Grenzen überwinden, Zukunft gestalten: Afghanische Frauen und Mädchen durch Bildung stärken

Bericht vom 3. Mai 2024

Programm


Eröffnung: Gemeinderätin Marina Hanke als Vertreterin von Bürgermeister Dr. Michael Ludwig

Willkommensworte: Ghousuddin Mir (Obmann AKIS) und Sybille Straubinger (Direktorin, VIDC)

Kurzstatements: Gemeinderätin Safak Akcay, Asiye Sel (Arbeiterkammer Wien), Fariba Sadeq (Banu-Magazin) und Shoura Hashemi (Amnesty International)

Panel:

  • Zur allgemeinen Situation der Frauen in Afghanistan: Shagofa Ghafori, Afghan Diaspora Organizations (NADOE)
  • Mädchenbildung in Afghanistan unterstützen: Nargis Mommand, Friedensaktivistin und Bildungsexpertin, ehemalige Professorin, Kabul Educational University
  • Interview mit Saghar Wafa (Frauenvorsitzende AKIS) über afghanisches Diaspora-Engagement

Kurzstatement: Maniza Bakthari, Afghanistans Botschafterin in Wien

Verleihung des Rabi-Balkhi-Awards für das besondere Engagement zur Unterstützung von Frauen und Mädchen in Afghanistan 

Spezialpreis für Diaspora Engagement in Österreich

Moderation: Friba Charkhi (AKIS) und Michael Fanizadeh (VIDC)

Programm zum Download

Autoren des Berichts


Hasibullah Ghusuddin, AKIS, Ali Ahmad und Michael Fanizadeh, VIDC Global Dialogue

Kontakt


Ali Ahmad und Michael Fanizadeh, VIDC Global Dialogue

Kooperationen

Im August 2021 fiel Afghanistan unter die Kontrolle der Taliban. Trotz anfänglicher Beteuerungen, dass sie keine restriktiven Maßnahmen gegen Frauen ergreifen würden, sind Frauen und Mädchen nach und nach aus dem öffentlichen Leben verbannt worden. Mädchen werden von Bildungseinrichtungen ausgeschlossen und allmählich werden sie ganz aus dem öffentlichen Leben verdrängt. Das Recht auf Bewegungsfreiheit, Bildung und Arbeit wird ihnen verwehrt, und ihr Dasein wird auf die häusliche Sphäre reduziert. 

Vor diesem Hintergrund veranstaltete der Afghanische Kulturverein AKIS in Kooperation mit dem VIDC und mit Unterstützung der Arbeiterkammer Wien, der Stadt Wien und der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit eine zweitägige Veranstaltung mit dem Titel „Grenzen überwinden, Zukunft gestalten: Afghanische Frauen und Mädchen durch Bildung stärken“.  Den Auftakt machte ein feierlicher Empfang auf Einladung des Wiener Bürgermeisters Dr. Michael Ludwig am 3. Mai im Wiener Rathauskeller, welcher von einer Tagung am 4. Mai gefolgt wurde. Das übergeordnete Ziel bestand darin, das Bewusstsein für die drängenden Bildungsbeschränkungen afghanischer Frauen und Mädchen zu schärfen und für die dramatische Situation in Afghanistan zu sensibilisieren.

Empfang im Wiener Rathauskeller

Der Empfang fand im eindrucksvollen Ambiente des Wiener Rathauskellers unter dem Motto „Naan, Kaar, Azaadi - Brot, Arbeit, Freiheit“ statt, was die grundlegendsten Bedürfnisse der afghanischen Frauen betonen und ihre Forderung nach Selbstbestimmung unterstreichen sollte. Neben Vertreter*innen des österreichischen Parlaments und des Wiener Gemeinderates sowie Repräsentant*innen von NGOs, Medien und diplomatischen Vertretungen nahmen zahlreiche afghanische Aktivist*innen aus ganz Europa, den USA und Kanada am Empfang teil. Moderiert wurde die Veranstaltung von Friba Charkhi (Frauenmagazin Banu) und von Michael Fanizadeh (VIDC Global Dialogue).

