Frauen haben in letzter Zeit die Führung der Protestbewegungen in Afghanistan und im Iran übernommen und dabei unglaubliche Tapferkeit und Widerstandskraft im Angesicht von Not und Entbehrungen bewiesen. Die unterdrückerischen, brutalen und autoritären Regime, die den Zugang von Frauen zu sozialer und politischer Freiheit, Beschäftigungsmöglichkeiten und Bildung einschränken, sind der gemeinsame Feind der Protestierenden in diesen Nachbarstaaten. Die Demonstrierenden fordern gleiche Rechte und Chancen für Frauen und glauben, dass dies nur durch den Sturz dieser unterdrückerischen Regime und deren Ersetzung durch demokratische Regierungen, die die Menschenrechte achten, erreicht werden kann. Sie fordern auch internationale Unterstützung und Solidarität für ihrem Kampf für Freiheit und Gleichheit.
Sowohl in Afghanistan als auch im Iran ist die Lage der Frauen katastrophal und es besteht dringender Handlungsbedarf, um die Frauen zu unterschützen. Das VIDC organisierte deshalb am 27. April 2023 in der Hauptbücherei Wien eine Veranstaltung über die Notlage der afghanischen und iranischen Frauen und über ihren Kampf um Rechte und Freiheit. Das VIDC lud die iranische Journalistin und Tänzerin Mina Khani und Tahmina Salik vom Danish Afghan Women Diaspora Forum, nach Wien ein, während die Bildungsaktivistin Parasto Hakim, die derzeit in Paris lebt, und die Frauenrechtlerin Mozhgan Keshavarz digital über ihren Kampf gegen die unterdrückerischen Regime und für die Rechte der Frauen Auskunft gaben.
Kampf gegen Gender-Apartheid im Iran
Sowohl im Iran als auch in Afghanistan sind Frauen auf die Straße gegangen, um gegen die dortigen Unterdrückungsregime zu protestieren. In der Islamischen Republik Iran hat sich der Protest gegen das verpflichtende Tragen des Hidschabs als Kristallisationspunkt etabliert. Laut Mina Khani laufen Frauen, die gegen das iranische Hidschab-Gesetz verstoßen, Gefahr, inhaftiert, gefoltert oder sogar getötet zu werden. Im September 2022 hat der Tod von Jina Mahsa Amini, einer Kurdin, die in Polizeigewahrsam zu Tode geprügelt wurde, nachdem sie festgenommen wurde, weil sie den Hidschab nicht trug, den Protestbewegungen neuen Auftrieb verschafft. Im ganzen Land kam es zu Protesten als Reaktion auf ihren Tod. Männer applaudierten den Frauen, die bei Aminis Beerdigung ihren Hidschab ablegten. Laut Khani war dieser Akt des Widerstands ein starkes Symbol für den wachsenden Protest gegen die Unterdrückungspolitik des Regimes. Khani betonte, dass es beim Kampf gegen den Hidschab nicht nur um die Rechte der Frauen gehe, sondern um den Kampf für Freiheit und Demokratie für alle iranischen Bürger*innen. Der Versuch des Staates, seine Bürger*innen durch Kleidervorschriften und andere Maßnahmen zu kontrollieren, sei eine Verletzung der Menschenrechte und müsse bekämpft werden. „Der Iran will die Bevölkerung kontrollieren, weil dies der Regierung die Möglichkeit gibt, eine direkte politische Kontrolle über sie auszuüben. Die Regierung will dies immer und überall tun“, betonte Khani.
Die Protestbewegung gegen die Hidschab-Pflicht im Iran wird vor allem von Frauen und der jungen Generation getragen. Bei dem Protest geht es auch darum, sich gegen ein autoritäres Regime zu wehren, das seit 1979 an der Macht ist. Die Frauenbewegung erlangte noch mehr internationale Aufmerksamkeit, als drei Frauen ihren Hidschab in der Öffentlichkeit verbrannten, und sie hat sich seitdem weiterentwickelt und schließt auch viele Männer und die LGBTQIA+-Gemeinschaft ein. Khani betonte, dass es bei dem Protest darum gehe, für individuelle Freiheit, Menschenrechte und Demokratie einzutreten. Es sollte ein unterdrückerisches Regime herausgefordert und eine bessere Zukunft für den Iran geschaffen werden.
