Schlüsselstellen im Leben haben oft mit sexueller und reproduktiver Gesundheit und Rechten (SRGR) zu tun, die den weiteren Verlauf des Lebens bestimmen: Fragen hinsichtlich der Reproduktion, sexuelle Bildung als Schlüsselkompetenz für die weitere Entwicklung, Information und Verfügbarkeit in Bezug auf Familienplanung und Verhütungsmittel, die Auseinandersetzung mit der eigenen sexuellen Orientierung, usw.
Was bedeutet SRGR für die Internationale Zusammenarbeit (IZ), vor allem in der Praxis? Mittels zweier Projektbeispiele der österreichischen IZ wurde die Schlüsselrolle von SRGR für Entwicklung und Geschlechtergerechtigkeit aufgezeigt.
Ausgangsbasis für den Workshop bildet das VIDC Policy Paper Schlüsselstelle Sexuelle und Reproduktive Gesundheit und Rechte und als weiteres wichtiges Grundlagenpapier dient das ADA Focus Paper on Sexual and Reproductive Health and Rights.
Die insgesamt 30 Teilnehmenden kamen aus der internationalen Entwicklungszusammenarbeit (IZ), humanitären Hilfe und aus dem SRGR-Bereich. Neben zahlreichen NGO-Mitarbeiter*innen waren sechs ADA-Mitarbeiter*innen und zwei Ministerialbeamtinnen* vertreten.
SRGR umfasst ein breites Themenfeld: von der Gesundheitsversorgung für Schwangere, Mütter und Neugeborene, über umfassende sexuelle Bildung, Verhütung und Prävention sexuell übertragbarer Infektionen, die Unterbrechung ungeplanter Schwangerschaften, bis hin zur Prävention von gender-basierter und sexualisierter Gewalt. Somit spielen SRGR eine zentrale Rolle im Leben aller Menschen – darüber waren sich die Teilnehmenden im Zuge der interaktiven Aufstellübung zu Beginn des Workshops einig. SRGR sollte daher als Schlüsselfaktor für Entwicklung und Geschlechtergerechtigkeit anerkannt werden und dementsprechend ausreichende politische Unterstützung und finanzielle Förderung erhalten.
SRGR sind in unzähligen internationalen Menschenrechtsdokumenten wie der Alma-Ata-Erklärung (1978), der Frauenrechtskonvention (1979), dem Kairoer Aktionsprogramm (1994), der Pekinger Erklärung mit ihrer Aktionsplattform (1995), der Istanbul Konvention des Europarates (2011) und den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen (2015) verankert. Dies betont auch das VIDC Policy Paper Schlüsselstelle SRGR, das von Janine Wurzer (WIDE) vorgestellt wurde. Das Paper dient als Orientierungshilfe für Stakeholder*innen der IZ. Es verweist auf zentrale Ansätze (gender-transformativer, menschenrechtsbasierter & inklusiver, intersektioneller und Empowerment-Ansatz), die einerseits als Argumentationshilfe für die Integration von SRGR in Projekte/Programme dienen und andererseits aufgrund der Wechselwirkung von SRGR mit anderen Sektoren Anwendung finden sollten. Zu allen vier Ansätzen sowie zu neun ausgewählten Good-Practice-Modellen werden Handlungsempfehlungen vorgestellt. Besonders hervorgehoben wird im Paper die (lebens-)notwenige Priorisierung von SRGR in Krisen.
SRGR in der Entwicklungszusammenarbeit: “Delivering an integrated package of rights to achieve universal coverage in Karamoja and northern Uganda” (UNFPA)
Das ADA-finanzierte UNFPA-Projekt wurde von der neuen Leiterin des ADA-Koordinationsbüros in Uganda, Katja Kerschbaumer, vorgestellt. Schwerpunkt des Projekts ist ein besserer Rechtszugang für Betroffene von geschlechtsbasierter und sexualisierter Gewalt (GBV) in den Regionen Karamoja, Lango und Acholi. Diese Regionen weisen bezüglich GBV sehr hohe Statistiken auf. Das Projekt veranschaulicht, wie wichtig die Schnittstelle SRGR mit dem Justiz und Polizeisektor ist, um den Bearbeitungsprozess von GBV-Fällen zu beschleunigen und Betroffene frei von Diskriminierung in ihrem Rechtszugang zu unterstützen. Langfristig setzt das Projekt auf einen Wertewandel in der Gesellschaft, um traditionelle/destruktive Normen rund um GBV zu transformieren. Daher werden auch präventive Maßnahmen wie sexuelle Bildung in und außerhalb der Schule sowie die Zusammenarbeit mit religiösen und kulturellen Institutionen gefördert.