Als Vertreterin des Wiener Bürgermeisters Dr. Michael Ludwig begrüßte Gemeinderätin Marina Hanke die ca. 100 Teilnehmenden und erinnerte daran, dass Wien die Notlage der afghanischen Frauen in Bezug auf die Gerechtigkeit anerkennt: „Als Stadt Wien wollen wir zeigen, dass wir die Frauen in Afghanistan nicht vergessen haben.“ Die Direktorin des VIDC, Sybille Straubinger, unterstrich in ihrem Eröffnungsstatement die Wichtigkeit solcher Veranstaltungen, damit das Schicksal der afghanischen Frauen aufgrund anderer Konflikte auf der Welt wie zum Beispiel im Iran, in der Ukraine oder aktuell in Palästina und Israel nicht in Vergessenheit gerät und aus dem öffentlichen Bewusstsein verdrängt wird. AKIS-Obmann Ghousuddin Mir bedankte sich bei den zahlreichen Unterstützer*innen und betonte in seiner Rede die Ziele des Empfangs und der Konferenz am Folgetag: „Uns geht es darum, Frauen in Afghanistan zu unterstützen und ihre Rechte zu stärken - in Afghanistan, aber auch hier in Europa. Gerade der fehlende Zugang zu Bildung für Frauen und Mädchen in Afghanistan ist besonders problematisch.“

Solidarität für afghanische Frauen

„Bildung ist der Schlüssel zum sozialen Aufstieg und stärkt uns, gibt uns Mut, gerade in Zeiten wie diesen, wo der Rechtsruck immer stärker spürbar ist. Wir müssen dagegenhalten, Haltung zeigen, ihnen die Rote Karte zeigen und nicht zulassen, dass sie uns auseinanderdividieren und schwächen,“ erklärte Gemeinderätin Safak Akcay in ihrer Rede. Sie betonte, dass das erfolgreiche Zusammenleben in der Stadt Wien auf der Zusammenarbeit von Politik, Verwaltung, NGOs und Vereinen wie AKIS basiert.
  
Shoura Hashimi, die Leiterin von Amnesty International Österreich stellte die Arbeit ihrer Organisation in Bezug auf Afghanistan vor und betonte, dass sie sich für eine Untersuchung der Verbrechen in Afghanistan durch den Internationalen Strafgerichtshof einsetzt. Zusätzlich engagiert sich Amnesty International gegen die Abschiebung afghanischer Flüchtlinge aus Pakistan.  Seit dem Einmarsch der Taliban im Jahr 2021 hätten die Menschenrechtsverletzungen in Afghanistan enorm zugenommen. Hashimi betonte, dass Amnesty International besonders auf der Lage von afghanischen Frauen und Mädchen fokussiert. In Österreich setzt Amnesty International sich regelmäßig beim Innenministerium für ein humanitäres Aufnahmeprogramm für Afghanistan ein: „Es ist wichtig, dass die österreichische Regierung bereit ist, Menschen aus Afghanistan aufzunehmen, insbesondere politisch Verfolgte und Frauenrechtsaktivist*innen.“
 
Anschließend präsentierte Chefreadkteurin Friba Sadiq die Frauenzeitschrift Banu, die vom Verein AKIS herausgegeben und weltweit vertrieben wird. Banu ist eine Publikation, die Frauen über ihre Rechte informiert und diese zur Bildung ermutigt. Sadiq appellierte an das Publikum, die afghanischen Frauen nicht zu vergessen und die Zeitschrift Banu zu unterstützen. Sie betonte die wichtige Rolle von Banu als Medium, das sich für das Empowerment von Frauen einsetzt: „Wir wollen ein Licht für die Frauen in Afghanistan sein, die in Dunkelheit sitzen. Wir möchten ihnen Mut geben, nicht aufzugeben. Durch unser Schreiben unterstützen wir sie.“ 

Mutige Frauen gegen die Taliban 

Die afghanische Menschenrechtsaktivistin Shagofah Ghafori berichtete von ihrer Teilnahme bei der United Nations Human Rights Council’s Universal Periodic Review (UPR) Working Group in Genf kurz vor der Veranstaltung in Wien. Der dort präsentierte Bericht über die Menschenrechtslage in Afghanistan sei schockierend. Seit der Machtübernahme der Taliban 2021 gebe es weitverbreitete Menschenrechtsverletzungen. Laut UNAMA wurden von Januar 2022 bis Juli 2023 über 1.600 Vorfälle dokumentiert, darunter Folter und andere unmenschliche Taten. 11% der berichteten Vorfälle betrafen Frauen, wobei die Dunkelziffer wohl vermutlich sehr viel höher liegt. Trotzdem seien die Frauen in Afghanistan weiterhin aktiv: „Diese mutigen Frauen stellen sich tapfer den Taliban-Milizen entgegen und lösen damit möglicherweise die erste Frauenrevolution in der Geschichte des Landes aus. Angesichts des Wiedererstarkens der Taliban haben sich diese mutigen Frauen über ethnische, religiöse und politische Grenzen hinweg zusammengeschlossen, angetrieben von ihrer gemeinsamen Geschlechtsidentität,“ betonte Ghafori.  

