Weltweit sind 6 von 10 Schwangerschaften ungeplant und 3 von 10 werden abgebrochen (Lancet Glob Health 2020). Jedoch gibt es auf allen Kontinenten Länder, in denen einerseits Gesetze und andererseits Stigmata schwangeren Menschen die Ausübung ihrer reproduktiven Autonomie und den Zugang zu einem sicheren Schwangerschaftsabbruch erschweren oder sogar unmöglich machen. Rechte, rechtskonservative, populistische und autokratische Regierungen versuchen häufig durch Bevölkerungspolitik das reproduktive Verhalten und somit die Größe und Zusammensetzung der Bevölkerung zu kontrollieren. Die Einschränkung des Zugangs zu dieser Gesundheitsleistung führt jedoch nicht zu einer Verringerung der Zahl der Schwangerschaftsabbrüche, sondern macht sie unsicher (45% weltweit). Die Folge können schwerwiegende gesundheitliche Auswirkungen bis hin zum Tod sein.
Nach einer Skizzierung der rechtlichen Situation und des landesweiten Zugangs in den drei Ländern wollen wir mit Expert*innen und Aktivist*innen aus Österreich, Polen, Mosambik folgende Fragen diskutieren: Welche Formen der Mobilisierung und der Vernetzung haben sich als erfolgreich erwiesen, um rechtzeitig auf androhende reproduktive Autonomieeinschränkungen reagieren zu können? Was können die drei Länder voneinander lernen? Welche Lessons Learned aus der starken, feministischen Abtreibungsrechtsbewegung in Polen gibt es? Was hat sich in der Überwindung gesellschaftlich stark verankerter Stigmata bewährt?
Inputgeber*innen
Mag.a Sylvia Groth, MAS
ist Soziologin, Frauengesundheitsaktivistin und eine ausgewiesene Expertin zum Thema Schwangerschaftsabbruch. In den 80er Jahren arbeitete sie in den USA in Frauengesundheitszentren, in denen Abbrüche durchgeführt wurden. Danach war sie im Feministischen Frauengesundheitszentrum Berlin tätig und 20 Jahre lang Geschäftsführerin des Frauengesundheitszentrums Graz. Aktuell arbeitete sie als Patientinnen*vertreterin an der S2k-Leitlinie Schwangerschaftsabbruch im 1. Trimenon (2023) der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V. (AWMF) mit. Als Aktivistin vertritt sie den Verein Pro Choice Austria – Plattform für freien Schwangerschaftsabbruch, der Teil einer internationalen feministischen Bewegung ist, die sich für reproduktive Selbstbestimmungsrechte von Frauen, Lesben, inter, trans und agender Personen einsetzt.
Santos A. Simione
ist seit 2015 geschäftsführender Direktor von AMODEFA - Mozambican Association for Family Development, der ältesten mosambikanischen Organisation für Sexuelle und Reproduktive Gesundheit und Rechte (SRGR). Er arbeitet auch als Sekretär der nationalen Koalition für die Abschaffung der Kinderehe. Simione verfügt über 20 Jahre Erfahrung als Trainer of Trainers in der Stärkung zivilgesellschaftlicher Organisationen und Aktivist*innen zur Förderung von SRGR und von Menschen, die mit HIV leben. AMODEFA ist Mitglied der International Planned Parenthood Federation (IPPF) und arbeitet mit Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen wie dem National AIDS Council, der Platform of Civil Society Organizations for Health und dem Sexual and Reproductive Rights Network zusammen. In ihrer Anwaltschaft beeinflusst AMODEFA die Ministerien und das Parlament in Mosambik, um unterstützende Gesetze und Praktiken, v.a. für die Jugend, zu erzielen.
Inês Natercia Albino Migi Boene
ist ausgebildete Krankenpflegerin im Bereich Mutter- und Kind-Gesundheit mit 30-jähriger Berufserfahrung im Bereich SRGR im öffentlichen und gemeinnützigen Sektor (AMODEFA). Im Speziellen verfügt sie über Erfahrung bei der Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen mittels Vakuumaspiration und Abtreibungspille. Boene verfügt außerdem über fundiertes Wissen über die Kriterien in Bezug auf sichere Schwangerschaftsabbrüche, gemäß dem 2014 verabschiedeten Abtreibungsgesetz. Sie überprüft auch die Qualität der Abtreibungsdienste im öffentlichen System, in der AMODEFA Klinik und angeschlossenen Kliniken. Boene hat einen Abschluss in klinischer und beratender Psychologie und absolviert derzeit ein Masterstudium zu Bevölkerung und Entwicklung an der Eduardo Mondlane Universität in Maputo.
Natalia Broniarczyk
ist eine Feministin aus Polen und Mitbegründerin von Abortion Dream Team (ADT) und Abortion Without Borders in Polen. Sie erforscht und entwickelt Strategien, um Menschen in Ländern, in denen Abtreibung kriminalisiert wird oder schwer zugänglich ist, zu helfen, ungewollte Schwangerschaften zu unterbrechen. ADT ist eine informelle Initiative, die darauf abzielt, Abtreibung durch die Verbreitung von Wissen und Erfahrungen zu entstigmatisieren. Abortion Without Borders ist eine europaweite Initiative mit dem Ziel, Menschen in Polen Zugang zum Schwangerschaftsabbruch zu ermöglichen, entweder zu Hause mittels Abtreibungspille oder in Kliniken im Ausland.
Moderation
Univ.-Ass. Rebekka Pflug, MA
ist Politikwissenschaftlerin mit einem Forschungsschwerpunkt auf politischen und rechtlichen Systemen in ost- und mitteleuropäischen Staaten, insbesondere auf Protestforschung zu Polen. Thema ihrer Masterarbeit war eine rechtshistorische Abhandlung mit einer Analyse der Einflussfaktoren auf die Gesetzgebungsprozesse zum Recht auf Schwangerschaftsabbruch in Polen und Deutschland seit 1989. Neben ihrem Aktivismus beschäftigt sie sich weiterhin wissenschaftlich mit dem Thema „Reproduktive Rechte“. So auch in ihrer Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Wien bei Prof. Dr. Dorothee Bohle, wo sie seit September 2022 zu Frauenbewegung und Rechten Bewegungen in Osteuropa und deren transnationalen Verbindungen lehrt und promoviert.