SRGR in der Humanitären Hilfe: “Adolescent Mothers Against All Odds (AMAL)” in Idlib, Nordwest-Syrien (CARE)
Christine Braun von CARE Österreich stellte das CARE-Projekt AMAL vor, das in Zusammenarbeit mit UNFPA und Syria Relief and Development entwickelt wurde. Mädchen* und junge Frauen* leiden besonders unter humanitären Krisen, da sie oft in die häusliche Isolation und/oder in eine Zwangsheirat gedrängt werden.
Das AMAL-Projekt baut auf drei Hauptkomponenten auf: der Young Mother’s Club bietet schwangeren Teenagern und jungen Müttern* einen „Safe Space“ und stellt den Kontakt mit Sozial- und Gesundheitspersonal her; in partizipativen Dialogen mit Familien- und Gemeindemitgliedern wird versucht, destruktive Werte und Normen zu dekonstruieren; die Sensibilisierung des Gesundheitspersonal zielt darauf ab, SRGR-Dienstleistungen und den Zugang für Betroffene zu verbessern.
Gemeinsame Learnings für SRGR in der Internationalen Zusammenarbeit
Im Anschluss an die Projektpräsentationen stellten sich die drei Inputgeber*innen in drei Kleingruppen als Ressource Persons zur Verfügung.
In einer Gruppe wurden die Möglichkeiten besprochen, SRGR in die Projekt- und Bildungsarbeit sowie die anwaltschaftliche Arbeit zu integrieren. Außerdem wurden die damit verbundenen Chancen und Herausforderungen herausgearbeitet.
Eine der größten Herausforderungen für Menschen in den betroffenen Regionen – v.a. in Krisengebieten – ist der schwere Zugang zu SRGR-Einrichtungen. Daher müssen die SRGR-Kompetenzen der Lokalbevölkerung sowie die lokalen SRGR-Strukturen gestärkt werden. Zudem sollte mit verschiedensten Akteur*innen (auch mit konservativen und religiösen) auf allen Ebenen zusammengearbeitet werden.
Bei der Vermittlungsarbeit ist die Art der Kommunikation zentral: Entscheidungsträger*innen können am besten mit pointierten Anliegen erreicht werden – z.B. sollte der Mehrwert der Umsetzung von SRGR für Familien und die Wirtschaft (z.B. durch die Integration von Frauen* in den Arbeitsmarkt) kommuniziert werden. Bei den Empfänger*innen und lokalen Akteur*innen sollte hingegen der unmittelbare Nutzen des Vorhabens unter Berücksichtigung ihrer Bedürfnisse im Fokus stehen.
In Bezug auf die Qualitätskontrolle haben die Workshop-Teilnehmenden die Methode der „Community Score Cards“ positiv hervorgehoben. Auch sollte SRGR integraler Bestandteil von Genderanalysen sein. Für die alltägliche Projektarbeit wurde empfohlen, etablierte Methoden der umfassenden sexuellen Bildung anzuwenden, Männer und Burschen im Sinne des gendertransformativen Ansatzes einzubinden sowie die vielen Tabus und Mythen im Bereich SRGR aufzubrechen. Hinsichtlich sexueller Bildung als Schlüsselkompetenz braucht es noch viel Anwaltschaft und Bewusstseinsbildung, – insbesondere um (v.a. religiöse und konservative) Entscheidungsträger*innen dafür zu gewinnen.
Zentrale Forderungen der Arbeitsgruppe SRGR
SRGR sind in diversen Menschenrechtsdokumenten verankert. Allerdings warten alle SRGR-Teilbereiche bis heute auf ihre vollständige Umsetzung. Deshalb wurden zentrale Forderungen identifiziert, die Janine Wurzer zum Abschluss präsentierte:
1. Auf- und Ausbau umfassender SRGR-Dienstleistungen inklusive eines umfassenden Zugangs im Rahmen von Wiederaufbau-Programmen und Gesundheitssystemen
2. Umfassende, altersgerechte sexuelle Bildung weltweit für mehr Entwicklungschancen und als präventive Maßnahme gegen sexualisierte Gewalt an Kindern
3. Einbindung von Männern* und Buben* im Sinne des gendergerechten Ansatzes und Multiplikator*innen aus Diaspora-Communities in SRGR-Dienstleistungen und Sensibilisierungsprogramme
4. Berücksichtigen der Wechselwirkung von SRGR mit unterschiedlichen Sektoren wie Bildung, Gewaltfreiheit, ökonomische Ermächtigung, Anpassung an die Klimakrise und politische Partizipation
5. Jährlicher Call für SRGR-Projekte der österreichischen IZ und Förderinstrument für kleine und mittelgroße IZ-Projekte von Diaspora-Organisationen
6. Förderung feministischer, entwicklungspolitischer Bildungsarbeit zu SRGR und Geschlechtergerechtigkeit.