Die afghanischen Frauen würden sich, so Ghafori, vielfältig engagieren:  Von geheimen Schulunterreicht bis zu Kunstaktionen und Demonstrationen. Sie forderte die internationale Gemeinschaft, besonders Österreich, dazu auf, die afghanischen Frauen weiterhin zu unterstützen, die Geschlechterapartheid zu benennen und zu bekämpfen sowie gegen die Normalisierung der Taliban-Herrschaft vorzugehen: „Internationale Forderungen an die Taliban, den Frauen ihre Rechte zu gewähren, Schulen wieder zu öffnen, Frauen in die Gesellschaft einzubeziehen oder Universitäten zu eröffnen, könnten Wirkung erzeugen,“ betonte Ghafori.

Die Friedensaktivistin, Bildungsexpertin und ehemalige Professorin an der Kabul Educational University Nargis Momand bestätigte die katastrophale Lage in Afghanistan, besonders für Frauen und Mädchen. Sie betonte, dass Millionen Mädchen derzeit vom Schulbesuch ausgeschlossen sind und Tausende weibliche Lehrkräfte und Angestellte ihre Jobs verloren haben. Dafür wurden in Afghanistan in einem Jahr mehr als 9.000 Koranschulen (Madrasas) statt Schulen gebaut, zudem sind Frauen zahlreichen anderen Beschränkungen und Misshandlungen ausgesetzt. Momand appellierte an die internationale Gemeinschaft, sich nicht von der Notlage der afghanischen Frauen und Mädchen abzuwenden. Sie berichtete von der Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung, die viele Mädchen in Afghanistan empfinden, und betonte die Entschlossenheit, trotz aller Widrigkeiten weiterzukämpfen: „Mein Herz ist von der Trauer um mein Heimatland durchdrungen, aber es ist auch von unerschütterlicher Entschlossenheit erfüllt. Wir sind hier nicht nur versammelt, um unser eigenes Land zu repräsentieren, sondern auch, um unsere Prinzipien zu vertreten, die in unserem Heimatland bedroht sind.“ 

Auch Momand forderte internationale Unterstützung: „Wir wollen, dass Österreich und die internationale Gemeinschaft, uns unterstützen und uns nicht allein lassen, damit wir den Stimmen der Mädchen Gehör verschaffen können. Wir wollen, dass sie uns Frauen helfen, ohne das Regime der Taliban zu unterstützen.“

Rabia Balkhi Award

Nach den Hauptreden sprach die afghanische Botschafterin in Österreich, Manizha Bakhtari, über Rabia Balkhi. Rabia Balkhi war eine Schriftstellerin aus dem 10. Jahrhundert, die Gedichte in persischer (Farsi) und arabischer Sprache verfasste. Sie ist die erste bekannte Dichterin, die in persischer Sprache schrieb. Auch Bakhtari betonte, dass afghanische Frauen und Mädchen ihrer Rechte beraubt würden, die Taliban verweigern den Frauen ihre politischen Rechte und marginalisieren sie durch Politiken der Geschlechtertrennung und- Apartheid, betonte Bakhtari.  Bakhtari forderte die Aufnahme des Begriffs der geschlechtsspezifischen Apartheid in das internationale Recht, auf dessen Grundlage die Taliban zur Rechenschaft gezogen werden könnten: „Ohne rechtliche Bestimmungen und nationale Konventionen können wir die Taliban nicht für ihre Gräueltaten verantwortlich machen. Natürlich können wir die Taliban nicht allein mit dem Recht besiegen, aber Recht kann ein Mittel sein,“ betonte Bakhtari. 

Die Verleihung des Rabia Balkhi Awards an die afghanische Lehrerin Samira Saqi stellte den Höhepunkt der Veranstaltung dar. Saqi setzt sich in Afghanistan unermüdlich für die Bildung afghanischer Mädchen ein und riskiert dabei oft ihr eigenes Leben. Die Auszeichnung würdigt ihren Mut und ihre Entschlossenheit im Kampf für die Rechte und die Zukunft der Frauen und Mädchen in Afghanistan. Der Preis wurde von Reinhard Heiserer, Geschäftsführer von Jugend eine Welt, übergeben. Er betonte in seiner Laudatio die Bedeutsamkeit solcher Initiativen und die gute Zusammenarbeit mit dem Verein AKIS. Zum Ende der Veranstaltung wurde dann noch der afghanische Sport- und Kulturverein Neuer Start mit dem Spezialpreis für Diaspora Engagement in Österreich ausgezeichnet. Neuer Start- Geschäftsführer Shokat Walizadeh nahm den Preis dankend entgegen.