Neue Männer braucht das Land! Femizide an den Wurzeln bekämpfen!

Interview mit Erich Lehner geführt von Nadja Schuster (VIDC Global Dialogue)

VIDC Online Magazin Spotlight

Dieser Artikel wurde im VIDC Online Magazin Spotlight Juli 2021 veröffentlicht. Wenn Sie das vierteljährlich erscheinende Online-Magazin, Einladungen und Dokumentationen erhalten möchten, klicken Sie bitte hier.

VIDC Aktivitäten


VIDC Global Dialogue hat 2016 - 2018 Gender Tandem Workshops für afghanische Männer durchgeführt, und ein Handbuch dazu publiziert: Vermittlung interkultureller Genderkompetenz im Fluchtkontext. Erfahrungen aus der Arbeit mit geflüchteten Burschen und Männern aus Afghanistan in Österreich. Shokat Walizadeh, Paul Scheibelhofer, Philipp Leeb, VIDC (Hg.), 2019.

Warum Feminismus gut für Männer ist, Buchpräsentation, 13. Jänner 2020

Männer als Verbündete im Kampf gegen Gewalt in Ex-Jugoslawien, 31. Jänner 2013

Militarisierte Männlichkeit, Studienpräsentation, 31. Jänner 2012

Weiterführende Links und Literatur


Dachverband für Männer-, Burschen- und Väterarbeit in Österreich (DMÖ)

StoP Wien-Margareten

Bergmann, Nadja; Scambor, Christian, Scambor, Elli (2014) Bewegung im Geschlechterverhältnis? Zur Rolle der Männer in Österreich im europäischen Vergleich, Wien.

Øystein Gullvag Holter (2014) „What’s in it for Men?“ Old Question, New Data, in: Men and Masculinities 17, 5, 515–548

Lehner Erich (2021) Männer als Täter? Über den Zusammenhang von Männlichkeit und Gewalt. In: Prüller-Jagenteufel Gunter/Treitler Wolfgang (Hg.): Verbrechen und Verantwortung. Sexueller Missbrauch von Minderjährigen in kirchlichen Einrichtungen, Freiburg im Breisgau, 92-104.

"Unter Generalverdacht - Afghanische Männer und die Tücken der Statistik", Michael Fanizadeh, Lena Gruber, Rick Reuther (VIDC Global Dialogue), Spotlight, Juli 2019.

Autor


Erich Lehner ist Obmann des Dachverbandes für Männer-, Burschen- und Väterarbeit in Österreich (DMÖ). Er lehrt und forscht in Männlichkeits- und Geschlechterforschung sowie in Palliative Care. Lehner ist außerdem Psychoanalytiker in freier Praxis.

© karimblanc.com

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Angesichts der Tatsache, dass Österreich EU-weit die höchste Anzahl an Femiziden aufweist, drängt sich die Frage auf, ob Femizid ein spezifisch österreichisches Problem ist?

Nein, Femizide sind trotz der Zahlen kein spezifisch österreichisches Problem. Sie werden leider in allen Staaten dieser Welt begangen. Femizide stehen im Zusammenhang mit einem bestimmten traditionellen Männerbild, das allerdings in Österreich besonders stark verwurzelt ist. Dieses Männerbild ist geprägt von Stärke, Dominanz, Konkurrenz und Hierarchie. Es ist gesellschaftlich entstanden – in der Wissenschaft sagt man sozial konstruiert – und bildet ein Orientierungsmuster für alle Buben, Burschen und Männer in den Gesellschaften. Es bildet auch ein Orientierungsmuster für alle, die Männer bewerten oder Erwartungen an sie stellen. Das heißt nun nicht, dass jedes männliche Wesen in dieser Gesellschaft diesem Bild 100%ig entspricht. Im Gegenteil, es gibt vielfältige Formen und Bilder und individuelle Wege Mannsein zu leben. Aber, dieses formulierte traditionelle Männerbild ist das dominante. Und wohl jeder Mann muss sich mit ihm und mit den in ihm enthaltenen Erwartungen und Handlungsmustern auseinandersetzen. Die entscheidende Botschaft dieses Bildes ist der Imperativ: Mann setz dich durch. Erfreulicherweise findet der Großteil der Männer Formen differenziert und pro-sozial mit ihrem individuellen Mannsein umzugehen.
Und dennoch müssen wir sehen, dass sich aufgrund dieses Bildes einzelne Gruppen von Männern in ihrem männlichen Durchsetzungsvermögen auch zu zweifelhaften Handlungen legitimiert sehen. So haben z.B. in der letzten Weltwirtschaftskrise 2008 in die Krise geratene Männer versucht, sich mittels krimineller ökonomischer Machenschaften durchzusetzen. Oder ein männlicher Gewalttäter fühlt sich aufgrund seiner männlichen Durchsetzungssozialisation dazu berechtigt, seine – z.B. durch die Trennung einer Frau – gekränkte männliche Ehre auch mittels Gewalt gegen sie wiederherzustellen.

Welche Maßnahmen und Ressourcen braucht es im Bereich der Männerberatung und Gendersensibilisierung für Männer und Burschen? Sollten bestimmte, auf den Einzelfall abgestimmte Maßnahmen wie beispielsweise Beratung, Gendersensibilisierungsworkshops, Psychotherapie verpflichtend sein für Männer, die aufgrund von Gewalttaten vorbestraft sind?

Die Männerberatung in Österreich muss auf eine solide strukturelle Basis gestellt werden. Sie muss flächendeckend in ganz Österreich ein niederschwelliges Angebot für alle Männer, die irgendwie in die Krise geraten sind, darstellen. Sie wirkt dadurch gewaltpräventiv, da sie gewaltaffinen Männern einen Raum bietet, ihr Handeln noch vor einer Tat zu modifizieren. Dort, wo es schon zu gewalttätigem Handeln gekommen ist, muss selbstverständlich Täterarbeit in Form eines längerfristigen Anti-Aggressionstrainings einsetzen. Diese Form der Täterarbeit findet in enger Verbindung mit Gewaltschutzorganisationen, die die weiblichen Opfer begleiten, bereits statt. Täterarbeit sollte natürlich bei jeder Gewalttat für den Täter verpflichtend sein.