Kampf gegen Gender-Apartheid in Afghanistan
Im benachbarten Afghanistan haben die Taliban den Frauen jegliche Bildung, Beschäftigung und die Teilnahme am öffentlichen Leben untersagt. Bei der Veranstaltung gab Parasto Hakim einen Überblick über die aktuelle Situation der afghanischen Frauenprotestbewegung und die Beschränkungen der Freiheit der Frauen. In ihrem Land, so erklärte sie, können Frauen nicht zur Schule oder zur Universität gehen, nicht arbeiten und nicht offen sprechen. Sie können ihre Kleidung nicht frei wählen und haben nicht das Recht, ihren Ehepartner auszuwählen. Frauen werden zu Kinderehen gezwungen, und viele bekommen schon in sehr jungen Jahren ein Kind, obwohl sie selbst noch Kinder sind. Hakim betonte auch, dass die Taliban Madrassas (Religionsschulen) einrichten, um den Radikalismus weiter zu fördern, was schließlich zum Zusammenbruch des Bildungssystems in Afghanistan führen werde. Seit der Rückkehr der Taliban an die Macht im August 2021 sind die Frauen einer „geschlechtsspezifischen Apartheid ausgesetzt“, so Hakim.
Parasto Hakim leitet eine Untergrundschule, um denjenigen Bildung zu vermitteln, die aufgrund der Beschränkungen durch die Taliban keine Schulen besuchen können. Ziel ihrer Schule ist es, Lehrenden und Schülerinnen das gleiche Gefühl zu vermitteln wie in einer richtigen Schule, allerdings auf eine verdeckte Art und Weise. „Wir haben es geschafft, uns ihrer (der Taliban) Aufmerksamkeit zu entziehen, indem wir jedes Mal, wenn sie auftauchen, unseren Standort wechseln“, antwortete Hakim auf die Frage, wie sie mit dem Verbot der Taliban zurechtkommt.
Seit ihrer Rückkehr an die Macht haben afghanische Frauen in verschiedenen Provinzen gegen die Verbote demonstriert, aber ihr Widerstand wurden von den Taliban zerschlagen. Laut Tahmina Salik ist es den Taliban gelungen, die Proteste der Frauen zu unterdrücken, indem sie viele Frauen, die an friedlichen Demonstrationen teilgenommen hatten, inhaftierten und folterten. Die Frauen nutzen jedoch weiterhin die sozialen Medien und andere Mittel, um ihre Botschaften zu verbreiten und ihre Stimme zu erheben, auch wenn sie anonym bleiben müssen. „Sie wissen, was Menschenrechte sind, was Frauenrechte sind und was Freiheit bedeutet. Keine noch so große Folter kann den afghanischen Frauen dieses Wissen nehmen“, so Salik.
Die frauenfeindliche Politik der Taliban schade den afghanischen Frauen, so Amina J. Mohammed, stellvertretende Generalsekretärin der Vereinten Nationen, die im April erklärte, dass sie am 1. Mai über die Anerkennung der Taliban beraten würden. Am 2. Mai, nach Abschluss des von den Vereinten Nationen organisierten Treffens in Doha, erklärte der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Antonio Gutierrez, bei einer Pressekonferenz, dass es bei dem Treffen „um die Entwicklung eines gemeinsamen internationalen Ansatzes ging, nicht um die Anerkennung der De-facto-Behörden der Taliban.“ Sowohl die afghanische Diaspora als auch Menschenrechtsorganisationen reagierten negativ auf die Äußerungen von Mohammed und warfen den Taliban vor, die Frauen aus der afghanischen Politik und der Gesellschaft vollständig zu verdrängen. Die Taliban anzuerkennen, ohne den Schutz der Frauenrechte zu gewährleisten, wäre ein schwerer Fehler. Hakim betonte, dass die Vereinten Nationen bei allen Gesprächen und Verhandlungen mit den Taliban der Sicherheit und dem Wohlergehen der afghanischen Frauen Vorrang vor einer „Schönfärberei der Taliban“ einräumen sollten.
