohne jeglichen Sozialschutz ausgesetzt. Die ILO warnt, dass auch heute noch drei Viertel der Bevölkerung außerhalb eines effektiven sozialen Sicherungsnetzes leben und arbeiten müssen. Bilder von Wanderarbeiter*innen in Indien, die nach Beginn der Lockdowns verzweifelt versuchten, in ihre Dörfer zurückzukehren, gingen um die Welt.
Zusammenbruch der Entwicklungsfinanzierung
Regierungen im Norden konnten kreditfinanzierte Konjunkturpakete auflegen. Entwicklungsländer fehlt es natürlich an fiskalischem Spielraum, um der Krise entgegen zu wirken. Zentralbanken in den USA und Europa haben die geldpolitische „Bazooka“ ausgepackt und mit bislang beispiellosen Maßnahmen interveniert. Solche Instrumente sind in Weichwährungsländern des globalen Südens von begrenzter Wirkung, da eine expansive Geldpolitik dort schnell Währungsabwertungen und Kapitalflucht hervorrufen kann. Die Abhängigkeit von externer Finanzierung ist selbst in normalen Zeiten groß, in der Coronakrise noch größer.
Da kommt es umso unpassender, dass es seit Beginn der Krise einen bislang nie da gewesenen simultanen Zusammenbruch aller Säulen der Entwicklungsfinanzierung gegeben hat: Auch in Entwicklungsländern gehen Steuereinnahmen durch die Lockdowns stark zurück, die Mobilisierung einheimischer Ressourcen wird zunehmend schwierig. Im ersten Monat der Krise wurden von privaten Investor*innen gut 100 Milliarden USD aus Entwicklungsländern abgezogen und in vermeintlich sichere Häfen transferiert. Damit war die Kapitalflucht größer und schneller als während der letzten Finanzkrise von 2008-09.
Die Heimüberweisungen von Arbeitsmigrant*innen, eine externe Finanzquelle, die mittlerweile quantitativ bedeutender ist als die öffentliche Entwicklungshilfe (ODA), werden nach Schätzungen der Weltbank dieses Jahr um 20% sinken. Der Verfall der Rohstoffpreise – der Ölpreis fiel zeitweilig sogar ins Negative - trifft Entwicklungsländer hart, da Primärgüter weiterhin ihre Hauptexportgüter sind. Doch auch Exportländer verarbeiteter Produkte waren vom Zusammenbruch von Lieferketten und des Konsums im globalen Norden betroffen, zum Beispiel das von der Textilindustrie abhängige Bangladesch. In diesem Szenario kommt der ODA als relativ stabiler Finanzquelle eine bedeutende Rolle zu.
Die Reaktion der internationalen Gemeinschaft
Wohlhabende Länder haben auf nationaler Ebene schnell und massiv mit antizyklischen Maßnehmen, schuldenfinanzierten Konjunkturpaketen und außergewöhnlichen Beihilfen für Unternehmen und Beschäftigte auf die Krise reagiert – was von den meisten Kommentaren inklusive des ansonsten so auf Austeritätspolitik bedachten Internationalen Währungsfonds (IWF) wohlwollend aufgenommen wird. Im Vergleich dazu waren grenzüberschreitende Maßnahmen jedoch begrenzt und unzureichend.
Die UN tun sich mangels Ressourcen schwer, angemessen auf die Krise zu reagieren. Die Weltgesundheitsorganisation WHO ist chronisch unterfinanziert. Eine Situation, die vom Austritt der USA – ihrem einstmals größten Beitragszahler - noch verschlimmert wird. Mitte April 2020 hat die WHO den Covid-19 Member-State Pooled Fund aufgelegt. Bis Ende Juni wurden allerdings weniger als die Hälfte der moderat budgetierten 1,7 Milliarden Dollar von den Mitgliedsstaaten eingezahlt. Beinahe als Akt der Verzweiflung für eine internationale Organisation scheint daher, dass die WHO mit dem Covid 19 Solidarity Fund jetzt auch von Privatpersonen und Unternehmen Spenden einsammelt.
Bleiben die Entwicklungsbanken (MDBs), allen voran die Weltbank. Jene hatte bereits früh ein Sofortpaket in Höhen von 14 Milliarden USD verkündet, neue Projekte wurden seither im Fast-Track-Verfahren bewilligt. Mittlerweile summieren sich die Ankündigungen der MDBs insgesamt auf einen dreistelligen Milliardenbetrag. Allerdings findet sich wenig frisches Geld darunter. Es sind überwiegend umgeschichtete Gelder, die an anderer Stelle fehlen werden. Weiteres Problem ist, dass der Großteil der Unterstützung in Form von Krediten vergeben wird. Dabei hatte die Verschuldung der Entwicklungsländer bereits vor der Krise Rekordhöhen erreicht, und knapp die Hälfte der Niedrigeinkommensländer (LICs) wurde vom IWF mit einem hohen Schuldenrisiko eingestuft.
Schuldenerlasse hätten in Entwicklungsländern nötige Ressourcen zur Bekämpfung der Coronakrise freigesetzt. Tatsächlich hat vor allem die UNCTAD vehement Schuldenerlasse im Volumen von einer Billion USD gefordert. Doch lediglich der IWF hat einen Erlass von IWF-Krediten in Höhe des eher symbolischen Betrags von maximal einer halben Milliarde USD angekündigt, der zudem noch aus Entwicklungshilfegeldern gegenfinanziert wird, also keinen Nettogewinn für Entwicklungsländer darstellt. Die G20 haben im April die Debt Service Suspension Initiative aufgelegt, die es LICs auf Antrag erlaubt, für den Rest des Jahres den Schuldendienst auf ihre bilateralen Schulden auszusetzen. Diese Initiative ist kein Erlass sondern lediglich ein Moratorium, denn die eingesparten Raten von maximal 14 Milliarden USD müssen in den Folgejahren nachgezahlt werden.
Es braucht mehr Unterstützung
Um tatsächlich wirken zu können, müssten Schulden erlassen werden. Initiativen sollten auf den gesamten Schuldenbestand armer Länder ausgeweitet werden, also auch auf multilaterale und besonders auf die teuren, weil hoch verzinsten, Kredite bei privaten Gläubigern.
Dazu müssten echte Finanztransfers kommen: Die UN hatten einen „Marschallplan für den Gesundheitssektor“ in Höhe von 500 Milliarden USD gefordert, finanziert aus ODA-Geldern. Diese würden schnell zusammenkommen, wenn alle Geber zumindest das 0,7%-Ziel erreichen würden. NGOs haben daher reiche Länder aufgefordert, bei all ihren Konjunkturpaketen immer auch eine Finanzkomponente für die Unterstützung ärmerer Drittländer mit zu budgetieren. Deutschland ist dabei mit zusätzlichen 3 Milliarden Euro zusätzlicher ODA mit gutem Beispiel voran gegangen.
Eine starke, solidarische und koordinierte Reaktion der internationalen Gemeinschaft ist in dieser Phase unerlässlich. Kurzfristig ganz konkret um Leben zu retten, und mittelfristig, damit die Agenda 2030, um die es ohnehin nicht gut bestellt ist, nicht auf dem Altar der Coronakrisenbekämpfung geopfert wird.