Bis vor kurzem fristete die Außenpolitik ein Schattendasein im politischen Diskurs und wurde in den Zeitungen nur am Rande erwähnt. Doch in den letzten Jahren hat sich das Blatt spürbar gewendet. Aufgrund der Krisen und der eskalierenden Gewalt werden die Rufe nach neuen Konzepten und innovativen Ideen in der Außenpolitik lauter. Das VIDC organisierte daher auf Einladung der Zweiten Nationalratspräsidentin Doris Bures am 28. November 2023 eine Podiumsdiskussion im österreichischen Parlament.
Die ehemalige schwedische Außenministerin Ann Linde, die Mitbegründerin des Zentrums für feministische Außenpolitik Kristina Lunz und die Professorin Toni Haastrup beleuchteten gemeinsam die Elemente einer feministischen Außenpolitik, loteten ihre Potenziale aus und hinterfragten die Gründe für die Skepsis vieler Länder des globalen Südens.
"Wir leben in einer Welt, die immer unfriedlicher wird"
so die Zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures in ihrer Begrüßung. Damit betonte sie den zunehmenden Mangel an globalem Frieden und verwies auf zahlreiche bewaffnete Konflikte mit verheerenden Auswirkungen, insbesondere auf Frauen*, Mädchen* und marginalisierte Gruppen. Im Rahmen der 16 Tage gegen Gewalt an Frauen* und Mädchen* wiesen die Vereinten Nationen schockierend darauf hin, dass 2022 weltweit so viele Frauen* und Mädchen* ermordet wurden wie seit zwanzig Jahren nicht mehr. Um diesen Herausforderungen, verstärkt durch Krisen und den Klimawandel, zu begegnen, ist ein Perspektivenwechsel in der Außenpolitik notwendig. Eine feministische Außenpolitik kann hier eine sinnvolle Herangehesweise sein, so Doris Bures.
"Wir können keinen Frieden erreichen, wenn wir die Hälfte der Weltbevölkerung nicht einbeziehen."
"Frauen* sind immer am stärksten von Gewalt betroffen", so die ehemalige schwedische Außenministerin Ann Linde. Sie nannte aktuelle Beispiele für Aggressionen in unserer Welt, wie die russische Invasion in der Ukraine, die Übernahme der Macht durch die Taliban in Afghanistan, die gewalttätigen Reaktionen des Regimes auf die Frauen*revolution im Iran und die vielen zivilen Opfer in Israel und Gaza seit dem 7. Oktober.
"Wir können keinen Frieden erreichen, wenn wir die Hälfte der Weltbevölkerung nicht einbeziehen." Ann Lindes Worte verdeutlichten, dass ein wichtiger Aspekt bei der Durchsetzung einer feministischen Politik ein systematischer Ansatz ist. Dieser ermöglicht die Analyse politischer Maßnahmen im Hinblick auf ihre Auswirkungen auf Frauen*, Mädchen* und marginalisierte Gruppen. Als wichtiges Tool für eine feministische Außenpolitik nannte sie die 3 R: Rechte, Repräsentanz und Ressourcen. Dazu gehört es, patriarchale Normen abzubauen und traditionelle Machtstrukturen in Frage zu stellen.
Es ist erwiesen, dass die Beteiligung von Frauen* bei der Gestaltung von Friedensabkommen deren Erfolgschancen um 35% erhöht, wie Sybille Straubinger, die Direktorin des VIDC, in ihrem Eingangsstatement betonte. Dies unterstreicht die Wichtigkeit einer stärkeren Vertretung von Frauen* an Verhandlungstischen, in politischen Parteien und in Foren, in denen Entscheidungen getroffen werden, wo sie jedoch meist chronisch unterrepräsentiert sind. Feministische Außenpolitik zielt darauf ab, Frauen* und marginalisierte Gruppen stärker in die Entscheidungsfindung einzubeziehen und ihre Sicherheit in den Vordergrund zu stellen, im Gegensatz zur konventionellen Außenpolitik, die sich auf den Staat und seine Grenzen konzentriert.