Hoffnung für Afghanistan und den Iran
Nach Ansicht von Tahmina Salik gibt es in Afghanistan trotz der Versuche der Taliban, die Rechte von Frauen und anderen Minderheiten einzuschränken, noch Hoffnung. Salik erklärte, dass die jüngere Generation sich vehement für eine bessere Zukunft einsetzen würde. Dank der sozialen Medien sind sie mehr denn je miteinander verbunden und streben nach einer besseren Zukunft. Salik plädierte dafür, dass die iranische und die afghanische Diaspora alle ihnen zur Verfügung stehenden Plattformen nutzen sollten, um die Stimmen der Frauen in ihren jeweiligen Ländern zu unterstützen, auch wenn die internationale Gemeinschaft Afghanistan im Stich gelassen habe. Außerdem forderte sie die afghanischen und iranischen Frauen in der Diaspora auf, Bilder von Versammlungen und öffentlichen Reden in den sozialen Medien zu posten, damit sich die Frauen in Afghanistan und im Iran nicht so allein fühlen würden und um zu zeigen, dass die Diaspora nicht zum Schweigen gebracht wurde.
Parasto Hakim ist wütend darüber, dass einige wenige Männer darüber entscheiden, wie sich bestimmte Situationen auf Frauen auswirken. Sie betonte, dass Männer nicht verstehen würden, was Gender-Apartheid bedeutet. Sie appellierte an die internationale Gemeinschaft, die afghanischen Frauen bei ihren Protesten zu unterstützen und ihnen professionelle und technische Hilfe zukommen zu lassen, damit sie die Taliban ohne Gewaltanwendung bekämpfen können. Hakim ruft die internationale Gemeinschaft dazu auf, die afghanischen Frauen zu unterstützen: „Wir brauchen die Welt, um unsere Stimme zu sein und uns gegen die Taliban zu unterstützen.“ Es sei wichtig, sich daran zu erinnern, dass die Taliban trotz gegenteiliger Behauptungen immer noch dieselbe Bande wie früher seien. Sie hätten sich stolz zu Selbstmordattentaten bekannt, die sich gegen Journalisten, Minderheiten, Frauen und Student*innen richteten. Die Podiumsteilnehmerinnen argumentierten, dass es ein Fehler sei, die Taliban als eine rechtmäßige Regierung anzuerkennen.
Ähnlich wie in Afghanistan haben es die sozialen Medien auch im Iran jungen Menschen ermöglicht, miteinander und mit dem Rest der Welt zu kommunizieren, so Mina Khani. Nach Ansicht von Khani gibt es leider keine Patentlösung für die Probleme des Irans. Die derzeitige Lösung scheint in Alibisanktionen zu bestehen. Khani ist der Meinung, dass die Sanktionen auf bestimmte Personen abzielen sollten, anstatt Teil eines allgemeinen Pakets zu sein, das alle betrifft, einschließlich der iranischen Diaspora. Der Westen sollte zudem einen Plan entwickeln, um mit der vielfältigen iranischen Opposition umzugehen, die demokratische und faschistische Ideologien, linke und nationalistische Standpunkte sowie verschiedene islamistische Denkschulen umfasse. Diese Oppositionsbewegungen sollten nicht so tun, als seien sie eine Einheit, sondern müssten offen und ehrlich zu ihrer Vielfalt stehen. Für den Westen würde es dann leichter sein zu entscheiden, ob sie diesmal die demokratische Opposition und Frauenbewegung unterstützen oder wieder auf autokratische Leader setzen.