"Denn einen nachhaltigen Frieden wird es nur geben, wenn patriarchale Strukturen abgebaut sind"
Kristina Lunz begann ihren Beitrag mit dem Hinweis, dass die Menschheit bereits seit 4000-6000 Jahren in einer patriarchalen Gesellschaft lebt, deren Macht auf Hierarchien beruht, die mit Hilfe von Gewalt aufrechterhalten werden. Die harte Wahrheit der täglichen Gewalt gegen Frauen* und marginalisierte Gruppen zeigt sich daran, dass zum Beispiel "in Deutschland jeden Tag ein Mann versucht, seine Partnerin oder Ex-Partnerin zu töten, und jeden dritten Tag gelingt es ihm." Kristina Lunz betonte die wichtige Bedeutung der feministischen Bewegung für gesellschaftliche Veränderungen, deren Wurzeln sie in der Suffragettenbewegung von 1915 sieht. Diese Bewegung formulierte damals revolutionäre Forderungen, die zu einem großen Teil in der Zwischenzeit umgesetzt wurden, wie z.B. die Gründung der Vereinten Nationen. Eine wesentliche Forderung von damals, nämlich die Demilitarisierung, wurde allerdings bis heute nicht umgesetzt. Die Women's International League for Peace and Freedom ist eine jener Organisationen, die sich von Beginn an für Abrüstung einsetzte. Ein wichtiger Meilenstein ist in diesem Zusammenhang auch die UN-Erklärung zur Beseitigung der Gewalt gegen Frauen* und die UN-Sicherheitsratsresolution 1325 über Frauen, Frieden und Sicherheit, beides Wegbereiter für eine feministische Außenpolitik. "Denn einen nachhaltigen Frieden wird es nur geben, wenn patriarchale Strukturen abgebaut sind", so Kristina Lunz.
Feministische Diskurse spielen eine Schlüsselrolle bei der Kritik an kolonialer, rassistischer, autoritärer und maskulinisierter Macht.
Patriarchale Strukturen sind auch in den Nord-Süd-Beziehungen zu erkennen, was sich in der Dominanz des Globalen Nordens und des Westens in der Wissensproduktion rund um die Konzepte feministischer Außenpolitik ebenfalls zeigt. Darin findet sich der Globale Süden oft in einer Nebenrolle als bloßer Rezipient wieder, wie Toni Haastrup es beschrieben hat. In den letzten zehn Jahren hat sich die Architektur der internationalen Politik weiterentwickelt, doch die Überbleibsel dieser globalen Machthierarchien bestehen fort. Um dem entgegenzuwirken, sollte die Politik einen auf die Menschen ausgerichteten Ansatz verfolgen und sich mit Themen wie Landaneignung, Ausbeutung von Arbeitskräften und Kontrolle über natürliche Ressourcen befassen. Darüber hinaus ist die Berücksichtigung staatlicher Institutionen, historischer Strukturen und Fragen von Macht und Geschlechterkontrolle von entscheidender Bedeutung, um festgefahrene Beziehungen zwischen dem Globalen Norden und Süden zu verändern. Feministische Diskurse spielen eine Schlüsselrolle bei der Kritik an kolonialer, rassistischer, autoritärer und maskulinisierter Macht, wobei die Intersektionalität das Trauma hervorhebt, das die Schwächsten aufgrund von Unterdrückungs- und Diskriminierungsstrukturen erlebten.
"Feminismus ist nicht vollständig, wenn er nicht intersektional ist"
Die Herausforderung liegt darin, an den eigenen feministischen Werten und Prioritäten festzuhalten. Wie Kristina Lunz am Beispiel Russlands aufzeigte, warnten viele Feministinnen* und Menschenrechtsverteidiger*innen, dass die antifeministische und antihomosexuelle Rhetorik Putins ein Hinweis für die darauffolgende Aggression gegen die Ukraine waren. Die Einbeziehung der Gender-Analyse in Konfliktbewertungen würde helfen, diese Anzeichen zu erkennen und Konflikten im Vorfeld entgegenzuwirken. Patriarchale Strukturen der internationalen Machtverhältnisse zeigen sich auch in der unterschiedlichen Wahrnehmung von Konflikten durch Politik und Medien, wie Toni Haastrup am Beispiel des Ukraine-Krieges und von Konflikten in Ländern wie Kongo, Äthiopien und Sudan aufzeigte. Hier zeigt sich, dass Solidarität ein entscheidender Faktor ist, um die Kluft zwischen dem Globalen Norden und Süden zu überbrücken und eine gemeinsame Front zu bilden. "Feminismus ist nicht vollständig, wenn er nicht intersektional ist", sagte Toni Haastrup, denn „niemand ist wirklich befreit, wenn nicht alle an dieser Freiheit teilhaben“.
Die Diskussion unterstrich die Notwendigkeit eines kontinuierlichen Prozesses in der feministischen Außenpolitik, der sich mit Widerständen auseinandersetzt, bestehende Machtdynamiken in Frage stellt und somit zum Abbau von gewaltvollen globalen Strukturen beiträgt. Dabei ist es notwendig, ausreichend Ressourcen zur Verfügung zu stellen, um auch die feministische Zivilgesellschaft in diesen Prozess miteinzubinden. Eine feministische Außenpolitik ermutigt zu globaler Solidarität und unterstreicht die Bedeutung der Aufarbeitung von Menschenrechtsverletzungen mit dem Ziel globaler Gleichberechtigung und einer gerechteren, friedlicheren Welt zu erreichen.